Frauenhass, der Männer zum Weinen bringt
30. April 2016Sie stöhnen und schnappen nach Luft. Sie fassen sich an die Stirn und schweigen. Sie schütteln den Kopf und blicken zu Boden. Die Männer schämen sich. Sie verstummen angesichts der Hasstiraden, die Nutzer in den sozialen Netzwerken auf zwei bekannte amerikanische Sportreporterinnen loslassen.
Doch nun brechen sie ihr Schweigen. Von Angesicht zu Angesicht lesen sie die verbalen sexistischen Ausfälle vor und können es selbst nicht fassen, wie unverhohlen in der digitalen Welt frauenverachtende und rassistische Kommentare gepostet werden.
Die Inszenierung der digitalen Kreuzigung von Frauen verbreitete sich mit enormer Geschwindigkeit im Netz. Seit dem 25. April wurde das Video mit dem Hashtag "#morethanmean" - mehr als gemein - knapp drei Millionen Mal geklickt. Ein Coup, der zeigt, wie schnell eine erfolgreiche Kampagne entstehen kann.
"Ich hoffe, Du wirst vergewaltigt"
Dabei geht es nicht nur um Frauen im Sport, die hinter oder vor der Kamera stehen. Die beiden amerikanischen Sportreportinnen Julie Dicaro und Sarah Spain stehen stellvertretend für die Hasstiraden gegen Journalistinnen im Netz - eine weltweit wachsende Bedrohung.
"Ich hoffe, Dein Hund wird angefahren", "hoffentlich schlägt Dich Dein Freund", und "hoffentlich wirst Du vergewaltigt", gehören noch zu den harmlosesten Androhungen, die sich Julie Dicaro und Sarah Spain anhören müssen. Auch Sätze wie diese erreichten ihre Accounts: "Du brauchst eine Tracht Prügel, am besten, man bringt Dich um. Frauen stellen wir nur ein, wenn wir sie …wollen."
Auch in Deutschland gehen die Nutzer nicht zimperlich mit Journalistinnen in den sogenannten sozialen Netzwerken um. Die bekanntesten Opfer hierzulande sind die Fernsehfrauen Dunja Hayali und Anja Reschke sowie ZEIT-Redakteurin Özlem Topçu. ZDF-Moderatorin Dunja Hayali gelang es kürzlich immerhin, einem Facebook-Nutzer seine Hasskommentare gerichtlich zu verbieten.
Gesellschaftlicher Rückschritt
"Es geht darum, die Frauen zu erniedrigen, auf sexueller und beruflicher Ebene", sagt Rebecca Beerheide, Vorsitzende des Journalistinnenbundes. Wenn Männer ein Thema kommentierten, fiele die Reaktion anders aus als bei Frauen.
Beerheide macht für die anhaltenden Hasstiraden gegen Medienfrauen im Netz vor allem zwei Gründe verantwortlich. Es sei heute viel einfacher, seine Vorurteile zu artikulieren. "Früher musste man sich hinsetzen, einen Leserbrief schreiben und ihn zur Post bringen", erklärt Beerheide. "Heute kann man zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Post absetzen."
Die Vorsitzende des Journalistinnenbundes sieht zudem "enorme Rückschritte" bei gesellschaftlichen Themen, die längst als abgehakt galten. "Wir erleben einen deutlichen Backslash, beim Thema Abtreibung, beim Thema Religion. Alle sind aufgeklärt, doch die Gesellschaft macht trotzdem eine Rolle rückwärts."
"Guardian" legt Untersuchung vor
Die Ausfälle der digitalen "Keyboard Cowboys", wie die männlichen Hasskommentatoren in Großbritannien genannt werden, beschäftigen auch den britischen "Guardian". In einem Mammutprojekt ließ die Zeitung kürzlich rund 70.000 Kommentare untersuchen, die auf der Internetseite des Medienhauses geblockt worden waren.
Ergebnis: Unter den zehn am meisten beschimpften Journalisten befanden sich acht Frauen und zwei schwarze Männer. Die Untersuchung lieferte erstmals den quantitativen Beweis für den von Journalistinnen schon lange gehegten Verdacht: Artikel, die von Frauen geschrieben werden, rufen mehr Hasskommentare hervor, als bei männlichen Autoren. Und zwar unabhängig davon, was das Thema ist.
Humor als Waffe
Die Hasstiraden, die sich gegen TV-Frauen und Texterinnen richten, verfolgen Journalisten mit Migrationshintergrund schon lange. Seit vier Jahren wehren sie sich mit "Hate Poetry" dagegen. So tragen sie die Beschimpfungen ihrer Leser öffentlich auf der Bühne vor und kleben sich Bärte an, wenn sie als Salafisten beschimpft wurden.
Trotz Beschimpfungen - irgendwann lacht der Journalist und das Publikum lacht mit. Die Verfasser der Hasskommentare werden öffentlich ausgelacht, ihre gehässigen Posts bloßgestellt. Die amerikanischen Macher des Hashtags #morethanmean haben die Idee aufgegriffen. Doch zum Lachen war ihnen nicht zumute.