1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Freie und faire Parlamentswahlen in Belarus?

12. Juli 2004

- Zur gemeinsamen Erklärung der OSZE und Minsk-Delegierten zu den Oktober-Wahlen

https://p.dw.com/p/5J2w

Bonn, 11.7.2004, DW-RADIO / Russisch, Christiane Hoffmann

In Belarus, wo seit 1994 Präsident Aleksandr Lukaschenka an der Spitze einer repressiven Regierung steht, sehen viele die Sowjetunion im Kleinformat. In diesem Land, der letzten Diktatur Europas, werden im Oktober Parlamentswahlen abgehalten. Jetzt beginnt der Wahlkampf und damit steigt der Druck auf die Opposition. Führende Oppositionspolitiker werden verfolgt, unter fragwürdigen Begründungen ins Gefängnis gesteckt oder überfallen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wollte eine Resolution zu Belarus verabschieden, in der das Lukaschenka-Regime verurteilt wird. Doch dazu kam es nicht. Im Gegenteil. Christiane Hoffmann mit Einzelheiten:

Auf ihrer Jahrestagung in Edinburgh, Schottland (5. - 9. Juli), akzeptierte die OSZE eine Erklärung der belarussischen Delegierten und zog die angestrebte Resolution zurück. In der Erklärung verpflichtet sich Belarus, im Oktober freie und faire Parlamentswahlen abzuhalten, der Opposition ungehinderten Zugang zu den Medien zu gewähren und allen Kandidaten einen uneingeschränkten Wahlkampf zu ermöglichen.

Außerdem stimmten die Belarussen der Forderung zu, dass zu den Wahlen OSZE-Beobachter zugelassen werden. Daraufhin zog die OSZE-Beauftragte für Belarus, Uta Zapf, ihre Resolution zurück. Zur Begründung sagte sie:

"Ich denke, dass insgesamt sichtbar ist, dass die Belarussen im Moment ein Interesse haben, dass diese Wahl nicht wieder wie 2000 beurteilt wird und dass es von daher Verbesserungen geben wird. Wir werden das sehr genau beobachten. Ich finde, der Fortschritt ist, dass jemand wie Herr Orda, der Delegationsleiter, das mit seiner Unterschrift versehen hat. Das ist jetzt nicht irgendwo auf einem Papier, sondern er hat es persönlich unterschrieben."

Die Rücknahme der Resolution sei ein Vertrauensvorschuss, denn mit einer Resolution könne man nur abstrafen, so die OSZE-Beauftragte. Die Organisation setzt nun auf Dialog mit den Verantwortlichen in Minsk und will so auf die Entwicklung im Land Einfluss nehmen. Denn Präsident Lukaschenka hat Belarus in den vergangenen zehn Jahren in die Isolation geführt. Die EU hat schon vor Jahren die politischen Beziehungen abgebrochen.

Im jetzt beginnenden Wahlkampf wird der Druck auf Oppositionspolitiker erhöht. Oppositionelle werden verfolgt, landen im Gefängnis oder verschwinden einfach. Prominentestes Opfer ist der Oppositionsführer Michail Marynitsch, der seit Ende April im Gefängnis sitzt. Ihm wird vorgeworfen, Regierungsdokumente gestohlen zu haben.

Am vergangenen Wochenende (3./4.7.) wurde der Chef der Parlamentariergruppe Respublika, Walerij Frolow, vor seinem Haus zusammengeschlagen. Auch dies ist einer der Gründe, warum Oppositionspolitiker am Sinn der OSZE-Erklärung zweifeln. Nikolaj Statkewitsch, Sprecher der Sozialdemokratischen Partei bezeichnet sie als bloßes Manöver der Regierung:

"Die Delegationsmitglieder, die diese Erklärung unterschrieben haben, haben keinerlei Vollmacht und tragen keinerlei Verantwortung. Es ist in Wahrheit so, dass die Wahlkampagne in Belarus von der Administration des Präsidenten geführt wird."

Für den Chef der Vereinigten Bürgerpartei Anatoli Lebedko hat die Vereinbarung keinen Wert. Er ist überzeugt, dass sie nur den propagandistischen Zielen der Regierung nützt:

"Es gibt einen Präzedenzfall: Als Präsident Lukaschenka seine Unterschrift unter die Istanbuler Erklärung setzte, hatte er das schon am nächsten Tag wieder vergessen."

Das war auf dem OSZE-Gipfel vor fünf Jahren und Lukaschenka hatte einem Dialog mit der Opposition zugestimmt. Verbessert hat sich die Situation damals nicht.

Den Wert der jetzigen OSZE-Erklärung stellte am Freitag (9.7.) - nur einen Tag nachdem sie von den belarussischen Delegierten unterschrieben wurde - ein Pressesprecher des Außenministeriums in Minsk klar. Er sagte, die Erklärung sei kein offizielles Dokument, sondern lediglich ein Papier einzelner Abgeordneter.

Kein Wunder, dass die belarussische Opposition nach wie vor skeptisch ist. Sie bezweifelt, dass die Gesinnung der Regierung Lukaschenka sich so plötzlich gewandelt hat und dass der Wahlkampf fair ablaufen wird. (TS)