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Gastkommentar: Revision der Russland-Politik

Alexander Rahr29. Oktober 2013

Die bisherige Östliche Partnerschaftspolitik der EU, die eine Eindämmung Russlands verfolgte, muss künftig eine stärkere Kooperation mit Russland ins Auge fassen, meint Osteuropa-Experte Alexander Rahr.

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Russlands diplomatischer Schachzug, Syrien zur Aufgabe seiner Chemiewaffen zu zwingen, hat Moskau in der Weltöffentlichkeit aufgewertet. Die Eigenmächtigkeit, mit der die USA im Syrien-Konflikt das Völkerrecht umgehen wollten, hat dagegen Amerikas Verbündete irritiert. Nicht zuletzt durch den NSA-Abhörskandal ist die Werte- und Schicksalsgemeinschaft EU-USA brüchig geworden.

Natürlich will sich niemand in der EU eine Loslösung von der Führungsmacht USA vorstellen, denn kein europäisches Land will in der Welt des zunehmenden Chaos auf die amerikanische Schutzmacht verzichten. Doch hat Amerika noch die Kraft, globale Gestaltungsmacht Nummer eins zu sein? Die EU und die USA werden in sicherheitspolitischen Fragen immer öfter nicht mehr einer Meinung sein. Der Ruf nach einer eigenständigeren europäischen Sicherheitspolitik könnte lauter werden.

Portait von Alexander Rahr (Foto: DW)
Alexander Rahr, Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums

Stärkere Kooperation mit Russland

Die neue Bundesregierung wird für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik mehr Interesse als bisher aufbringen müssen. Den Anfang muss eine Revision der Russland-Politik machen. Die bisherige Östliche Partnerschaftspolitik, die eine Eindämmung Russlands verfolgte, muss künftig eine stärkere Kooperation mit Russland ins Auge fassen. Russland hat vom deutschen Boden aus in der Vergangenheit drei wichtige Kooperationsvorschläge an die EU unterbreitet. Doch weder die Idee einer russisch-europäischen Energieallianz, noch der Vorschlag einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur und auch nicht der Wunsch nach Verhandlungen über eine Freihandelszone EU-Russland wurden im Westen positiv aufgenommen.

Nach der Russland-kritischen Bundestagsresolution von 2012 schien die Bundesregierung nur noch eine werteorientierte Russland-Politik zu bevorzugen. Eine Wiederkehr zur früheren Ostpolitik nach der Formel "Wandel durch Handel" wurde abgelehnt. Der Handel mit Russland, so die Kritiker, blühe auch ohne eine Sonderdiplomatie, ein demokratischer Wandel in Russland sei dagegen nicht zu spüren. Deutschland schien die Geduld mit Russland zu verlieren. Doch angesichts zunehmender globaler Krisen muss sich Deutschland die Frage, ob Russland sich für eine Partnerschaft unbedingt durch das Anlegen liberaler Maßstäbe qualifizieren muss, stärker auf der Grundlage realpolitischer Interessen beantworten.

Sicherheitsinteressen zusammenführen

Eine gemeinsame Raketenabwehr könnte die Sicherheitsinteressen Europas und Russlands zusammenführen und überdies Amerika schützen helfen. Eine Energieallianz EU-Russland könnte die Versorgung der EU angesichts möglicher Konflikte im arabischen Raum sicherer machen. Von einer gemeinsamen Freihandelszone mit Russland könnte die exportinteressierte EU-Industrie nicht minder profitieren als von einer mit den USA.

Russland verdankt Deutschland seine rasche Aufnahme in die G8, die Verhinderung eines vorschnellen NATO-Beitritts der Ukraine und Georgiens, sowie den Bau der Ostseepipeline. Die scheidende Bundesregierung wollte ihre Anwaltsrolle nicht mehr spielen, sei es aus Enttäuschung über Russland, oder um die Mittelosteuropäer, die allesamt noch mit einem historisch belastenden Feindbild Russland leben, nicht zu irritieren. Doch die Polen möchten wieder, dass Deutschland Richtung Russland aktiver wird. Die polnisch-russische Aussöhnung läuft, oft unbeachtet in Europa, erfolgreich. Gerade Polen weiß, dass eine geopolitische Gegnerschaft mit Russland nur zur Entstehung eines neuen eisernen Vorhangs an seiner Ostgrenze führen wird. Ein Land wie die Ukraine kann sich dem Einfluss Russlands nicht entziehen; andererseits ist Russland zu schwach, um Kiew an dessen EU-Orientierung zu hindern.

Freihandelsabkommen mit Russland

Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass Russland nach der Unterzeichnung der europäischen "Menschenrechtscharta" Anfang der 1990er Jahre in einen gemeinsamen "Werteraum" integriert worden ist und sich an die demokratischen Normen des Klubs zu halten habe. Wenn es jedoch einen gemeinsamen Werteraum gibt, warum integrieren sich EU und Russland in keinen gemeinsamen Wirtschaftsraum um der Vereinigung Europas näher zu kommen? Der eiserne Vorhang wird dann vollständig reißen, wenn die EU mit Russland ein Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen abschließt und mit den Ländern dazwischen auch.

Die Nachkriegs-EU war unter anderem auch ein Versöhnungsmodell ehemaliger Kriegsgegner. Deutschland wurde nach seiner Kapitulation 1945 in Europa integriert. Die Ex-Militärdiktaturen Spanien, Griechenland und Portugal ebenfalls. Nach den ehemals kommunistisch regierten Mittelosteuropäern stehen nun die ehemaligen Kontrahenten des jugoslawischen Bürgerkriegs der 1990er Jahre vor dem Beitritt in die EU und NATO. Warum kann die Integration Russlands entlang dieses erprobten Aussöhnungsmodells nicht bewerkstelligt werden? Das amerikanisch-europäische Bündnis kann nur eines der Elemente der künftigen europäischen Ordnung sein. Ohne eine Anbindung Russlands bleibt der europäische Kontinent instabil.

Alexander Rahr ist Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums