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Gericht rügt erneut Sicherungsverwahrung

13. Januar 2011

Wieder ist Deutschland für seine Praxis der Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter gerügt worden. Der Gerichtshof für Menschenrechte gab vier Sexualstraftätern Recht, die nach Ende der Haft nicht frei kamen.

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Ein Justizvollzugsbeamter öffnet eine Zellentür (Foto: AP)
Eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung muss im Urteil vorgesehen seinBild: AP

Ein weiteres Mal muss Deutschland eine Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) einstecken. Die Praxis der Sicherungsverwahrung sei rechtswidrig, urteilte das Straßburger Gericht am Donnerstag (13.01.2011).

Die Richter gaben vier Sexualverbrechern Recht, die ihre Freiheitsstrafen zwar abgesessen, aber nicht auf freien Fuß gesetzt worden waren. Sie waren von der deutschen Justiz als gefährlich eingestuft worden. Ihnen wurden nun Entschädigungen von 70.000 Euro, 30.000 Euro und 25.000 Euro zugesprochen, die die Bundesrepublik an sie zahlen muss.

Nachträgliche Anordnung beanstandet

Gebäude des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (Foto: dpa)
Das Straßburger Gericht hatte Deutschland Ende 2009 schon einmal verurteiltBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Erstmals beanstandete der Gerichtshof aber nicht nur die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung, sondern auch deren nachträgliche Anordnung. Nur wenn die Unterbringung bereits im Urteil ausgesprochen oder angedroht wurde, könne sie verhängt werden. Damit liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit und das sogenannte Rückwirkungsverbot ("Keine Strafe ohne Gesetz") vor.

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von 13 Monaten, dass Deutschland wegen der nachträglichen Sicherungsverwahrung verurteilt wird. Bisher ging es um die nachträgliche Streichung der Zehnjahresfrist bei der Sicherungsverwahrung.

Die Änderung von 1998 hatte zur Folge, dass Verwahrte, die noch unter Geltung der Höchstgrenze verurteilt wurden, auf unbestimmte Zeit weiter festgehalten wurden.

Verstoß gegen Menschenrechtskonvention

Ein Häftling in einer Beobachtungszelle der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf blickt durch die Gitterstäbe nach draußen (gestelltes Foto: dpa)
Gefährliche Straftäter sollen nach der Haft nicht automatisch freikommenBild: Picture-Alliance /dpa

Im Dezember 2009 erklärte der EGMR diese Praxis erstmals für konventionswidrig, da es sich um eine rückwirkend verhängte Strafe handele. Diese Auffassung bestätigten die Richter jetzt und gaben in Parallelverfahren drei weiteren Klägern recht, die über die Zehnjahresgrenze hinaus in Verwahrung geblieben waren.

In einem vierten Fall erklärte der EGMR nun auch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Der inzwischen 76-jährige Sexualstraftäter Albert H. aus Bayern war erst in Sicherungsverwahrung genommen worden, als er seine dreieinhalbjährige Strafe verbüßt hatte.

Grundsätzlich ist nachträgliche Anordnung erlaubt

Diese gesetzliche Möglichkeit der nachträglichen Anordnung war neu geschaffen worden, und das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte sie grundsätzlich gebilligt. Dagegen hatte Albert H. geklagt und das, wie sich nun zeigt, mit Erfolg.

Trotzdem kann er vermutlich nicht mit Freilassung rechnen. Denn er befindet sich derweil in der geschlossenen Psychiatrie und gilt als krank. Im rechtlichen Sinn unterliegt er damit nicht mehr der Sicherungsverwahrung.

Autorin: Eleonore Uhlich (afp,dpa, dapd)
Redaktion: Ursula Kissel