5 Jahre Hanau: Berlinale-Film über Trauer der Angehörigen
19. Februar 2025"Wer gehört zu Deutschland - und wer nicht?" Dies ist die zentrale Frage, die Regisseur Marcin Wierzchowski in seinem Dokumentarfilm "Das Deutsche Volk" stellt. Auf der Berlinale feierte der Film Premiere - im Gedenken an das rassistisch motivierte Attentat im hessischen Hanau, das am 19. Februar 2020 ganz Deutschland erschütterte. In dieser Nacht tötete ein Rechtsextremist neun Menschen - Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov - fünf weitere Menschen wurden verletzt.
Nach seinem Amoklauf kehrte der Täter in seine Wohnung zurück. Dort tötete er seine Mutter und anschließend sich selbst.
Es stellte sich heraus, dass der 43-jährige Tobias R. vor den Morden ein rassistisches "Manifest" im Internet veröffentlicht hatte. In seiner Wohnung wurden auch Dokumente gefunden, die Verschwörungstheorien und rechtsextreme Ansichten propagieren. Schon damals hatte die rechtspopulistische Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) dazu beigetragen, dass ausländerfeindliche Positionen in Deutschland immer offener geäußert wurden.
Den Morden von Hanau waren weitere Attentate mit rechtsradikalem Hintergrund vorausgegangen, wie der Angriff auf eine Synagoge im ostdeutschen Halle im Oktober 2019, bei dem zwei Menschen starben, und der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke im nordhessischen Wolfhagen im Juni 2019.
Fünf Jahre mit den Angehörigen
Der Filmemacher Marcin Wierzchowski begann sofort nach der Schießerei von Hanau, die Entwicklungen zu dokumentieren. Fast fünf Jahre begleitete er die Familien der Opfer und die Überlebenden mit der Kamera.
In Schwarzweiß-Bildern zeigt der Film die Familien in ihrer Trauer und auch, wie sie darum kämpfen mussten, an brauchbare Informationen über ihre toten Angehörigen zu kommen. Sie warfen den Behörden vor, die Umstände, die zu den Morden geführt hatten, nicht kritisch aufgearbeitet zu haben. Auch habe man sie nicht vollständig über den Stand der Ermittlungen aufgeklärt.
Von Anfang an fühlten sich die Opferfamilien wie Menschen zweiter Klasse. In einigen Fällen hatte die Polizei mehr als 24 Stunden gebraucht, um die Eltern der Opfer zu informieren. Die Leichen wurden ohne ihre Zustimmung beschlagnahmt und zur Autopsie gebracht, und sie erfuhren erst eine Woche später, wo ihre toten Kinder überhaupt waren.
In dieser ersten Woche erfuhren sie nicht, was von den Behörden unternommen wurde und auch nicht, was sie erwarten konnten - es gab nicht einmal eine Pressekonferenz. "Sieben bis acht Tage in diesem Trauma, die Kinder werden erschossen, beschlagnahmt, es wurde behauptet, sie hätten die Zustimmung gegeben, was nicht stimmt", sagte Regisseur Wierzchowski der Deutsche Welle.
Die Familien der Opfer nahmen es selbst in die Hand
Der Dokumentarfilmer lernte die Familien der Opfer kennen, als sie begannen, die Öffentlichkeit auf verschiedene Verfahrensmängel aufmerksam zu machen.
Unter anderem kam heraus, dass der Täter legal eine Waffe besitzen durfte, obwohl er den Behörden bereits mehrfach wegen seines aggressiven, paranoid-schizophrenen Verhaltens und seiner rechtsextremen Überzeugungen aufgefallen war.
Eine weitere Ungereimtheit war, dass die Polizei das Haus des Verdächtigen erst fast fünf Stunden nach seinem Angriff stürmte. Zudem war die Notrufzentrale in der Tatnacht nicht erreichbar.
Hinzu kommt, dass auch der Vater des Täters dessen rechtsradikale Ideologie teilt. Nach der Tat seines Sohnes hat er die Morde heruntergespielt und die Opfer öffentlich beleidigt. Er hat die Mutter eines Opfers, Serpil Temiz Unvar, wiederholt mit Briefen und Kontaktversuchen belästigt und alle einstweiligen Verfügungen ignoriert.
Trotz der bedrohlichen Situation warnte die Polizei die Opferfamilien, sie sollten keine Racheakte an dem Vater des Täters verüben. "Das nahm ihnen auch das letzte Vertrauen in die Behörden", so der Filmemacher bei der Pressevorführung des Dokumentarfilms.
Polizeibeamte in rechtsextremen Chats
Anderthalb Jahre nach der Tat, im Juni 2021, wurde eine Einheit der hessischen Spezialkräfte aufgelöst, als ans Tageslicht kam, dass ihre Beamten an rassistischen rechtsextremen Gruppenchats teilgenommen hatten. In der Nacht der Schießerei waren 13 Beamte dieser Gruppe im Hanauer Sondereinsatzkommando im Einsatz.
Der damalige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier wurde in der Frankfurter Rundschau mit den Worten zitiert, selbst wenn die Polizeibeamten eine rechtsextreme Gesinnung gehabt hätten, sage dies nichts darüber aus, ob diese Männer ihren Einsatz als Polizisten richtig gemacht hätten.
Die Angehörigen der Opfer beauftragten Forensic Architecture, ein Londoner Kollektiv aus Designern, Architekten, Filmemachern und Softwareentwicklern, das sich der digitalen Erforschung von Menschenrechtsverletzungen und staatlicher Gewalt widmet. Forensic Architecture deckte weitere Details über das verspätete Eingreifen der Spezialeinheiten auf - mithilfe von Zeugenaussagen, Aufnahmen von Polizeihubschraubern und Überwachungskameras.
Fluchtweg versperrt
Sie wiesen auf einen weiteren heiklen Punkt hin: Der Notausgang der Arena Bar, einem der Tatorte, war verschlossen, was mehrere Opfer an der Flucht hinderte. Einigen Zeugen zufolge hatte die Polizei - die häufig Razzien in dem hauptsächlich von Migranten frequentierten Lokal durchführte - den Barbesitzer zuvor unter Druck gesetzt, den Notausgang zu verschließen, damit die Gäste bei einer möglichen Razzia nicht durch ihn entkommen konnten.
Fünf Jahre nach der Tat wächst die Unterstützung für die AfD - deren Rhetorik den Mörder nachweislich direkt beeinflusst hat - in ganz Deutschland weiter. Das ist schwer zu ertragen für die Angehörigen der Opfer, die angesichts der aktuellen politischen Lage in Deutschland pessimistisch sind: "Meine Kinder sind hier geboren, aber man hat uns das Gefühl gegeben, dass wir niemals dazugehören werden", sagte ein Mitwirkender des Films während der Berlinale gegenüber der DW. "Und damit müssen wir leben."
Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch.