Georgiens bisherige Präsidentin Surabischwili muss abtreten
Veröffentlicht 29. Dezember 2024Zuletzt aktualisiert 29. Dezember 2024Der neue Präsident Michail Kawelaschwili hat mit einer feierlichen Zeremonie im Parlament sein Amt angetreten. Der 53-Jährige legte in der Hauptstadt Tiflis den Eid auf Bibel und Verfassung ab. Er schwor, den Interessen Georgiens zu dienen. Der prorussisch orientierte Kawelaschwili ist seit 2016 Abgeordneter im georgischen Parlament.
Die prowestliche Staatschefin Salome Surabischwili erklärte vor Anhängern, dass sie den Präsidentensitz zwar verlasse, aber ihre Legitimität mitnehme. Sie erkennt die Wahl Kawelaschwilis vom 14. Dezember nicht an und fordert mit Unterstützung von Massenprotesten Neuwahlen. Vor der Residenz versammelten sich am Morgen Tausende Anhänger, um Surabischwili zu stützen.
Die Rolle von Salome Surabischwili als Präsidentin der Südkaukasusrepublik Georgien war überwiegend symbolischer Natur, mit allenfalls eingeschränkten Befugnissen.
In den vergangenen Wochen ist Surabischwili jedoch zum Gesicht der landesweiten pro-europäischen Proteste geworden, die sich gegen die Regierung wenden und die sie als "Widerstandsbewegung gegen die pro-russische Regierung" bezeichnet.
Seit fast einem Monat gehen Hunderttausende Georgier auf die Straßen der Hauptstadt Tiflis und anderer Städte, um ihrer Wut über das umstrittene Wahlergebnis vom Oktober und den Entschluss der Regierung, die Beitrittsgespräche mit der EU auszusetzen, Luft zu machen. "Russen" und "Sklaven" skandierend trotzen die Demonstrierenden Minustemperaturen, Wasserwerfern, Tränengas und brutalen Polizeieinsätzen.
Seit dem dramatischen Wandel der Regierungspartei Georgischer Traum in eine autoritäre Partei betrachten pro-westlich gesinnte Georgier Surabischwili als letzten Hoffnungsschimmer. Wer also ist die bisherige Präsidentin und was ist ihr Ziel?
Erst französische Diplomatin, dann georgische Präsidentin
Salome Surabischwili wurde in Paris geboren, als Kind georgischer Emigranten, die aus politischen Gründen ausgewandert waren. Als 1921 die Rote Armee in Tiflis einmarschierte, um das unabhängige Land dem Sowjetimperium einzuverleiben, war es ihrer Familie gelungen, die Demokratische Republik Georgien zu verlassen.
Sie studierte an Top-Universitäten in Paris und New York und schien nach dem Erwerb ihrer Abschlüsse für hohe Ämter bestimmt. Über 30 Jahre lang widmete sie sich der Diplomatie und wurde an französische Vertretungen in den Vereinigten Staaten, Italien und Tschad entsendet. Als französische Botschafterin in Georgien kehrte sie schließlich in das Land ihrer Vorfahren zurück.
2004 ernannte sie der georgische Präsident mit dem Einverständnis des französischen Präsidenten zur Außenministerin Georgiens. Während ihrer Amtszeit unterzeichnete Surabischwili wichtige Vereinbarungen mit der NATO und der EU und verhandelte den Teilabzug russischer Truppen von georgischem Gebiet.
Ehemals eng verbundene Gegner
Surabischwili schien einst eine treue Anhängerin der Partei Georgischer Traum zu sein. Einige Beobachter glauben, der Gründer der Partei, Bidsina Iwanischwili, ein Milliardär, der seinen Reichtum in den Neunzigern in Russland anhäufte, habe ihr geholfen, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
"Die Präsidentschaft hat sie in großen Teilen Iwanischwili zu verdanken. Aus diesem Grund ignorierte sie in den ersten Jahren ihrer Amtszeit verschiedene Entwicklungen. Aber sie hat ihre roten Linien", erklärt Gia Chuchaschwili, ein ehemaliger Berater Iwanischwilis der DW.
Die Dynamik zwischen Surabischwili und der Partei veränderte sich, als nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die Abkehr des Georgischen Traums vom Westen und die Zuwendung zu Russland deutlicher wurden. Das Land, dessen Bevölkerung zu 80 Prozent einen Beitritt in die EU unterstützt, richtet seine Politik nun immer mehr an Moskau aus.
"Sie stand vor der Wahl zwischen ihren persönlichen Verpflichtungen Iwanischwili gegenüber oder ihren demokratischen Werten und entschied sich dafür, sich und der europäischen Zukunft ihres Landes treu zu bleiben"; so Chuchaschwili.
Der Georgische Traum sieht sich als einzige Partei, die einen weiteren Krieg mit Russland verhindern kann, einem Nachbarn, der bereits Teile des Landes besetzt hält.
