Für Boeing-Chef wird Luft dünner
7. Mai 2019Dennis Muilenburg ist ein waschechtes Boeing-Gewächs. Der heutige CEO begann seine Karriere bei dem Flugzeugbauer in Seattle 1985, mit einem Praktikum während der Collegezeit. Seitdem legte der heute 54jährige eine steile Karriere hin.
Vor allem bei den Aktionären ist Muilenburg beliebt. Der Aktienkurs hat sich in den vier Jahren seiner Amtszeit mehr als verdreifacht, Boeing verwöhnt Anteilseigner mit üppigen Dividenden. Doch seit dem zweiten Absturz einer Boeing 737 MAX 8 im März ist nichts mehr so, wie es beim Flugzeug-Giganten von der US-Westküste einmal war.
Es steht der Verdacht im Raum, dass für die Konzernspitze der Shareholder Value wichtiger war als eine Kultur von Qualität und Sicherheit, für die Boeing lange bekannt war.
CEO versagt in der Krise
Dazu versagte Muilenburg als Kommunikator in der Krise, trat viel zu spät, zu hölzern und zu wenig empathisch auf. Jetzt bläst ihm der Wind scharf ins Gesicht, sein Verbleiben im Amt dürfte vom weiteren Verlauf der MAX-Krise abhängen. Derzeit sind 370 Flugzeuge des Typs weltweit am Boden. Wann sie erneut für den Flugbetrieb freigegeben werden und wie dann das fliegende Publikum reagiert, ist unklar.
Noch hat Boeing mehr als 4.600 unerfüllte Bestellungen für 737 MAX-Flugzeuge, die aktuelle Version des ursprünglich 1967 erstmals geflogenen Zweistrahlers entwickelte sich schnell zum Bestseller. Doch derzeit häufen sich Enthüllungen über Versäumnisse und fragwürdiges Verhalten von Boeing im Bemühen, die MAX-Familie 2017 möglichst schnell auf den Markt zu bringen.
Dennis Muilenburg macht dabei eine unglückliche Figur, auch als er während der Hauptversammlung in Chicago vergangene Woche gefragt wurde, ob er je einen Rücktritt wegen der MAX-Krise erwogen habe. Nach quälend langem Schweigen formulierte er verschwurbelt: "Es ist weiter meine klare Absicht, bei Sicherheit, Qualität und Integrität an vorderster Front zu führen." Nach nur wenigen Minuten verließ er abrupt seine erste Pressekonferenz seit den MAX-Abstürzen.
Verbraucherschützer Ralph Nader, dessen Großnichte beim MAX-Absturz in Äthiopien starb, richtete einen Brief an Muilenburg und forderte: "Sie und Ihr Team sollten auf ihre Bezüge verzichten und unverzüglich zurücktreten." Ob es dazu kommt hängt auch davon ab, wie Boeing mit den stetig zunehmenden Enthüllungen umgeht.
Kunden, Piloten und Aufsicht falsch informiert
Am vergangenen Wochenende kam heraus: Fluggesellschaften, die die Boeing 737 MAX gekauft haben, deren Piloten und die US-Luftfahrtbehörde FAA wurden vom Hersteller über das Vorhandensein und die Aktivierung eines Warnsystems im Cockpit lange Zeit falsch informiert.
Das System soll Alarm schlagen, wenn Sensoren widersprüchliche Werte zur Fluglage ermitteln. Dann kann eine Software namens MCAS aktiv werden und automatisch die Nase des Flugzeugs herunterdrücken. Dieses Verfahren gilt als Auslöser der beiden Unfälle der 737 MAX mit zusammen 346 Toten.
Als die 737 MAX vor zwei Jahren erstmals ausgeliefert wurde, ging man bei Boeing davon aus, dass ein Warnlicht zu Fluglage-Messwerten im Cockpit zur Standardausführung aller Flugzeuge gehöre. Das aber war nicht der Fall, wie man bei Boeing angeblich erst Monate später feststellte. Das Warnlicht funktionierte nur, wenn Airlines zusätzlich und gegen Aufpreis ein anderes Warnsystem bestellt hatten. Das hatte aber nur ein Fünftel aller Kunden geordert.
