Ganz leise in Buenos Aires
1. Juli 2006"Wir wussten, dass es gegen die Deutschen schwer werden würde." Enzo ist Straßenkehrer und fegt vor dem Außenministerium. "Ja, ich bin traurig, aber es ist nur ein Fußballspiel. Und wenigstens regnet es kein Konfetti. Bei einem Sieg wäre hier alles weiß von Papierschnipseln." Doch seine Mine verrät es: Mit Freude hätte er bergeweise Schnipsel gefegt.
Gabriel arbeitet im Außenministerium: "Wir hatten erwartet, dass Deutschland sehr stark auftreten wird. Aber so wie das Spiel gelaufen ist, hatten wir alle Chancen, es zu gewinnen." In Gabriels Abteilung hatten sie Geld gesammelt und einen großen Bildschirm für den Pausenraum gekauft. Argentinienspiele während der Arbeit schauen ist erlaubt: "Bilaterale Beziehungen, Außenministerium eben." Das Konfetti blieb aber im Sack.
Botschafter aus dem Kongo ist Deutschland-Fan
Für seinen Kollegen Fransisco war Argentinien über weite Strecken die bessere Mannschaft. Aber "nach dem Elferschießen herrschte Totenstille." Manche weinten. Fransisco hatte die ersten 90 Minuten "dienstlich in der kongolesischen Botschaft" gesehen. "Beim 1:0 für Argentinien haben sie höflich geklatscht. Beim Ausgleich haben sie frenetisch gejubelt, allen voran der Botschafter aus dem Kongo." Danach fuhr er schnell zurück.
Nein, bis jetzt gebe es noch keine offizielle Stellungnahme des Außenministeriums, aber mit Sicherheit werde man die Beziehungen zur Slowakei überprüfen. Und schon beginnt die Diskussion um den Schiedsrichter: "Das Foul gegen Maxi (Rodriguez) hätte Elfmeter geben müssen, man hat uns wieder betrogen", sagt Gabriel. Dass der slowakische Schiedsrichter Lubos Michel 32 Fouls gegen Argentinien aber nur 23 gegen Deutschland gepfiffen hatte, steht bereits kurz nach dem Spiel in der Online-Ausgabe der Tageszeitung Clarín. Fransisco hält dagegen: "Ich habe den Schiedsrichter sehr gut gesehen. Ein Spiel gewinnt man mit Toren." Beide Meinungen streiten gegenwärtig um die Vorherrschaft.
Apathisch und stumm
Das Spiel hat Kraft gekostet. Auch in der argentinischen Hauptstadt. Nach 120 Minuten und dem dramatischen Elfmeterschießen erholt sich Buenos Aires nur langsam von den dramatischen Bildern aus dem Berliner Olympiastadion: Argentinien hat verloren – Argentinien ist ausgeschieden! Das ist die bittere Wahrheit.
Noch eine Stunde nach Abpfiff waren die "porteños", die Hauptstädter, stumm, fast apathisch in sich gekehrt. In der U-Bahn musste eine schwangere Frau eine halbe Minute auf einen freien Platz warten. Eine Ewigkeit in Buenos Aires, wo an normalen Tagen der halbe Waggon aufspringt und einen Sitz anbietet.
Zum Obelisken, dem Wahrzeichen von Buenos Aires, kamen nur wenige hundert Fans. Hierher strömen die Hauptstädter sonst zu Tausenden zu den Siegesfeiern zusammen. "Wir sind ausgeschieden, aber mit Würde", sagt einer. "Wir waren lange Zeit die bessere Mannschaft", meint ein anderer. "El Pato hat uns im Elfmeterschießen gefehlt", rufen sie. Die Ente - So nennen sie liebevoll Roberto Abbondanzieri, den Torhüter, der in der 70. Minute verletzt vom Platz musste. Er war der einzige im Berliner Olympiastadion, der auch in der argentinischen Liga spielt: "Das war wie eine Vorahnung." Auf das Unheil.
Erinnerung an die Heimat
Trauer auch in "Untertürkheim": Sechzig Gäste sahen in der deutschen Bierkneipe im Tango-Viertel San Telmo die Begegnung: Zehn Deutsche und fünfzig Argentinier. "Die Stimmung war gut und brüderlich", sagt Kneipier Gustavo Engler. "Ich bin Argentinier und wollte, dass wir gewinnen. Meine Großeltern sind Deutsche und kamen aus Untertürkheim nach Buenos Aires. Sollte Deutschland im Finale auf England oder Brasilien treffen, sind wir alle auf der Seite der Deutschen."
Enzo ist mit dem Außenministerium schnell fertig und fegt Richtung Plaza San Martín: "Wir werden weiter die WM sehen. Die Leidenschaft für den Fußball ist in Argentinien unendlich groß. Möge ab jetzt der Bessere gewinnen."