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Sexismus in der Gaming-Industrie

19. November 2021

Eine frauenfeindliche Macho-Kultur wurde in Spielefirmen lange Zeit toleriert, auch bei Activision Blizzard. Doch jetzt ist Bewegung in die Branche gekommen.

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Screenshot aus dem Computerspiel "World of Warcraft Shadowlands Eternity's End"
Sexismusskandal bei Activision Blizzard: "World of Warcraft"-Macher in der KritikBild: Blizzard

Im Sommer sorgte das Spiele-Unternehmen Activision Blizzard weltweit für Aufsehen. Nicht weil es ein neues großartiges Spiel auf den Markt gebracht hätte, sondern weil es von der kalifonischen Arbeitsschutzbehörde wegen sexueller Belästigung und Diskriminierung von Frauen angeklagt wurde. Die Liste der Anschuldigungen ist lang: sexistische Kommentare und Belästigung am Arbeitsplatz, Vergewaltigungswitze, ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, schlechtere Aufstiegschancen für weibliche Beschäftigte. Dem Unternehmen wird eine so genannte "frat boy culture" vorgeworfen, eine Kultur wie in einer Studentenverbindung, in der Männer sich betrinken und ungehemmt als Machos aufführen.

Zwei Jahre lang hatte die Behörde gegen das Unternehmen ermittelt, bis sie am 20. Juli 2021 die Klage  einreichte. Seitdem vergeht kaum eine Woche, in der es keine Neuigkeiten rund um den Skandal in dem US-amerikanischen Spielestudio gibt. Activision Blizzard ist für Spiele wie "World of Warcraft", "Diablo" und "Overwatch" verantwortlich und zählt gemessen am Umsatz zu den weltweit erfolgreichsten Gaming-Unternehmen. Jetzt steht auch der Activision Blizzard-Chef Bobby Kotick im Fokus. Er soll laut jüngsten Recherchen des "Wall Street Journals"  schon seit Jahren von der frauenfeindlichen Unternehmenskultur gewusst, aber zu wenig getan haben, um das Arbeitsklima zu verbessern. Stattdessen habe er das System nicht nur gedeckt, sondern auch selbst dazu beigetragen, indem er Frauen belästigt, benachteiligt oder nicht ernst genommen habe. In einer Petition  fordern nun mehr als 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Absetzung ihres Chefs.

Renee Gittens
Renee Gittens leitet den internationalen Verband der Spieleentwicklerinnen und SpieleentwicklerBild: IGDA

"Das in dieser Klage detailliert beschriebene toxische Verhalten ist nur ein weiteres Beispiel für ein chronisches Problem, mit dem wir als Industrie konfrontiert sind", erklärt Renee Gittens, Executive Director der International Game Developers Association (IGDA), auf Anfrage schriftlich. Die US-amerikanische Non-Profit-Organisation setzt sich seit ihrer Gründung 1994 für Beschäftigte in der Computerspielbranche ein. "Es bricht einem das Herz, wenn man sieht, wie viele Menschen in unserer Branche unter Missbrauch gelitten haben, und wenn man erkennt, wie viele weitere ihren Schmerz im Stillen ertragen."

Macho-Kultur am Arbeitsplatz

Blizzard ist ein prominenter Fall, aber kein Einzelfall. So hatte auch Ubisoft, ebenfalls eine Branchengröße, im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, weil es dort zu sexuellen Übergriffen gekommen sein soll. Da stellt sich die Frage, ob es strukturelle Gründe gibt, die ein solches Verhalten begünstigen. Nach wie vor arbeiten in den meisten Spieleunternehmen deutlich mehr Männer als Frauen. In den beschuldigten Unternehmen herrschte zudem über Jahre eine Macho-Kultur, die mal "bro culture", mal "frat boy culture" heißt, und von der Unternehmensführung toleriert wurde, während über Fälle von Belästigung geschwiegen wurde und die Täter keine Konsequenzen für ihr Verhalten fürchten mussten.

