Gaia-X: Eine sicherer Hafen für Europas Daten
2. November 2021Die Flut an Daten, die schon heute in Unternehmen anfällt, ist immens. Künftig werden noch viel mehr Daten fließen, wenn immer mehr Anwendungen im Bereich der sogenannten Industrie 4.0 entstehen, Prozesse mit Künstlicher Intelligenz arbeiten oder Echtzeitdaten verarbeiten. Man denke nur an die Daten, die ohne Unterbrechung notwendig werden, sobald eines Tages Roboterautos über unsere Straßen fahren werden.
Einheitliche Standards sind das A und O in der Datenwelt
Je wichtiger Daten werden, desto dringender müssen Unternehmen die Frage beantworten, wie sie ihre Daten managen, sprich wie die anfallenden Daten am besten gespeichert, strukturiert, genutzt und gegebenenfalls mit anderen ausgetauscht werden können. Dabei greifen Firmen oft auf Cloud-Services zurück. Inzwischen werden mehr Daten auf Serverfarmen gespeichert als auf lokalen Geräten.
Solche Clouds bieten zudem die Vorteile, dass Software nicht mehr gekauft werden muss, sondern einfach gemietet werden kann, dass Rechenleistung und Speicherplatz flexibel angemietet werden kann, dass Mitarbeiter von überall auf der Welt auf die Daten zugreifen können und Daten theoretisch leichter mit anderen Unternehmen geteilt werden können.
Gaia-X als europäisches Datenökosystem
Nur welche Cloud-Anbieter sind sicher? Und welche bieten möglichst viel Service? Und welche Services sind wirklich kompatibel mit anderen beim Datentausch? Bislang ist dieses Geschäft dominiert von den US-Tech-Giganten wie Google, Amazon oder Microsoft. Um europäischen Unternehmen die Speicherung ihrer Daten auf dem Kontinent zu ermöglichen, wurde Gaia-X aus der Taufe gehoben. Hinter diesem kryptischen Namen steht ein Projekt, dass von Deutschland und Frankreich im Herbst 2019 initiiert wurde. Seitdem arbeiten zahlreichen Organisationen, Wissenschaftler, Politiker und rund 270 Unternehmen, darunter Konzerne wie Startups, an einem Regelwerk für eine europäische Infrastruktur, in der Daten standardisiert gespeichert, verarbeitet, zusammengeführt und geteilt werden können.
"Das Ziel ist ein digitales Ökosystem in Europa, das Innovationen und neue datengetriebene Dienste und Anwendungen hervorbringt", heißt es vom geschäftsführenden Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Gaia-X ist also keine neue europäische Cloud, sondern vielmehr sollen Cloud-Anbieter ihre Plattformen nach dem gemeinsamen Standard von Gaia-X anbieten. Damit entsteht ein vernetztes System, dass viele Cloud-Anbieter miteinander verbindet - eine Dateninfrastruktur für Europa. Oder wie Andreas Weiss vom eco Verband der Internetwirtschaft es ausdrückt: "Gaia-X greift nur auf Bestandsverfahren und Systeme zurück und kümmert sich um die Orchestrierung und das ganze Drumherum."
Wichtig ist vor allem die Standardisierung der Daten
Unter anderem soll Gaia-X für eine Standardisierung der Daten sorgen. Viele Firmen sammeln schon jetzt ihre Daten, nutzen sie dann aber nicht, um Geschäftstätigkeiten daraus zu entwickeln. Das liegt auch daran, dass Daten oft nicht standardisiert sind und damit auch nicht so leicht mit anderen ausgetauscht werden können.
"Firmen, die miteinander Daten austauschen, machen das zum Teil noch per E-Mail, schicken manchmal Faxe oder transferieren Daten über Protokolle, die nicht mehr Stand der Technik sind und müssen sich oft vorher noch absprechen, wie sie überhaupt ihre Daten austauschen wollen", sagt Rainer Sträter vom Cloud-Anbieter IONOS. Das mag bei zwei Firmen vielleicht noch funktionieren, wenn aber eine große Firma mit hunderten von Firmen kommuniziert, beispielsweise um Lieferketten zu sichern, dann sollten solche Daten maschinell bearbeitet werden können. Und das geht nur, wenn die Daten standardisiert wurden.
Durch solche Probleme werden zurzeit nur ein Drittel der Daten, die in Unternehmen verfügbar sind, genutzt, laut einem globalen Bericht des Marktforschungsunternehmens IDC und des Datenspeicherunternehmens Seagate. Dabei ermöglicht die Nutzung von Daten nicht nur bestehende Prozesse zu verbessern, wie Lieferketten effizienter zu organisieren, durch die Nutzung von Daten können auch ganz neue Geschäftsmodelle und Innovationen entstehen.
Die Europäische Kommission hält die Wertschöpfung von Daten für die maßgebliche Quelle für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in den nächsten Jahrzehnten. Experten rechnen damit, dass sich die Datenwirtschaft der Europäischen Union bis 2025 fast verdreifachen wird und einen Wert von 829 Milliarden Euro erreichen könnte.
Große amerikanische Konzerne dominieren die Cloud-Angebote
Ein ganz wesentlicher Punkt beim Umgang mit Daten ist deren Sicherheit, da sie ein großes Vermögen für Unternehmen darstellen. Derzeit vertrauen die meisten Cloud-Nutzer ihre Daten den genannten führenden US-Anbietern an. Sie haben in Europa einen Marktanteil von knapp 70 Prozent. Aber sind die Daten dort auch sicher?
Immerhin haben US-amerikanische Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten die Möglichkeit auf Cloud-Daten zuzugreifen. Denn der sogenannten Cloud Act verpflichtet US-Unternehmen, Daten herauszugeben, selbst wenn lokale Gesetze am Ort des Datenspeichers das verbieten. Herausgegeben werden müssen Daten auch dann, wenn es kein internationales Rechtshilfeabkommen gibt, das solche Fälle regelt. Das gilt sowohl für personenbezogene Daten von EU-Bürgern als auch für Daten, die in europäischen Rechenzentren von US-Konzernen gespeichert sind.
Datensicherheit ist ein großes Thema
Auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es dazu, "die existierenden Cloud-Angebote werden von außereuropäischen Anbietern mit schnell skalierenden Infrastrukturen, hoher Marktmacht und großen Kapitalreserven dominiert. Gleichzeitig erleben wir wachsende internationale Spannungen und Handelskonflikte." Daher müsse Europa auf Dauer digital souverän agieren können.
Die Unternehmen, die bislang keine Public-Cloud-Lösungen nutzen, fürchten einen unberechtigten Zugriff auf ihre sensiblen Unternehmensdaten. Das ergab der Cloud Monitor 2021 von Bitkom Research und KPMG. Immerhin 75 Prozent nennen das als Grund. 67 Prozent sorgen sich wegen einer unklaren Rechtslage.
Sicherheit ist das eine Thema - Abhängigkeit das andere. Gaia-X soll einen sogenannten "lock in-Effekt" verhindern, sagt Sträter von IONOS. Bislang wird kritisiert, dass die großen Hyperscaler ihre Kunden dazu bringen, immer mehr Dienstleistungen zu erwerben und sie es ihnen schwierig machen, zu einem anderen Anbieter zu wechseln. "Mit Gaia-X sollen Firmen aber in der Lage sein, mit niedrigsten wirtschaftlichen Hürden ihre Daten von einem Provider zu einem anderen umzuziehen," so Sträter.
Der lange Weg zur Europäischen Dateninfrastruktur
Seit zwei Jahren schwebt das Projekt Gaia-X nun schon im Raum, so richtig bekannt ist es aber noch nicht. Nur gut sechs Prozent von 500 vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) befragten Unternehmen haben schon einmal davon gehört. Dabei ist schon einiges passiert.
Um das Projekt voranzutreiben, wurde 2020 eine Non-Profit-Organisation gegründet, die Gaia-X Association. Sie soll das Projekt organisieren und sowohl technische Lösungen als auch das Gaia-X-Regelwerk ausarbeiten.
Daneben gibt es in den einzelnen Ländern sogenannte Gaia-X Hubs. Sie sind die Kontaktstellen der Unternehmen und potentiellen Nutzer mit dem Projekt. Sie sollen Anwendungsfälle koordinieren, analysieren und bewerten, um so die Anforderungen der Nutzer zu ermitteln und zu bündeln. Zu solchen Anwendungsfällen gehören auch die Leuchtturmprojekte, die sich über eine Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums freuen dürfen, dass dafür 186 Millionen Euro bereitstellt. Alle Gaia-X Hubs stehen wiederum in engem Austausch, um ihre Aktivitäten international abzustimmen, die Anforderungen zu definieren und regulatorische Hürden zu identifizieren.
Mit dem Feind im Bett?
Inzwischen sind auch große Cloud-Anbieter (Hyperscaler) aus den USA und China Mitglied bei Gaia-X und wirken so am Aufbau der europäischen Dateninfrastruktur mit. "Wir wollen uns in Europa nicht abschotten, sondern jeden mitspielen lassen, der sich an die bei uns geltenden Spielregeln hält", sagt dazu Boris Otto, Institutsleiter am Fraunhofer ISST und Interims-CTO der Gaia-X Association. So sind also auch die übermächtigen Konkurrenten von Europas Cloud-Anbietern mit an Bord: Amazon, Google, Microsoft, Palantir und Salesforce ebenso wie Huawei oder Alibaba.
Rainer Sträter sieht das positiv. Zum einen ist die Vision von Gaia-X, dass sich eines Tages Firmen per Katalog Cloud-Anbieter nach Kriterien wie Firmensitz, Standort des Rechenzentrums oder Datensicherheit über einen globalen Katalog aussuchen. Zum anderen dürfte es für die großen Firmen wie Telekom oder VW, die heute schon Dienste von Hyperscalern in Anspruch nehmen, leichter sein, zu anderen Anwendern zu wechseln, wenn diese Hyperscaler die Gaia-X Regeln angenommen haben und sich zu digitaler Souveränität und Transparenz verpflichtet haben. Davon könnten am Ende auch die kleineren europäischen Cloud-Anbieter profitieren, die im Augenblick - was die Finanzmacht angeht - nicht mit den großen mithalten können.