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Geist und Geld

Ingun Arnold8. November 2002

Deutsche Forscher gingen leer aus bei der Nobelpreisvergabe 2002. Zu wenig Innovation, so der gängige Vorwurf an die Hochschulen. Auch in Sachen Patentverwertung hapert es: Nicht selten geht Know-How verschütt.

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Geistiges Kapital darf nicht verschleudert werden

Wo geforscht wird, stößt man auf Neues: Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gehört zu den patentfreudigsten Hochschulen Deutschlands. Damit keine Erfindung in den Schubladen verstaubt, kümmert sich – wie an allen anderen bayerischen Universitäten auch – ein "Erfinderberater" um die innovativen Köpfe. Berater Rolf Kapust weiß, worauf es bei der Pflege einer Ideenschmiede ankommt: Er hält selbst acht Patente. Doch die Patentausbeute der deutschen Hochschulen insgesamt ist eher mager.

Seltene Sache Patent

Nur vier Prozent aller Anmeldungen beim Deutschen Patent- und Markenamt werden von Hochschulen eingereicht. Meistens fehlt es an Geld: Die Kosten für Anmeldung eines europäischen Patents in allen 15 Mitgliedstaaten belaufen sich derzeit nach Angaben der Europäischen Kommission auf etwa 170.000 Euro.

Außerdem galt bis Anfang 2002 das "Hochschullehrerprivileg": Professoren, Dozenten, Assistenten und Diplomanden hatten das Recht, ihre Erfindungen auf ihren eigenen Namen patentieren zu lassen. Doch nicht selten scheuten auch sie die Investition: Das Renommeé eines Wissenschaftlers wird in Deutschland an der Zahl seiner Veröffentlichungen und nicht an der Zahl der Patente gemessen. Obendrein werden viele Chancen auf Patente aus Unwissenheit und falschem Ehrgeiz vergeben.

Ideenverkauf zu Dumpingpreisen

"Wenn die Hochschulen ihre Prototypen freizügig auf Messen präsentieren, sind die Japaner immer schon zur Stelle und fotografieren ganz unverschämt", ärgert sich Bernd Risch vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln über verschenktes Potential. Ist eine Idee erst einmal veröffentlicht, kann darauf in Deutschland kein Patent mehr vergeben werden. Außerdem kennen sich nur wenige Professoren im Patentrecht aus. "Die werden auch schon mal von einem Patentanwalt über den Tisch gezogen und geben ihre Erfindungen für 'nen Appel und’n Ei aus der Hand", gibt Risch im Gespräch mit DW-WORLD zu bedenken.

Einen Ausweg aus der Misere verspricht sich das Bundesforschungsministerium von einer großangelegten "Verwertungsoffensive": Das "Hochschullehrerprivileg" wurde abgeschafft. Stattdessen kümmern sich jetzt in jedem Bundesland professionelle Agenturen um die Anmeldung der Patente und ihre wirtschaftliche Verwertung – doch von heute auf morgen bringen auch sie keine Erfolge. "Das ist ein eher schwerfälliger Prozess: Deutschland ist restriktiv, konservativ, will Rechtsanwälte und Formalitäten", weiß Bernd Risch. Doch damit nicht genug.

"...und führe uns nicht in Versuchung"

Es gibt Professoren, die die neue Richtlinie gewieft umgehen. "Da werden auf einmal obskure Firmen gegründet – Geschäftsführerin ist dann rein zufällig die Ehefrau des Professors –, die erhalten exklusive Forschungsaufträge und alle Rechte an den Patenten", beschreibt Antonio Martinez von der Patentverwertungsagentur Mecklenburg-Vorpommern einen der beliebtesten Schleichwege.

Und auch eine ganz andere Art von Ideen-Missbrauch ist nicht selten: Professoren mit guten Kontakten zur Industrie schließen gerne lukrative Beraterverträge ab. "Und da heißt es dann schlicht: 'Was auch immer an Erfindungen im Rahmen der Beratertätigkeit anfällt, darf allein der Industriepartner verwerten'", erläutert Ingo-Hagen Puhlmann von der Fraunhofer Patentstelle für die Deutsche Forschung auf Nachfrage von DW-WORLD. Das Unternehmen zahlt dann nur eine "Aufwandsentschädigung" an den Professor - die Hochschule geht vollkommen leer aus.

Mit diesen und anderen Wettbewerbsverzerrungen, die in Deutschland gang und gäbe sind, beschäftigt sich inzwischen sogar die Europäische Kommission. "Die Universitäten haben es bis jetzt nicht geschafft, ihre Interessen gegenüber der Industrie sinnvoll zu vertreten", kritisiert Patentverwerter Martinez im Gespräch mit DW-WORLD. "Schön wäre es, wenn die Hochschulen verantwortungsvoller mit ihren Erfindungen umgehen würden und sie nicht nur als lästiges Beiwerk betrachteten", hofft auch Ingo-Hagen Puhlmann. Aber zehn bis 20 Jahre werden dafür wohl noch ins Land gehen.