1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Geschenk gesucht? Hier wäre vielleicht eine Idee

Oliver Ristau
11. Dezember 2019

Kunsthandwerk ist eine wichtige Säule für lokale Wirtschaft und Arbeit in Schwellen- und Entwicklungsländern. In Kenia verkaufen mehr als 2000 Schmuckproduzenten ihre Ware online an Kunden in den USA und Europa.

https://p.dw.com/p/3UXlR
Kenia Nairobi Schmuck aus dem Slum
Bild: DW/O. Ristau

Veronica Rachiedo sitzt auf ihrem Schemel und treibt die Schleifscheibe an. Auf einem kleinen Platz eingerahmt von Wänden aus Wellblech rotieren auch die Maschinen ihrer Mitarbeiter. Zwei Kinder rennen kreischend vorbei. Es ist warm in Kibera, dem größten Slum Nairobis. Der Himmel wölbt sich blau über den Blechwänden. In der Luft: der Geruch von Metall.

Veronika Rachiedo bei der Arbeit
Veronika Rachiedo bei der ArbeitBild: Oliver Ristau

Veronica hat sich einen Ring vorgenommen, den sie polieren will. Die Kollegen arbeiten an Ohrringen, Ketten und Armreifen. Die 36jährige ist selbstständige Schmuckproduzentin. Sie stellt die Stücke aus Messing, Horn und Holz her. Ihre Kunden stammen aus Nairobi und dem Rest der Welt. Einer ihrer größten ist der Onlinehändler Soko. Die in Kenia gegründete und von San Francisco in den USA aus gesteuerte Firma bietet ihren Schmuck und den anderer kenianischer Kunsthandwerker über einen Onlineshop weltweit an.

Geschäftsfrau im Slum

Soko kauft vor allem hier ein, in Kibera, einem der größten Armenviertel Afrikas. Geschätzt leben in diesem Teil Nairobis rund eine Million Menschen. Veronica auch, mit ihrer Mutter und ihren Nichten. Sie zeigt die Gänge hinunter, tief in das Labyrinth aus Hütten hinein. "In diese Richtung, 20 Minuten". Obwohl sie mittlerweile fünf Mitarbeiter beschäftigt und monatlich rund 1000 Euro umsetzt, hat sie nicht vor, Kibera für eines der "besseren" Viertel Nairobis zu verlassen.

Weiterverarbeitung des Schmucks mittels Schleifstein
Letzter Schliff: Weiterverarbeitung des Schmucks mittels SchleifsteinBild: DW/O. Ristau

Nach Auskunft von Soko verdienen die Schmuckproduzenten rund fünfmal mehr wie der kenianische Durchschnittslohn. "Ich fühle mich hier wohl", sagt sie, auch wenn Gewalt in dem Slum keine Seltenheit ist. Anstrengend sei es, sich in der Männer dominierten kenianischen Welt als Frau, Unternehmerin und Arbeitgeberin zu behaupten. "Da muss man schon zäh sein und Härte zeigen", erklärt sie und lacht.

Auto? Lieber Maschinen für die Firma

Um die Ecke arbeiten Nicholas Origi und sein Partner in ihrer Werkstatt. Ein paar Schemel, Werkzeuge, eine Werkbank und ein Schweißgerät mit Schutzblech. Der Boden ist gestampfter Lehm, die Wände aus Holz und grün gestrichen. Es ist sauber und aufgeräumt. Vor zwei Jahren haben Nicholas und sein Freund aus der Not eine Tugend gemacht. "Wir hatten unseren Job bei einer Handelsfirma verloren", erinnert er sich. "Heute bin ich für die Entlassung dankbar." Denn das Geschäft brummt.

Mit seinen Einnahmen hat er die Maschinen innerhalb von zwei Jahren abbezahlt, die Soko ihm vorfinanziert hatte. Nein, ein Auto oder eine Reise seien nicht das, was er mit seinem Geld künftig kaufen wolle, sagt Nicholas. "Ich wünsche mir für die Zukunft, vor allem mein Geschäft weiter auszubauen. Ich will als nächstes in eine Schneidemaschine investieren."

