Georgien: Abtrünnige Republik Südossetien hält Referendum ab
9. November 2006Unabhängigkeits-Referendum wird die Abstimmung am kommenden Sonntag (12.11.) genannt. Praktisch losgelöst von Georgien hat sich die selbst ernannte Republik Süd-Ossetien bereits seit zu Beginn der 90er Jahre in einem blutigen Bürgerkrieg. Die Osseten, ein eigenes Volk mit eigener Sprache, wollten damals nicht länger zu Georgien gehören, und sie wollen es auch heute nicht. Viel lieber wären sie ein Teil des benachbarten Russland. Denn dort, in der russischen Kaukasus-Republik Nord-Ossetien, leben ebenfalls Osseten. Mit diesem "Brudervolk" möchten sich die Süd-Osseten zusammenschließen. Und genau das soll das aktuelle Referendum erreichen: den lang ersehnten Anschluss an Russland.
Russland als Schutzmacht
Russland ist für Süd-Ossetien eine Art Schutzmacht, die Verbindungen sind äußerst eng, nicht nur im wirtschaftlichen Bereich. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung Süd-Ossetiens sollen bereits über einen russischen Pass verfügen, es gilt der russische Rubel, das russische Mobilfunknetz. Gleichzeitig stellt Moskau einen Teil der Friedenstruppe, die den Waffenstillstand in der Region überwacht. Russland tritt also gleichzeitig als Konfliktpartei und Vermittler auf.
Diese Doppelfunktion sorgt immer wieder für Kritik, nicht nur auf georgischer Seite. Uwe Halbach, Kaukasus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, beurteilt die Lage folgendermaßen: "Das ist natürlich eine sehr, sehr fragwürdige Rolle, die Russland hier bei der Lösung, bei der Vermittlung in Sezessionskonflikten spielt. Und solange die abtrünnigen Gebiete Georgiens diesen Rückhalt Russlands finden, wird es für Georgien natürlich äußerst schwer sein, das Programm der Wiederherstellung territorialer Integrität wirklich zu Ende zu führen."
Die territoriale Integrität des Landes wieder herstellen - das ist das erklärte Ziel des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Dass seine Regierung dieses Ziel noch nicht erreicht hat, liegt aus Sicht der Georgier vor allem an den Russen. Ihnen wirft man eine "schleichende Annexion" der abtrünnigen Gebiete vor - neben Süd-Ossetien zählt dazu auch Abchasien im Westen des Landes.
Kosovo als Präzedenzfall
Neuen Schwung erhält die Diskussion über die abtrünnigen Gebiete durch die Verhandlungen über den Status des Kosovo. Viele russische Politiker, darunter Präsident Putin selbst, sprechen bereits von einem Präzedenzfall: Wenn man dem Kosovo die Unabhängigkeit gewähre, so könne man sie den Osseten und Abchasen nicht verwehren. Eine Argumentation, die Russland letztendlich schaden könnte, meint der deutsche Russland-Experte Jörg Himmelreich vom amerikanischen Forschungszentrum "Global Marshall Fund": Er sagt: "An sich sind das natürlich völlig unvergleichbare Entwicklungen, und am Ende wird Russland sich dabei sozusagen ins eigene Knie schießen. Denn wenn man Südossetien einen unabhängigen Status gibt wie dem Kosovo, werden sicherlich auch andere autonome Teile des Nordkaukasus, die zurzeit zum Territorium Russlands gehören, solche Bemühungen sicher auch anstreben."
Gemeint ist damit zum Beispiel Tschetschenien. Der Krieg mit Russland um die Unabhängigkeit der Kaukasus-Republik dauert seit Jahren an. Doch trotz aller Andeutungen und Gedankenspiele: Das offizielle Moskau bleibt betont vage, wenn es um einen möglichen Anschluss Süd-Ossetiens an Russland geht. Der russische Präsident Wladimir Putin antwortete in einer TV-Sendung auf eine entsprechende Frage so: "Was den Anschluss irgendwelcher Gebiete an die Russische Föderation anbelangt, so muss ich sagen, dass wir nicht danach streben, das russische Territorium auszuweiten. Sogar nach dem Zerfall der SU bleibt Russland das flächenmäßig größte Land der Welt. Das ist uns genug."
Ein Anschluss an Russland würde international für erhebliche Irritationen sorgen - nach dem Völkerrecht ist Süd-Ossetien noch immer ein Teil Georgiens. Eine Lösung des Konflikts wird wohl auch nach dem Referendum nicht in Sicht sein.
Britta Kleymann
DW-RADIO/Osteuropa, 9.11.2006, Fokus Ost-Südost