Für die russische Führung ist es zur Routine geworden, mit Sanktionen umzugehen. Die Vereinigten Staaten haben Russland jetzt eine Reihe von neuen Beschränkungen auferlegt. Grund ist diesmal nicht das Vorgehen Moskaus in der Ukraine oder die angebliche Einmischung in die US-Wahlen.
Putin schließt sich Assad und Kim an
Washington wendet das Gesetz zur Kontrolle und Beseitigung chemischer und biologischer Waffen von 1991 an, um den Kreml für die Vergiftung Sergei Skripals und seiner Tochter Yulia in Salisbury zu sanktionieren. Der ehemalige Offizier des russischen Militärgeheimdienstes (GRU) war zum britischen MI6 übergelaufen. Dieses Gesetz kam bisher nur zweimal zur Anwendung - gegen Syrien und Nordkorea. Seit Mittwoch verbieten die Vereinigten Staaten nun unter anderem den Verkauf jeglicher Dual-Use-Technologie (also alles, was sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden kann) an Russland.
Falls Moskau den Forderungen des Gesetzes nicht nachkommt, folgt in 90 Tagen eine weitere Runde von Sanktionen. Zu den Forderungen gehört die Zusicherung, sich an keinerlei chemischen Angriffen zu beteiligen. Außerdem müssen alle Anlagen, in denen chemische oder biologische Arbeitsstoffe hergestellt werden könnten, für UN-Inspektoren geöffnet werden. Die nächste Runde der Sanktionen könnte dann noch mehr Handelsbeschränkungen, ein Zurückfahren der diplomatischen Beziehungen durch zum Beispiel den Rückruf des US-Botschafters aus Moskau, und - wenn das auch unwahrscheinlich ist - sogar ein Landeverbot der staatlichen russischen Fluggesellschaft Aeroflot in den USA beinhalten.
Der Kreml leugnet entschieden jede Verbindung zum Giftanschlag auf die Skripals. Niemand erwartet daher, dass Moskau die Forderungen der USA erfüllt, obwohl das Chemiewaffenübereinkommen, das auch Russland unterzeichnet hat, den internationalen Inspektoren Zutritt gestattet. Deswegen wird Washington Ende November höchstwahrscheinlich die zweite Runde der Sanktionen gegen Moskau einläuten.
Ist Nord Stream 2 tot?
In der Zwischenzeit könnte eine weitere, möglicherweise viel schädlichere Reihe von Restriktionen Russland treffen. Im US-Senat wird derzeit ein parteiübergreifender Gesetzentwurf diskutiert: Er soll die Einmischung Russlands in die US-Wahlen bestrafen und fordert ein Verbot von Transaktionen mit russischen Staatsschulden und vielleicht sogar ein Verbot von US-Dollar-Transaktionen mit russischen Staatsbanken. Der Vorschlag des demokratischen Senators Bob Menendez, Russland aufgrund des Falls Skripal offiziell als "staatlichen Sponsor des Terrorismus" zu bezeichnen, wird hingegen wohl keine Realität.
Auf jeden Fall hat der Giftanschlag auf die Skripals das bereits angeschlagene internationale Image Moskaus noch weiter verdunkelt, wie auch schon der Abschuss eines Flugzeugs der Malaysian Airlines über der Donbass-Region im Jahr 2014. Eine internationale Untersuchung zum Absturz des Fluges MH17 dauert immer noch an, wobei längst festgestellt wurde, dass dieser durch eine von Russland gelieferte (und möglicherweise von Russland betriebene) Flugabwehrrakete verursacht wurde. Wahrscheinlich ist, dass MH17 mit einem Transportflugzeug der ukrainischen Armee verwechselt wurde und nur deswegen alle 298 Menschen an Bord sterben mussten. Die seit vier Jahren andauernde Kampagne der Verschleierung und Desinformation aus Moskau hat hingegen allein bewirkt, weite Teile der internationalen Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Russland tatsächlich der Täter war.
