Gaddafi will Protesten trotzen
22. Februar 2011Es war nur ein kurzer Auftritt im libyschen Staatsfernsehen: Für wenige Sekunden war Revolutionsführer Muammar al Gaddafi am frühen Dienstagmorgen (22.02.2011) auf dem Bildschirm zu sehen - angeblich, so beteuerte der staatliche Sender, "live" aus seiner Residenz in der Hauptstadt Tripolis.
Spekulationen über mögliche Flucht nach Venezuela
Der Auftritt hatte offenkundig nur ein Ziel: Er sollte Spekulationen über eine mögliche Flucht Gaddafis ins Ausland entgegentreten. "Ich bin in Tripolis und nicht in Venezuela", erklärte der Machthaber kurz - und stieg dann in ein Auto, angeblich um zu den Demonstranten ins Zentrum von Tripolis zu fahren.
Zuvor hatten Medien darüber spekuliert, Gaddafi befinde sich möglicherweise bereits auf dem Weg nach Venezuela. Auch der britische Außenminister William Hague hatte eine entsprechende Vermutung geäußert. Doch auch die venezolanische Regierung hatte das dementiert. Vor seinem kurzen Fernseh-Auftritt war Gaddafi tagelang nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden.
Luftangriffe auf unbewaffnete Demonstranten?
Die Lage in dem nordafrikanischen Land spitzt sich derweil weiter zu. Bei dem Versuch, die Proteste gegen Staatschef Gaddafi niederzuschlagen, töteten libysche Einsatzkräfte nach Medienberichten allein am Montag mehr als 150 Menschen.
Wie der arabische Sender Al-Dschasira unter Berufung auf Augenzeugen berichtete, flogen Kampfflugzeuge in der Hauptstadt Tripolis Angriffe auf unbewaffnete Demonstranten. Seif el Islam Gaddafi, ein Sohn des Machthabers, wies die Berichte zurück. Die Luftangriffe hätten sich gegen Munitionslager in entlegenen Gebieten gerichtet, zitierte ihn das staatliche Fernsehen.
Kritik aus dem Ausland
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten verurteilten das gewaltsame Vorgehen libyscher Sicherheitskräfte. Die EU-Staaten forderten ein sofortiges Ende der Gewalt gegen Demonstranten, erklärte die Außenbeauftragte Catherine Ashton nach einem Außenministertreffen in Brüssel.
US-Außenministerin Hillary Clinton mahnte die libysche Führung in scharfer Form zum Gewaltverzicht. "Die Welt beobachtet alarmiert die Lage in Libyen", sagte Clinton. "Jetzt ist die Zeit, das inakzeptable Blutvergießen zu beenden." Das Emirat Katar verlangte eine Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga, um die Situation in Libyen zu erörtern.
In Berlin forderte Außenminister Guido Westerwelle am Dienstag den libyschen Staatschef mit deutlichen Worten zum Abdanken auf. Eine Herrscherfamilie, die das eigene Volk mit Bürgerkrieg bedrohe, sei am Ende, sagte der Minister im ZDF. Auch Westerwelle rief die Regierung in Tripolis auf, keine Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen. Die Bundesregierung setzte darauf, dass der Funke, der mit der Revolution in Tunesien gezündet worden sei, auch in anderen Ländern eine Chance bekomme.
Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay verlangte eine Untersuchung des gewaltsamen Vorgehens von Polizei und Armee in Libyen gegen die Oppositionsbewegung. Angesichts der systematischen Angriffe auf die Bevölkerung könnte die libysche Führung um Machthaber al Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden, erklärte Pillay in Genf.
Libysche Diplomaten distanzieren sich
Die Rückendeckung für den libyschen Machthaber bröckelt derweil zusehends. Mehrere libysche UN-Diplomaten distanzierten sich offen von Muammar al Gaddafi. Er müsse aufhören, "das libysche Volk zu töten" und das Land so schnell wie möglich verlassen, sagte der stellvertretende UN-Botschafter Ibrahim Dabbashi vor Journalisten in New York. Angesichts der blutigen Niederschlagung der Proteste und der "Kriegserklärung" von Gaddafis Sohn Seif el Islam an das eigene Volk "können wir nicht mehr schweigen", erklärte Dabbashi.
Nach Angaben des Vize-Botschafters hat das Personal der libyschen UN-Mission Gaddafi in einem Schreiben zum Rücktritt aufgefordert. Ob sich auch Botschafter Abdurrahman Schalgham der Revolte angeschlossen hat, ist unklar. Seit Sonntag haben bereits eine Reihe libyscher Diplomaten aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Regierungsgegner ihr Amt niedergelegt.
Autor: Frank Wörner (dpa, dapd, afp, rtr)
Redaktion: Thomas Grimmer