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"Geschichten von realen Menschen"

Ella Volodina/pt9. September 2002

Auch wenn es beim Filmfestival in Venedig wieder nicht zu einem "Goldenen Löwen" für einen deutschen Film reichte: "Führer Ex" des Regisseurs Winfried Bonengel sorgte für Furore. DW-WORLD hat mit Bonengel gesprochen.

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Verfilmte den Werdegang von Neonazis: Winfried BonengelBild: presse

In "Führer Ex" geht es um ein Stück deutsch-deutsche Vergangenheit: Zwei Freunde wollen aus der DDR in den Westen türmen, scheitern zunächst und schließen sich Neo-Nazi-Gruppen an. Der Film ist nach der Biographie des Ex-Neonazis Ingo Hasselbach entstanden, der auch am Drehbuch zum Film "Führer Ex" mitgewirkt hat.

Film Führer Ex Regie: Winfried Bonengel
„Führer Ex“Bild: presse

Der Regisseur Bonengel drehte vor zehn Jahren bereits den Film "Beruf: Neonazi". Damals warf man dem Regisseur vor, er hätte nicht die notwendige Distanz zum dem damals porträtierten Neonazi Althans erreichen können. Der neue Versuch Bonengels das schwierige Thema Neonazis in Deutschland im Film darzustellen, sorgte erneut für heftige Auseinandersetzungen. Er wollte zeigen, wie aus sensiblen und humorvollen jungen Menschen Nazis werden, so der Regisseur im Interview mit DW-WORLD.

Herr Bonengel, basiert ihr Film auf einer wahren Geschichte?

Die Bausteine des Filmes sind zu 60 Prozent reale Begebenheiten, die nicht unbedingt Ingo Hasselbach, sondern auch anderen Leuten widerfahren sind. Die Geschichte von Ingo Hasselbach war faszinierend und das wusste ich schon vor zehn Jahren, dass es ein interessanter Stoff wäre für ein Kinofilm. Ingo Hasselbachs Erfahrungen waren von unschätzbarem Wert, weil es sehr auf Authentizität ankam und wir möglichst keine Dinge zeigen wollten, die es nicht gegeben hat. Wir wollten wirklichkeitsgetreu sein und das war nur möglich, indem man ständig mit Zeitzeugen reden konnte, die diese Erfahrung gemacht haben.

Während der Recherche zum Film habe ich auch ehemalige SS-Verbrecher kennen gelernt. An denen habe ich mich orientiert, ohne Namen zu nennen. Und solche Typen hatten Einfluss gehabt auf Jugendliche. Das war für mich das Erschreckende.

Ist "Führer Ex" ein politischer Film?

Mich interessieren in erster Linie Emotionen und Tragik, Geschichten von realen Menschen. Ich gehe von einem einzelnen und von seiner Tragik aus und versuche sie so zu übertragen, damit ich und jeder Einzelne, der den Film sieht, überlegen würde, wie würde ich reagieren, wenn ich in seiner Position wäre. Aber ich gehe weniger von dem politischen Aspekt aus. Ich gehe vom Menschen aus. Für mich ist es in erster Linie ein Film über Freundschaft und nicht über Neonazis. Aber das ist natürlich auch ein politischer Film.

Warum sind gerade in Ostdeutschland Neonazis so stark?

Ich glaube nicht, dass es nur Ostdeutschland betrifft. Das ist ein Problem in ganz Deutschland, für Gesamteuropa und die gesamte Welt. Es gibt in allen Ländern Rechte. In Frankreich hat Le Pen 20 Prozent erreicht. In allen Ländern. haben Jugendliche, wenn sie sich als letztes Glied in der Gesellschaft fühlen, überhaupt keine Chance. Dann suchen sie nach noch Schwächeren, und das sind meistens Ausländer. Ich glaube, dass sie mittlerweile im Westen Deutschlands genauso stark sind.

Gerade in den ehemaligen kommunistischen Ländern, in denen die Menschen die vom Staat garantierte Sicherheit nicht mehr haben, spielen psychologische Gründe eine große Rolle...

Ein Land, das eine Mauer und einen Zaun um sich herum gebaut hat und seine Bürger daran hinderte, ins westliche Ausland zu gehen, das ist schon speziell. Die Leute haben aber einen großen Freiheitsdrang, den sie in dem Land nicht ausleben konnten und dann landen sie als unschuldige Menschen im Knast. Und dort kommt man in Berührung mit der neonazistischen Ideologie. Der Film zeigt, wie aus jungen unschuldigen, sensiblen Leuten zuerst Opfer und dann Täter werden. Jeder Mensch, der einmal Opfer war, kann meistens zum Täter werden in einer oder anderen Art und Weise. Das ist die Perversion am Opfer.