In einer solchen Situation ist es psychologisch natürlich einfach, weitere Sanktionen durchzusetzen. So hat nun das Wall Street Journal berichtet, dass die Vereinigten Staaten das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 zwischen Russland, Deutschland und anderen EU-Staaten behindern, wenn nicht sogar vollständig verhindern wollen. Washington plant, Unternehmen, die am Betreiberkonsortium beteiligt sind (dazu zählen die deutschen Firmen Uniper und Wintershall) und vielleicht sogar Banken, die den Bau finanzieren werden, zu sanktionieren. Das wären dann in der Tat sehr düstere Aussichten für den Kreml.
Die Behauptungen Moskaus, die Sanktionen hätten keinerlei Auswirkungen auf die russische Wirtschaft, sind am 9. August widerlegt worden: Nachdem die Zeitung "Kommersant" einen Entwurf des neuen Sanktionsgesetzes aus dem US-Senat veröffentlicht hatte, geriet der Rubel in den freien Fall. Auch die jüngsten Maßnahmen wie die drastische Anhebung des Rentenalters sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent belegen, dass die Staatseinnahmen in Russland immer knapper werden.
Aber in Moskau ist Konsens, dass Wladimir Putin in keiner der strittigen Fragen nachgeben wird, um das Sanktionsregime zu mildern. Seiner Ansicht nach würde dies "Schwäche" zeigen - was er am meisten verabscheut. Vor diesem Hintergrund ist Angst die vorherrschende Emotion unter den russischen Oligarchen und Spitzenbürokraten. Da ist zum einen die sehr reale Sorge über die Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf die russische Wirtschaft und das jeweils persönliche Vermögen. Und außerdem die Notwendigkeit, dem Kreml ständig Treue zu bekunden und den Westen öffentlich zu kritisieren, um nicht auch als "schwach" angesehen zu werden.
Wer hat Angst vor Moskau?
Wie könnte Putin reagieren? Am naheliegendsten wäre ein Ende des Verkaufs von RD-180-Raketentriebwerken für das US-Raumfahrtprogramm. Aber das würde die russische Luft- und Raumfahrtindustrie ebenso stark, wenn nicht sogar noch stärker treffen als die Amerikaner, weil dann erhebliche Devisen ausblieben. Moskau wird zweifellos auch US-Fluglinien aus seinem Luftraum verbannen, wenn Aeroflot nicht mehr in den Vereinigten Staaten landen darf. Die russische Regierung könnte auch die Einfuhr von Whiskey und kalifornischem Wein stoppen und die beiden verbliebenen amerikanischen Konsulate - in Wladiwostok und Jekaterinburg - schließen. Was im Gegenzug das Ende für die beiden letzten russischen Konsulate in den USA bedeutete - Houston und New York.
Das war's dann auch. Ein ziemlich begrenztes Arsenal im Vergleich zu dem, was die USA einsetzen könnten. Moskau hat praktisch keine Macht, die amerikanische Politik zu beeinflussen. Das rasante Tempo, mit dem Donald Trumps Russland-freundliche Äußerungen nach seinem Treffen mit Putin in Helsinki neutralisiert und durch eine neue Sanktionsrunde ersetzt wurden, zeigt: Die amerikanische Russland-Politik liegt nun fast vollständig in den Händen des Kongresses. Das Vertrauen zwischen beiden Ländern liegt nur noch knapp über dem Niveau der Kuba-Krise von 1962.
Die russische Führung scheint ihre bisher unerreichte Fähigkeit verloren zu haben, den Westen einzuschüchtern, um besänftigt zu werden. Niemand - zumindest in Washington - scheint mehr Angst vor der Unberechenbarkeit Moskaus zu haben. Und während die Öl- und Gaseinnahmen den Kreml immer noch vor erheblichen sozialen Umwälzungen im eigenen Land bewahren, fordern Sanktionen sowie die internationale politische Isolation allmählich ihren Tribut.
Konstantin Eggert ist Kommentator und Moderator beim unabhängigen russischen TV-Sender Dozhd.