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Angst vor Zuwanderung

28. Juli 2011

Seit der Krise suchen Fachkräfte aus Südeuropa Arbeit. Deutschland dagegen sucht dringend Fachkräfte. Die Arbeitsagenturen wollen Angebot und Nachfrage zusammenzubringen - und stoßen auf Widerstand.

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Schild mit der Aufschrift "Zuwanderer willkommen", wobei der Schriftzug rot durchgestrichen ist (Fotomontage: DW)
Bild: DW [M]

"Es gibt keinen 'Fachkräftemangel' in Deutschland": Das war nur eine Reaktion eines Lesers auf einen Onlineartikel der angesehenen Süddeutschen Zeitung. "Die Firmen jammern über eine Misere, die sie selbst erzeugt haben. Sollten mal auf dem Arbeitsamt vorbeischauen, da treffen sie bestimmt ehemalige Mitarbeiter", postet ein anderer. Seit letzter Woche steht es in allen deutschen Zeitungen: Die Bundesagentur für Arbeit wirbt verstärkt um qualifizierte Zuwanderer - vor allem aus Spanien und den Krisenländern Portugal und Griechenland.

Die zur Bundesagentur für Arbeit gehörige Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) vermittelt schon seit fast zwei Jahrzehnten Fachkräfte über Grenzen hinweg. Früher wurden jedoch vor allem deutsche Fachkräfte ins Ausland vermittelt, nun hat sich der Spieß umgedreht. Jetzt sollen Fachkräfte nach Deutschland kommen. Und die Reaktion bei den Deutschen ist überwiegend die: Wollen wir nicht. Und das gilt nicht nur für Reaktionen im World Wide Web.

Ablehnende Haltung

Eine Frau schaut sich in einer Bundesagentur für Arbeit in Berlin die Stellenangebote an (Foto: AP)
Der Aufschwung bringt Stellen - die oft unbesetzt bleibenBild: AP

In einer wöchentlichen Radiosendung fordert der Moderator die Zuhörer auf anzurufen: "Wie sehen Sie die Bemühungen, ausländische Bewerber anzuwerben und abzuwerben? Rufen Sie mich an, sagen Sie mir Ihre Meinung." Und die Zuhörer lassen nicht lange auf sich warten: Mit "gemischten Gefühlen" steht eine Frau dem Werbefeldzug der Bundesagentur für Arbeit gegenüber. Ein Arzt brummt in den Hörer, dass die Deutschen ihren "Nachwuchsmangel selbst bereinigen können", ohne fremde Hilfe aus dem Ausland. Und ein Dritter ist der festen Überzeugung, dass die Ausländer nur die Löhne drücken sollen - ganz nach dem Geschmack der Arbeitgeber.

Zuwanderung ist negativ besetzt

Die ZAV hat 17.000 Spanier ausgemacht, die grundsätzlich bereit sind, in Deutschland zu arbeiten. Sie haben sich in eine Datenbank eingetragen. 17.000 - für viele Deutsche klingt das nach einer Flut neuer Arbeitskräfte, die ins Land drängen. Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), lässt diese reflexartige Abwehrreaktion unter den Deutschen regelmäßig verzweifeln: "Jeder qualifizierte Zuwanderer nimmt niemandem einen Arbeitsplatz weg, sondern der sorgt dafür, dass das Nachfrageniveau eher steigt", sagt er und klingt dabei so, als hätte er dies schon zu oft gesagt.

Portugiesische Flagge
Aus Portugal möchte die ZAV vor allem Pflegekräfte anwerben

Das IZA geht davon aus, dass eine qualifizierte Fachkraft nicht nur Arbeit für weitere qualifizierte Arbeitnehmer schafft, sondern darüber hinaus bis zu drei zusätzliche Arbeitsplätze für Geringqualifizierte bringt. Und noch einen Effekt hat das IZA ausgemacht: Während die erhöhte Nachfrage nach Geringqualifizierten deren Löhne steigen lässt, bleiben die Löhne für Fachkräfte gleich oder sinken etwas, weil sich Fachkräfte aus dem Ausland anbieten - die Einkommensverteilung gleicht sich etwas an.

Deutschland hat den Anschluss verpasst

Die 17.000 Spanier findet Schneider deshalb zu wenig und nicht zu viel. Denn letztlich würden von denen maximal 1500 nach Deutschland kommen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagt Schneider, der davon ausgeht, dass in den nächsten dreißig Jahren 300.000 bis 500.000 Arbeitskräfte in Deutschland fehlen werden - jedes Jahr. Bei der Suche nach geeigneten Fachkräften aus dem Ausland sei Deutschland schon längst von Ländern wie Großbritannien oder Skandinavien abgehängt worden: "Wir kriegen die Zuwanderer gar nicht mehr in dem Umfang, wie es nötig wäre", sagt Schneider im Gespräch mit DW-WORLD.DE.

Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) (Foto: Hilmar Schneider)
Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA)Bild: Hilmar Schneider

Beate Raabe von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung rechnet wegen der Krise in Südeuropa zwar mit guten Chancen bei der momentanen Suche nach Fachkräften, aber dass die Suche nach geeigneten Fachkräften in Europa auf Dauer schwierig wird, glaubt auch sie. Schon heute werde deutlich, dass sich der Bedarf an Fachkräften in den europäischen Ländern ähnle. Einmal von den Krisenländern abgesehen, suchten schon heute alle nach Fachkräften im Gesundheitsbereich, nach IT-Spezialisten oder Ingenieuren. "Und das bedeutet, dass diese Berufsgruppen in ihrem jeweiligen Land Arbeitsmöglichkeiten haben", resümiert Raabe, "und die Mobilitätsbereitschaft an der Stelle abnehmen könnte."

Die Politik kneift beim Thema Zuwanderung

EURES-Logo
Die ZAV arbeitet bei der Arbeitsvermittlung im Netzwerk EURES mit europäischen Partnern

Es wird nicht einfach dieses Problem in den Griff zu bekommen, da ist sich Schneider vom IZA sicher. Auf die Politiker hofft er nicht mehr. Wer sollte sich von denen auch für Zuwanderung stark machen, wenn damit Wahlen nur zu verlieren sind? Und dass Deutschland ausländische Fachkräfte nicht besonders willkommen heißt, hat sich auch im Ausland herumgesprochen. Hinzu kommt die Sprache Deutsch, die an Schulen im Ausland oft gar nicht angeboten wird oder nicht gefragt ist. Und während in Großbritannien oder Skandinavien den ausländischen Fachkräften eine Wohnung und ein Platz im Kindergarten gesucht werden, muss der Einwanderer hierzulande alles alleine regeln.

Beate Raabe glaubt allerdings, dass die Unternehmen in Zukunft daran etwas ändern werden, weil ihnen die Bewerber ausgehen und sie um geeignete Kandidaten buhlen müssen. "Stichwort: Vereinbarkeit von Familie und Beruf", sagt Raabe zu DW-WORLD.DE, "ein Arbeitgeber, der das anbietet, ist attraktiv."

Hilmar Schneider ist von solch einer positiven Wende allerdings nicht überzeugt. Wenn die Fachkräftesuche zu anstrengend wird, dann könnten die Unternehmen ja auch einfach dorthin gehen, wo die qualifizierten Arbeiter sind.

Autorin: Jutta Wasserrab
Redaktion: Henrik Böhme