Da Boeing das Fehlen dieser Systeme nicht als sicherheitsrelevant einstufte, hielt es der Hersteller ein ganzes Jahr lang nicht für nötig, diese Information an die FAA weiterzugeben. Erst nach dem Absturz des Lion-Air-Flugzeugs im Oktober 2018 wandte sich Boeing an die Behörde, stufte das Fehlen aber weiterhin als nicht bedrohlich für die Sicherheit ein.
"Oberste Führung war nicht eingeschaltet"
Dabei hielt Boeing die Tatsache zurück, dass das System eigentlich als Standardausführung geplant war und der Hersteller zunächst selbst nicht wusste, dass dies in der Realität nicht der Fall war. Am Sonntag räumte Boeing das Versäumnis ein und nannte es "eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen und der Software", die von Fremdfirmen geliefert wird. "Die oberste Führungsspitze war in die Überprüfung nicht eingeschaltet und wurde auf das Thema erst nach dem Lion Air-Unfall aufmerksam", hießt es in der Boeing-Mitteilung. Die FAA ließ daraufhin verlauten: "Hätte Boeing zum richtigen Zeitpunkt und früher mit den Betreibern kommuniziert, hätte das die Verwirrung vermindert oder ausgeschlossen."
Massive Beschwerden kommen von Piloten der größten US-MAX-Betreiber American Airlines und Southwest Airlines. "Hersteller sollten Bescheid wissen über das, was sie bauen und verkaufen. Davon hängt mein Leben und das meiner Passagiere ab", zitiert die New York Times Dennis Tajer, 737 MAX-Pilot und Sprecher der Pilotengewerkschaft von American Airlines.
Gleichzeitig muss sich Boeing Untersuchungen durch die US-Ministerien für Justiz und Verkehr stellen, Angehörige von Opfern in aller Welt haben Gerichtsverfahren angestrengt und der durch das Grounding der Maschinen entstandene Schaden steigt jeden Tag. Unterdessen wird es immer schwieriger, im Boeing-Werk in Renton bei Seattle genug Abstellplätze zu finden für die weiterlaufende, jetzt auf 42 Exemplare pro Monat gedrosselte Produktion von Maschinen, die derzeit nicht fliegen dürfen.
"Das System ist kaputt"
Ebenfalls am Wochenende berichtete die Seattle Times, Boeing habe seine eigenen Ingenieure massiv unter Druck gesetzt. Einige von ihnen sollten im Auftrag der Flugbehörde FAA die Zulassung der 737 MAX überwachen. Laut Bericht drängte Boeing aber auf weniger aufwändige Sicherheitstests rund um das Feuerlöschsystem für die neuen Triebwerke des Typs LEAP. Die höheren Sicherheitsstandards kosteten das Unternehmen nicht nur Geld, sondern vor allem kostbare Zeit im Wettrennen mit Airbus und dessen Konkurrenzmodell A320neo. Ein leitender Boeing-Ingenieur soll sich dem Drängen widersetzt haben und daraufhin entlassen worden sein, so die Zeitung.
"Viele Ingenieure waren bei Boeing angestellt, während sie offiziell als Augen und Ohren der FAA tätig waren", so die Seattle Times. "Sie sahen sich heftigem Druck von Boeing-Managern ausgesetzt, die Sicherheitstests zu begrenzen, damit Boeing den Zeitplan einhalten und die Kosten niedrig halten konnte."
Seit 2004 werden die sogenannten "autorisierten Repräsentanten" der FAA bei dem Flugzeughersteller von Boeing selbst ausgewählt und berichten an Boeing-Manager. "Das System ist absolut kaputt", zitiert die Zeitung einen früheren FAA-Repräsentanten, der an der 737 MAX-Zulassung beteiligt war.