Überall Internet

Unternehmerisches Denken ist nicht das Einzige, das im Slum von Kibera zu finden ist. Auch Internet scheint es überall zu geben. Für die Schmiede ist das wichtig, denn sie erhalten ihre Aufträge von Soko online auf ihr Telefon.

So wie auch Stephen Mikima und Erick Odhiambo, die ihre Werkstätten am Stadtrand von Nairobi, in der Kleinstadt Ongata Rongai unterhalten. Stephen lebt ausschließlich von den Aufträgen, die Soko ihm auf sein Smartphone überspielt. Davon unterhält er eine siebenköpfige Familie und bezahlt seine vier Mitarbeiter, die fleißig Schmuck schmieden, entgraten und polieren.

Erick Odhiambo vor seinem Schmelzofen
Erick Odhiambo vor seinem SchmelzofenBild: Oliver Ristau

Glühendes Metall

Nach Abzug aller Kosten bleibt Erick ein Gewinn von 30 bis 50 Prozent seines Umsatzes, der zwischen 500 bis 1000 Euro im Monat liegt. Dafür deckt der 32jährige wie alle selbstständigen Schmuckproduzenten die komplette Wertschöpfungskette ab - vom Rohstoff bis zum fertigen Schmuck. Was das heißt, zeigt er in einem engen Wellblechverschlag. Drinnen glüht ein Stück Messing in einer Feuerstelle, darüber hängt ein Schlauch, der Brennstoff aus einer Paraffinflasche zuführt. Das flüssige Metall glüht orange, das Erick mit einer Kelle aus der Esse schöpft und in eine Form gießt, die er zuvor selbst hergestellt hat - aus Sand und Melasse als Bindemittel.

Ruhige Hand: Stephen Mikima lötet einen Stecker an einen Ohrring
Ruhige Hand: Stephen Mikima lötet einen Stecker an einen OhrringBild: Oliver Ristau

Nachfrage für afrikanischen Schmuck

"Kunsthandwerk hat in Kenia Tradition und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Land", sagt Joanna Calabrese. Die US-Amerikanerin ist Vorstandsvorsitzende von Soko und fliegt alle paar Wochen von San Francisco nach Nairobi, wo rund 30 Mitarbeiter tätig sind, die die Kontakte mit den Produzenten unterhalten, den Schmuck final behandeln und weltweit verschicken.

Die drei Gründerinnen der Firma aus den USA und Kenia hätten erkannt, dass es für afrikanischen Schmuck in den USA eine Nachfrage gibt, gerade unter Käuferinnen, die wissen wollten, woher der Schmuck kommt, erzählt Calabrese. Rund drei Viertel der Ware werde aktuell in den USA abgesetzt. In Deutschland unterhalte Soko eine Kooperation mit Zalando.

Fertiges Stück: Schmuck made in Kibera
Fertiges Stück: Schmuck made in KiberaBild: DW/O. Ristau

App und Algorithmen

Die Bestellungen laufen automatisiert in der Firmenzentrale in Nairobi auf. Dort wählt das System automatisch nach verschiedenen Parametern aus, welche Schmiedin, welcher Schmied die Stücke produzieren soll. Auch dabei kommt kenianisches Know-how zum Einsatz. Die App und das gesamte Auftragssystem mit seinen Algorithmen ist vom eigenen IT-Team entwickelt worden. Zehn junge Frauen und Männer sind bei Soko dafür zuständig.

Ketten für Michelle Obama

Nur das Design stammt aus den USA und Europa. Nach diesen Vorgaben fertigen die Frauen und Männer in Kenia die Preziosen. Weil keine Edelmetalle enthalten sind, ist der Schmuck erschwinglich. „Im Durchschnitt kostet ein Stück 68 Dollar", sagt die Soko-Chefin. Dass er zugleich auch stilistisch ankommt, dafür liefert ihr Büro ein überzeugendes Argument. An der Wand hängt das Titelbild eines amerikanischen Lifestyle-Magazins. Die Ausgabe zeigt ein Foto von Michelle Obama. Die einnehmend lachende Frau trägt Messing-Ketten aus Kenia von Soko.