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Unpassende Gedanken ins Feuer

Michael Marek9. Mai 2008

"Die Gedanken sind frei", heißt ein deutsches Volkslied. Doch für die Nationalsozialisten waren freie Gedanken eine Gefahr - auch auf Papier. Deshalb initiierten sie am 10. Mai 1933 die Verbrennung ungeliebter Bücher.

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Umstehende betrachten einen Stapel brennender Buecher, Quelle: AP
Protest gegen die NS-Bücherverbrennung gab es nur vereinzeltBild: AP

"Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner", tönt es am 10. März 1933 auf dem Deutschlandsender. Dieser überträgt live die gespenstische Szenerie vom Berliner Opernplatz - die Bücherverbrennung inszeniert durch die Nationalsozialisten. Wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung brennen in über 200 Städten und Gemeinden Deutschlands die Scheiterhaufen. Begleitet von der SA und dem Fackel schwenkenden Heer der Schaulustigen ziehen Rektoren im Talar und studentische Erstsemester an den Ort der Bücherstürmerei - während die Musikkapelle nationale Märsche anstimmt.

Kaum Widerstand gegen NS-Inszenierung

Buddenbrooks Cover, Quelle: kultur21
Von den Nationalsozialisten verbrannt: die Werke Thomas Manns

Verblüffend an der Bücherverbrennung ist, übrigens auch für die nationalsozialistische Führung selber: Es gibt keinen Widerspruch gegen diesen Akt "Wider den undeutschen Geist", wie es im verklärenden NS-Sprachgebrauch heißt. Vor allem das Bürgertum, das seine Denker und Dichter von Thomas Mann bis Lion Feuchtwanger, von Sigmund Freud bis Franz Kafka brennen sieht, lässt die Nationalsozialisten gewähren, erklärt der Tübinger Germanist und Literaturkritiker Walter Jens: "Das Echo damals war insgesamt außerordentlich gering. Es gab kurze Notizen in der Zeitung. Auch das Echo im Ausland war damals sehr, sehr bescheiden. Es gab in den Niederlanden, Österreich, in Amerika wenige Stimmen, die sich dagegen wandten." Aber das seien nur sehr bescheidene Stellungnahmen gewesen. Für viele sei im Grunde etwas ganz Selbstverständliches geschehen, etwas beinahe Normales - zumindest vor dem Hintergrund der Drohungen gegen die Republik. Erst später habe man gemerkt: Dies war nur ein Vorspiel.

Die Bücherverbrennung gleicht einem Volksfest, auf das sich anti-demokratische Studenten und Professoren vorbereitet haben. Der antisemitische "Kampfbund für deutsche Kultur" unter der Führung des Blut-und-Boden Eiferers Alfred Rosenberg und vor allem Propagandaminister Joseph Goebbels unterstützen die Bücherverbrennungen in Berlin und anderswo: "Machtpolitische Revolutionen müssen geistig vorbereitet werden. Erst wenn die Idee sich mit der Macht vermählt, dann wird daraus das historische Wunder der Umwälzung emporsteigen. Ihr jungen Studenten seid Träger, Vorkämpfer und Verfechter der jungen revolutionären Idee dieses Staates gewesen", so Goebbels.

Rückblick: Bücherverbrennungen in der Geschichte

Bibliothek von Alexandria, Quelle: AP
Neubau der Bibliothek von Alexandrina - auch ihr Vorgänger wurde Opfer der FlammenBild: AP

Bücherverbrennungen waren und sind keine deutsche Erfindung. Die Bibliothek von Alexandria, gegründet 288 vor Christus unter Ptolemaios dem Ersten, steht für die Systematisierung des Wissens. Hier, in Ägypten, hat auch die Bücherverbrennung ihren Ursprungsort: 47 vor Christus geht während des Römischen Bürgerkrieges die antike Alexandrinische Bibliothek erstmals in Flammen auf – zusammen mit ihren vermutlich knapp 500.000 Schriftrollen.

Römische Kaiser ließen die Schriften der Christen verbrennen. Im Mittelalter wurden vermeintlich ketzerische Bücher durch die Inquisition auf die Scheiterhaufen geworfen. In China, in Frankreich, in Italien, in Spanien, in England, in den USA, in Russland, Indonesien Chile und Sri Lanka, ob in der ersten, zweiten oder dritten Welt – von Muslimen wie Christen, in armen und reichen Ländern - überall wurden Bücher verbrannt.

Vor allem Bibliotheken waren und sind beliebte Ziele der Artillerie. Historische Dokumente und Bücher zu vernichten, das geschah stets in der Absicht, kulturelle, religiöse, ethnische oder politische Identitäten zu zerstören. So auch in Sarajevo 1992: Die im 19. Jahrhundert erbaute Nationalbibliothek beherbergt drei Millionen Bücher und Handschriften - eine weltweit einzigartige, unersetzbare Sammlung. Auf Befehl von Radovan Karadzic schießen serbische Freischärler das Gebäude mit Phosphorbomben in Brand. Nach dem Angriff zerfällt fast der gesamte Buchbestand binnen weniger Stunden zu Asche.

Bücher als Stifter von Identität

Plakat zur Bücherverbrennung, Quelle: Deutscher Kulturrat e.V.
"Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Heinrich Heine, 1820Bild: Deutscher Kulturrat e.V.

Kulturgüter waren zu allen Zeiten Symbolträger nationaler oder religiöser Identität, sagt der Präsident des Bundesarchivs Hartmut Weber: "Im Balkankrieg der 1990er Jahre haben wir kennen gelernt, dass Archive bewusst in das Kreuzfeuer gekommen sind, dass Archive bewusst angegriffen worden sind, dass Archivgut bewusst vernichtet worden ist, weil man erkannt hat, dass zum Beispiel ethnische Minderheiten, für ethnische Volksgruppen ihr Archivgut, ihre Kirchenbücher, ihre genealogischen Quellen so wichtig und Identität stiftend sind, dass, wenn man diese Quellen vernichtet, man damit auch einen Teil ihrer Identität vernichten kann."

"Verbrennt mich", rief der Romancier Oskar Maria Graf den nationalsozialistischen Anhängern zu. Die Inquisitoren unterm Hakenkreuz hatten vergessen, seine Bücher am 10. Mai dem Feuer zu übergeben. "Diese Unehre", so Oskar Maria Graf damals, "habe ich nicht verdient!"