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"Gefahr, dass Nordkorea Atomwaffen einsetzt"

Das Interview führte Martin Schrader10. Februar 2005

Nordkorea hat erstmals zugegeben, dass es über Atombomben verfügt. Wie gefährlich ist das Land? Wer ist bedroht? DW-WORLD sprach darüber mit dem Asien-Experten Patrick Köllner aus Hamburg.

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Kim II Sung beherrscht das LandBild: AP

DW-WORLD: Wie glaubwürdig ist Nordkoreas Ankündigung, dass das Land über Atombomben verfügt?

Patrick Köllner: Es ist auf jeden Fall so, dass Nordkorea über genügend atomwaffenfähiges Material verfügt, um solche Atomwaffen herzustellen. Nun braucht es mehrere Dinge dazu: Sie brauchen das Plutonium, Sie brauchen entsprechende Lenkwaffen, mit denen sie das waffenfähige Material transportieren können, und sie brauchen einen funktionsfähigen Zünder. Das setzt einige technische Fähigkeiten voraus. Insbesondere beim Zündungsmechanismus bestehen noch Zweifel. Es ist aber von außen unmöglich, diese Zweifel auszuräumen. Das wäre erst möglich, wenn Nordkorea einen Waffentest durchziehen würde.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nordkoreas Regierung pokert - man sagt, man habe eine Bombe, hat sie aber gar nicht?

Wir können davon ausgehen, dass Nordkorea einsatzfähige Atomwaffen hat. Wir wissen auch, dass sie über Kurz- und Mittelstreckenraketen verfügen. Die Frage ist, ob sie beides kombinieren können; also, ob sie die Atombomben auch transportieren und ins Ziel bringen können.

Wieviel Spaltmaterial hat das Land, und wie viele Atombomben?

Es ist die Frage, was mit dem Plutonium passiert ist, das seit der Entsiegelung des Atomreaktors in Yongbyon entfernt worden ist und ob eine Aufbereitung stattgefunden hat. Die Nordkoreaner sagen selbst, sie hätten das Material wieder aufbereitet. Wenn tatsächlich alle 8000 Brennstäbe aufbereitet werden sollten, dann würden zu den ein bis zwei Bomben, von denen man sowieso allgemein ausgeht, noch etwa fünf dazu kommen. Dann wären wir schon bei wenigstens sechs. Und bei Weiterführung der Anlage, würde jedes Jahr eine dazu kommen. Ab Mitte des Jahrzehnts soll dann auch noch das Uranprogramm Nordkoreas einsatzfähig sein. Hier könnten dann entsprechend weitere Waffen entstehen.

Aber die Chancen des Landes, atomwaffenfähiges Material zu exportieren oder gar eine Atom-Rakete abzuschießen und ins Ziel zu bringen, ohne sofort selbst abgeschossen und angegriffen zu werden, sind doch sehr gering?

Ja, sicherlich wissen die Nordkoreaner auch, sollten sie spaltbares Material weiter geben, dass sie damit eine rote Linie überschreiten würden und dass das zur Auslöschung des gesamten Staates führen könnte. Das weiß man dort sehr genau. Es besteht also die Gefahr, dass Nordkorea Atomwaffen einsetzt, wenn es mit dem Rücken zur Wand steht und die Führung des Landes keine anderen Optionen sieht, in denen das Land besser gestellt wäre - wenn man also nichts mehr zu verlieren hat. Das wäre eine Situation, in der überhaupt ein Einsatz auch nur denkbar wäre.

Welche Chancen geben Sie einer diplomatischen Lösung dieser sich zuspitzenden Atombedrohung?

Die entscheidende Frage ist, ob Nordkorea überhaupt willens ist, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Denn das ist der größte Hebel, über den Nordkorea verfügt: die ultimative Abschreckung, das ultimative Verteidigungsinstrument.

Es gibt eine Schule von Beobachtern, die argumentiert: Nordkorea wird nie seine Atomwaffen aufgeben, weil es grade am Beispiel Irak gesehen hat, was passieren kann, wenn ein Land nicht über ausreichend Abschreckung verfügt. Die andere Schule argumentiert in die Richtung: Macht Nordkorea ein ausreichendes Angebot, ein Angebot, das Sicherheitsgarantien vorsieht, das diplomatische Beziehungen mit den USA vorsieht, das die Möglichkeit des Eintritts in internationale Organisationen vorsieht, das die Aufgabe von noch bestehenden Sanktionen vorsieht und das vor allen Dingen auch Wirtschafts- und massive Hilfe im Energiesektor vorsieht - wenn man ein solches Paket auf den Tisch legt und dieses nicht wie bisher von einem direkten Abbau des Nuklear-Programms als erstem Schritt abhängig macht, dann könnte sich Nordkorea dazu bereit erklären, bestehende Atomprogramme einzumotten.

Wie beurteilen Sie die Diplomatie der Regierung Bush gegenüber Nordkorea? Wenn man die Erklärung Nordkoreas liest, erhält man den Eindruck, dass sich das Land in die Ecke gedrängt fühlt und verletzter Nationalstolz eine Rolle spielt. Liegt das an der US-Außenpolitik?

Auf jeden Fall können wir feststellen, dass in der Regierungszeit von Bush das Atomwaffen-Programm in Nordkorea wieder zu einer echten Gefahr geworden ist. Die Bush-Regierung hat sich immer abschätzig über das Vertragswerk geäußert, das die Regierung Clinton ausgearbeitet hatte. Damals ging es ja darum, Nordkorea zwei Leichtwasser-Reaktoren zu besorgen, und dafür würde Nordkorea sein Plutonium-Programm einmotten. Das hatte dafür gesorgt, dass kein waffenfähiges Plutonium entzogen werden konnte. Diese Vereinbarung wurde dann gestoppt. Und seitdem ist das Risiko gewachsen. Deswegen ist das Ganze in der Tat auch ein Schlag ins Gesicht der US-Regierung. Diese hatte immer darauf gesetzt, dass man im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche dazu kommt, dass alle Beteiligten sehen, dass Nordkorea nicht bereit ist, seine Nuklearwaffen aufzugeben. Dann hätte man eine Koalition schnüren können unter Einschluss Chinas, Japans, Russlands und Südkoreas, um dann Nordkoreas wirtschaftlich zu strangulieren und im Endeffekt zu einem Regimewandel zu kommen.

Kurz und mittelfristig ist es auf jeden Fall so, dass das Risiko gewachsen ist während der Bush-Regierung.