Trotz Klimakrise "großer Moment" für Afrikas Gasindustrie
11. November 2022Europa steckt mitten in der Energiekrise. Auf der Suche nach Alternativen zu russischem Gas schauen die EU und Deutschland auch nach Afrika. Der Kontinent fördert bisher rund sechs Prozent der weltweiten Gasproduktion, doch dieser Anteil könnte bald deutlich steigen.
Ob Ägypten, Mosambik, Nigeria oder Algerien: die Liste der Länder, die ihre Gasexporte ausbauen wollen, ist lang.
Im Senegal und in Mauretanien wird auf deutsche Initiative die Förderung von Flüssiggas vorangetrieben. Ab 2023 sollen laut Senegals Regierung zunächst 2.5 Millionen Tonnen nach Deutschland geliefert werden. Dies könne bis 2030 stufenweise auf 10 Millionen Tonnen ausgeweitet werden. Auch in Südafrika und Tansania liegen bisher unberührte Gasfelder. Den Ländern winken bei Erschließung Milliardeneinnahmen.
Die Afrikanische Union (AU), ein Forum aus 55 Mitgliedsstaaten, wittert das große Geschäft und die Chance, als Gewinner aus der Energiekrise hervorzugehen. "Afrika ist aufgewacht und wir werden unsere natürlichen Ressourcen ausbeuten", erklärte Ugandas Energie Minister Ruth Nankabirwa Ssentamu im Vorfeld der Weltklimakonferenz.
Die AU hatte dazu kurz vor der Klimakonferenz eine gemeinsame Position verabschiedet und will während des Treffens für den Ausbau der Energie-Infrastruktur werben. Neben Erneuerbaren Energien sollen auch Gas und Kernenergie bei der Entwicklung afrikanischer Länder eine entscheidende Rolle spielen, heißt es in dem Papier der Afrikanischen Energie Kommission .
Ausweitung der Förderung - "Krisengewinner" Afrika
"Dies ist tatsächlich ein großer Moment für Afrika", so der Executive Direktor der Afrikanischen Union, Rashid Ali Abdallah gegenüber der DW.
"Nicht nur Europa, es gibt mehrere globale Krisen, und Afrika kann dazu beitragen, die globale Nachfrage zu decken", so Abdallah weiter.
Doch laut der internationalen Energie Agentur (IEA) kann sich die Weltgemeinschaft für das Erreichen des 1,5 Grad-Ziels keine weiteren Investitionen in fossile Brennstoffe mehr leisten.
Afrika ist "nicht Europas Tankstelle"
Klimaschützer kritisieren darum die afrikanischen Pläne heftig. Mohamed Adow, Direktor der in Nairobi ansässigen Denkfabrik Power Shift Africa, sagte Journalisten in Sharm el-Sheikh am Montag, dass Europa versuche, Afrika zu seiner "Tankstelle" zu machen, während es selbst versäume, angemessene Mittel für die Förderung erneuerbarer Energien bereitzustellen.
"Wir können nicht zulassen, dass Afrika, das die gesamte durch fossile Brennstoffe angetriebene Industrialisierung verpasst hat, jetzt zum Opfer von kurzsichtigen, egoistischen kolonialistischen Interessen, insbesondere von Europa wird", so Adow.
Umweltschützer warnen die reichen Industriestaaten davor, ausgerechnet während der Klimakonferenz in Ägypten neue Gaslieferungen mit afrikanischen Staaten auszuhandeln. Das Treffen drohe, zu einem «Greenwashing»-Festival zu werden, so Vertreter von Powershift Africa, Greenpeace und des Climate Action Networks.
Die afrikanische Union dagegen argumentiert, dass der Kontinent den Ausbau der Gasförderung für den sozialverträglichen Übergang hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft dringend brauche. "Wenn globale Umweltschützer ein sofortiges Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe fordern, werden die Entwicklungsländer in Afrika wirtschaftlich und sozial darunter leiden", so der Bericht zur Energiewende der Afrikanischen Energie Kommission.
Gas aus Afrika: Kurzfristiges Geld, langfristiges Risiko?
Afrikanische Länder tragen nur minimal zur Erderwärmung bei. Der Anteil des Kontinents an den weltweiten klimaschädlichen Treibhaugasemissionen liegt bei weniger als vier Prozent.
Die USA, China, die EU und China sind zusammen für mehr als 50 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.
Abdallah verweist darauf, dass die EU klimaschädliches Erdgas dieses Jahr als "Übergangskraftstoff" eingestuft hat. Diese Bezeichnung müsse auch für die afrikanische Förderung gelten.
"Unser Pro-Kopf-Verbrauch an fossilen Brennstoffen oder Erdölprodukten in Afrika beträgt nur ein Drittel des weltweiten Durchschnitts. Zu sagen, dass die, die nur so wenig beitragen, jetzt mehr einsparen sollen, ist einfach nicht fair."
Öl- und Gas- Exporte sind für viele afrikanische Länder eine wichtige Einnahmequelle und machen in einigen Ländern 50 bis 80 Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus. Der größte Teil des in Afrika geförderten Gases geht in den Export.
Neue afrikanische Gaspipelines schon Auslaufmodelle?
Angesichts von Europas Plänen, seine Wirtschaft in den nächsten Jahren unter Hochdruck möglichst frei von fossilen Brennstoffen zu machen, "wird der Appetit Europas nach Gas aus dem globalen Süden, in diesem Fall Afrika, verpuffen", gibt Kofi Mbuk, Cleantech Analyst beim Think Tank Carbon Tracker zu bedenken. Milliardeninvestitionen in neue afrikanische Gaspipelines hätten damit ein hohes Risiko, in wenigen Jahren wertlos zu werden.
Ein heute von der Nichtregierungsorganisation Climate Action Tracker veröffentlichter Bericht stellt fest, dass bei der Umsetzung alle weltweit im Bau befindlichen oder geplanten LNG-Gas-Projekte zehn Prozent des verbleibenden CO2-Budgets aufbrauchen würden. Bis 2030 käme es außerdem zu einem Überangebot an LNG, das fast dem Fünffachen der russischen Gasimporte der EU im Jahr 2021 entspräche.
"Die Energiekrise hat die Klimakrise abgelöst. Und unsere Analyse zeigt, dass die vorgeschlagenen, genehmigten und im Bau befindlichen LNG-Anlagen weit über das hinausgehen, was benötigt wird, um russisches Gas zu ersetzen", sagte Bill Hare, CEO der CAT-Partnerorganisation Climate Analytics.
Heimische Energie wichtig für Afrikanische Entwicklung
Auch die Afrikanische Union sieht die Tendenz, dass afrikanische Gas-Exporte mit der zunehmenden Abkehr von fossilen Brennstoffen in Industrieländern mittelfristig wieder abnehmen werden. Deshalb sollte das Gas auch auf dem heimischen Markt genutzt werden, um die Elektrifizierung der rund 600 Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern voranzutreiben, die heute immer noch ohne Strom leben.
Dafür brauche es laut Juan Pablo Osorio, dem Leiter des Klimadiplomatie-Programms bei Think Tank E3G allerdings keine fossilen Brennstoffe. "Strom aus erneuerbaren Energien ist der günstigste der Welt und eignet sich gut für den schnellen Zugang zu Strom in abgelegenen Gebieten. Kurzfristig können so Millionen von Menschen aus der Energiearmut befreit werden."