Görlach global: 70 gegen Taiwan
20. Februar 2025Während der Präsidentschaftswahlkampf in den USA, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Konflikt um Gaza die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog, nutzte Peking die Gunst der Stunde, um sich die Zustimmung von 70 Ländern für ein mögliches militärisches Vorgehen gegen Taiwan zu sichern.
Diese Zustimmung braucht die Volksrepublik, denn nach einem etwaigen Angriff auf die demokratische Inselnation würden die Verbündeten Taipehs sicher eine Resolution in den Vereinten Nationen einbringen wollen, die dieses kriegerische Unterfangen verurteilt. Mit der gesammelten Unterstützung hätte eine solche Resolution wohl viel geringere Chancen auf eine Mehrheit als bislang.
70 Länder für China
Laut des britischen Magazins The Economisthaben die genannten 70 Länder in den vergangenen 18 Monaten in offiziellen Communiqués und Erklärungen das Wording Pekings übernommen, wonach die Volksrepublik das Recht auf den Einsatz "aller Mittel" habe, die eine "Wiedervereinigung" Taiwans mit der Volksrepublik zum Ziele hätten. Dies schließt militärische Mittel explizit ein.
Die momentan geltende und akzeptierte Sicht der USA und ihrer Verbündeten auf den Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Bürgerkriegsparteien Republik China (heute Taiwan) und der Volksrepublik China ist, dass keine der beiden den fein kalibrierten Status Quo mit Gewalt jedweder Art verändern darf.
Doch Chinas Alleinherrscher Xi Jinping hat die Annexion Taiwans bereits kurz nach seinem Amtsantritt 2013 zum Hauptziel seiner Regentschaft gemacht und dies in der jüngeren Vergangenheit mehr und mehr in Wort und Tat bekräftigt. Täglich überfliegen chinesische Kampfjets die Insel, die Küstenwache Pekings provoziert jene Taiwans und droht mit einer völligen Blockade des Eilands.
Die 70 Länder mit der pro-chinesischen Sprachregelung erstrecken sich über Asien, Europa, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika; 97 Prozent, darunter Südafrika, Ägypten und Pakistan, liegen im sogenannten globalen Süden. In vielen dieser Länder hat sich China über sein Belt and Road-Infrastrukturprogramm den Zugang zu wichtigen natürlichen Ressourcen gesichert und Häfen und andere Transportprojekte finanziert. Somit verfügt Peking über ausreichend Druckmittel, um diese Länder auf seine Linie zu zwingen.
Zunehmende Isolation Taiwans
Nach der diplomatischen Offensive Pekings wären nun insgesamt 89 der in den Vereinten Nationen vertretenen Länder damit einverstanden, dass China "alle Mittel" gegen Taiwan einsetzen darf. Insgesamt akzeptieren 119 Länder, 62 Prozent der UN-Mitgliedsstaaten, wenngleich mit einem weniger martialischen Ton, generell den territorialen Anspruch Pekings über Taiwan. Angesichts dieser Zahlen dürften sich Taipehs Hoffnungen auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nicht mehr materialisieren. Nunmehr akzeptieren nur noch zwölf Länder in der UN-Vollversammlung Taiwan diplomatisch.
Die erfolgreiche Isolation Taiwans zeigt, dass Xi Jinping aus Putins Fehlern beim Angriff auf die Ukraine gelernt hat. Mit der Einigkeit der westlichen Welt, die den Angriff in der Arena der Vereinten Nationen missbilligte und verurteilte, hatte der Kreml-Diktator nämlich nicht gerechnet. Mit einer Mehrheit der UN-Staaten hinter sich kann Xi damit rechnen, dass eine Verurteilung seines Angriffs auf die Insel vor seiner Küste wohl keine Mehrheit finden und die Volksrepublik, anders als Russland, womöglich nicht mit Sanktionen belegt werden wird.
Taipeh hilflos gegen Chinas Übermacht
Für Taiwan sind das allesamt keine guten Nachrichten. Der Inselstaat, der selbst unermüdlich (und teils auch erfolgreich, beispielsweise mit seiner Masken-Diplomatie während der Covid-19-Pandemie) für sich und sein Existenzrecht wirbt, ist hilflos angesichts von Pekings Übermacht.
Die Volksrepublik, die den Kampf der Palästinenser für einen eigenen Staat seit Jahrzehnten gegen, wie es aus Pekinger Regierungskreisen immer wieder heißt, "imperialistische Kräfte" unterstützt, wünscht sich keinerlei Einmischung in seinem eigenen Einflussgebiet, wenn es um ein solches Recht für die Taiwaner geht.
Dass die ehemals so grausam kolonialisierten Länder des globalen Südens kein Problem damit haben, die 24 Millionen Menschen auf Taiwan einem ähnlichen Schicksal zu überlassen wie es ihre Vorfahren durchleiden mussten, ist sehr traurig, allerdings Realpolitik für jene Nationen, die eine Abhängigkeit von westlichen Imperien gegen eine Abhängigkeit von China eingetauscht haben.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.