"Die meisten Leute denken, dass Beschäftige belästigt werden, liegt an der 'bro culture' oder daran, dass es so viele Männer gibt. Ich glaube nicht, dass das stimmt", sagt Annelie Biernat, Game Director des Spiels "Switchcraft" beim deutschen Spieleentwickler Wooga. "Ich arbeite in meinem Beruf mit vielen Männern zusammen. Es liegt nicht daran, dass es so viele Männer gibt, sondern daran, wie das Unternehmen geführt wird. Ich denke, dass es darum geht, wie man seine Mitarbeiter dazu ermutigt, unabhängig von ihrem geschlechtlichen Hintergrund das Wort zu ergreifen und über schlimme Dinge zu sprechen. Transparenz muss sichergestellt werden und Konsequenzen müssen folgen."

Der Verhaltenskodex verbiete ausdrücklich jede Form von Belästigung und Diskriminierung. Zudem würden Schulungen zu unbewusster Diskriminierung angeboten, denn nicht immer sei allen klar, warum sich jemand in einer bestimmten Situation benachteiligt fühle, ergänzt die Spieleentwicklerin. Sie schätzt die offene Gesprächskultur, die sich im Unternehmen etabliert hat. 

Mehr Diversität wagen

Wooga, mit Sitz in Berlin, gehört mit rund 300 Beschäftigten zu den kleineren Spielefirmen und entwickelt storygetriebene Casual Games wie "June's Journey" oder "Switchcraft". Die Firma hat es geschafft, sich innerhalb von fünf Jahren diverser aufzustellen. Noch vor einigen Jahren lag das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bei 80 zu 20, heute liegt es etwa bei 60 zu 40. "Wir sind der Meinung, dass eine diverse Belegschaft zu einer besseren Gemeinschaft und einem besseren Arbeitsumfeld beiträgt. Es schafft erstens einen besseren Arbeitsplatz und zweitens entwickeln divers aufgestellte Teams bessere Produkte für unsere Zielgruppen", sagt Woogas CEO Nai Chang.

Visual aus dem Spiel Switchcraft
"Switchcraft" setzt auf Diversität - im Spiel selbst sowie im Entwickler-TeamBild: Wooga

Von einer diversen Belegschaft würden am Ende also alle profitieren - die Menschen, die in der Spieleindustrie arbeiteten, sowie die Menschen, die deren Spiele spielten. Denn dadurch würden unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven eingebracht. "Ich denke, dass sich Spieleunternehmen auch deshalb verändern, weil man ohne tiefgreifende Kenntnisse und Einblicke nicht die besten Produkte entwickeln kann, die den Bedürfnissen der verschiedenen Zielgruppen entsprechen", sagt Nai Chang. Repräsentation in Games , also zum Beispiel die Darstellung von Frauen, queeren Menschen oder People of Color, ist mittlerweile ein wichtiges Thema geworden. Da liegt es nahe, dass diejenigen, die repräsentiert werden sollen, selbst an Spielen mitarbeiten, damit es auch gelingt, glaubhafte und authentische Geschichten zu erzählen.

"Wir brauchen mehr Frauen und Minderheiten in der Branche"

Solche Games könnten wiederum Spielerinnen und Spieler ermutigen, eine Karriere in der Spieleindustrie anzustreben, ist Renee Gittens überzeugt: "Wir brauchen mehr Frauen und Minderheiten in unserer Branche und müssen dafür sorgen, dass unsere Branche sicher ist, damit sie sich entfalten können. Ein Team, das divers und integrativ ist, wird Probleme effektiver angehen und Inhalte schaffen, die von einem breiteren Publikum genossen werden. Vielfalt im Denken, in der Kreativität und in der Erfahrung macht Teams effektiver und kreativer."

Der Skandal um Activision Blizzard wirft ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten der Spieleindustrie. Die gute Nachricht: Es scheint, als wären wir an einem Wendpunkt angelangt. Beschäftigte fordern eine gesunde Unternehmenskultur, Belästigungen und Diskriminierung werden angezeigt, langjährige Mitarbeiter werden entlassen, nach ihnen benannte Spielecharaktere werden umbenannt.

Renee Gittens vom Verband der Spielentwickler ist zuversichtlich: "Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem diejenigen, die unter Belästigung gelitten haben, sich ermächtigt fühlen, sich zu melden, ohne ihre Karriere opfern zu müssen." Dass nun über Belästigung gesprochen werde, sei ein großer Fortschritt. Ob die Spieleindustrie sich tatsächlich hat wandeln können und bessere Arbeitsbedingungen für alle geschaffen hat, wird man erst im Rückblick bewerten können. Aber immerhin hat sie sich auf den Weg gemacht.