Betrugsvorwürfe und Ruf nach Neuwahlen
Nach der umstrittenen Parlamentswahl im Oktober und der Entscheidung der Regierung, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, erreichte die Auseinandersetzung eine neue Stufe. Surabischwili, Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Gruppen warfen der Regierung vor, die Wahlen manipuliert zu haben und bezeichneten sie als "illegitim".
Im Abschlussbericht der Wahlbeobachtungsmission von OSZE/ODHIR werden ähnliche Bedenken bezüglich der "Unabhängigkeit der Institutionen" und des "Drucks auf Wähler" geäußert.
"Die zahlreichen in unserem Abschlussbericht festgestellten Probleme wirkten sich negativ auf die Integrität dieser Wahlen aus und untergruben das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Prozess", heißt es in dem Bericht.
"Es muss neue, freie und faire, Wahlen geben", insistiert Surabischwili. "Das ist nicht verhandelbar." Trotz der Rufe nach einer internationalen Untersuchung streitet die Partei Georgischer Traum vehement ab, dass die Verstöße das Wahlergebnis beeinflusst hätten, und wirft bisheriger Präsidentin und Oppositionsparteien vor, ihre Niederlage nicht zu akzeptieren. Im Alleingang wählte sie einen neuen Präsidenten. Michail Kawelaschwili ist am Morgen des 29. Dezember als nächster Präsident Georgiens vereidigt worden. Er ist ein ehemaliger Fußballstar, der bei Manchester City spielte und für aggressive antiwestliche Äußerungen und seine Begeisterung für die Verbreitung von Verschwörungstheorien bekannt wurde.
Wie reagiert der Westen?
Zwar fordern einige westliche Länder eine unabhängige Untersuchung des angeblichen Wahlbetrugs und verurteilen die gewaltsame Niederschlagung der Proteste nach den Wahlen, doch insgesamt fallen die Reaktionen eher verhalten aus.
Das Außenministerium der USA verhängte am Freitag Sanktionen gegen Bidsina Iwanischwili, die treibende Kraft hinter der Regierungspartei Georgischer Traum, mit dem Hinweis, dieser untergrabe "die demokratische und euro-atlantische Zukunft Georgiens zugunsten der Russischen Föderation".
Laut Bidzina Lebanidze von der Forschungsorganisation Georgian Institute of Politics (GIP) wird die Reaktion des Westens wohl davon abhängen, wie umfassend und ausdauernd die Proteste sein werden. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die westlichen Länder schließlich mit der Realität vor Ort abfinden und die Legitimität der Regierung anerkennen werden.
"Anzeichen dafür gab es schon mit dem Besuch des Generalsekretärs des Europarats Alain Berset, der Georgien besuchte und bereit zu sein scheint, auf die eine oder andere Art mit der Regierung der Partei Georgischer Traum zusammenzuarbeiten", räumt Nino Khelaia, Politikwissenschaftlerin aus Tiflis, ein.
Surabischwili verlässt Präsidentensitz - wie geht es weiter?
"Ich bin hier und ich werde hier bleiben, denn dieses Land benötigt dringend eine legitime Institution", sagte Surabischwili kürzlich in einer öffentlichen Rede, in der sie nahelegte, dass andere staatliche Institutionen von der Regierungspartei "gekapert" worden seien.
Einigen Experten zufolge nimmt Surabischwili eine einzigartige Position ein, die unabhängig ist vom Georgischen Traum und der Opposition und es ihr erlaubt, die öffentliche Unzufriedenheit zu kanalisieren. Doch es bleibt die Frage, ob es ihr gelingen kann, von einer symbolischen Führungsfigur zu einer "proaktiven Oppositionsführerin" zu werden.
"Die Protestierenden brauchen eine starke politische Führung und Surabischwilis zögerliche und unvollständige Annahme dieser Rolle droht, die Bewegung an diesem kritischen Punkt zu gefährden", meint Lebadnidze.
"Wir werden sehen, wo sie in Zukunft leben wird, ob hinter Gittern oder in Freiheit", sagte Ministerpräsident Irakli Kobachidse und deutete an, dass es womöglich für niemanden wünschenswert sei, "eine 72-jährige Surabischwili ins Gefängnis zu schicken".
Bei erneuten Massenkundgebungen am Samstag rief Surabischwili die Teilnehmer auf, am nächsten Tag zum Präsidentenpalast zu kommen. Sie hat versprochen, ihr Amt weiter zu beanspruchen und im Land zu bleiben. Viele Anhänger hatten gehofft, dass die Politikerin im Palast bleibt und von dort aus weiter kämpft.
Bereits am Dienstag bekräftigte sie in einer ihrer nahezu täglichen Ansprachen: "Die Verfassung wurde mit Füßen getreten, aber sie hat standgehalten, so wie Georgien standhält. Mir bleibt nichts anderes, als der Verfassung weiter zu dienen und ihr treu zu bleiben."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo. Der Beitrag wurde nach dem Amtsantritt Michail Kawelaschwilis ergänzt und aktualisiert.