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Frankreichs Studenten wollen keine Arbeitsreform

Christine Harjes16. März 2006

Praktika, kleine Jobs, Arbeitslosigkeit: Ein Teufelskreis, den ein Viertel der französischen Jugendlichen nicht durchbrechen kann. Die Regierung will deshalb den Kündigungsschutz lockern. Doch das stößt auf Widerstand.

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Die Proteste werden gewalttätigerBild: AP

Seit Wochen protestieren Gewerkschaften, Schüler, Studenten und linke Parteien gegen den neuen so genannten Erstanstellungsvertrag (CPE). Die Auseinandersetzungen werden immer gewalttätiger. Nahe der renommierten Pariser Sorbonne-Universität kam es am Dienstagabend (14.3.2006) zu fünfstündigen Auseinandersetzungen. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Demonstranten ein, die mit Steinen, Flaschen und Absperrgittern warfen. Zehn Polizisten wurden verletzt, drei davon schwer. Am Mittwoch erfassten die Unruhen zwei Drittel der französischen Hochschulen. Demonstranten behinderten an manchen Orten den Zug- und Autoverkehr. Am Donnerstagvormittag gingen allein in Bordeaux nach unterschiedlichen Angaben von Polizei und Veranstaltern 8000 bis 20.000 Menschen auf die Straße, in Marseille waren es zwischen 7000 und 15.000. Von Frankreichs 84 Universitäten waren gegen Mittag rund 70 Prozent blockiert, ebenso Dutzende von Gymnasien. Allein in Paris waren rund 30 Schulen betroffen. Auch hier gingen mehrere tausend Student auf die Straße. Die Gewerkschaften erklärten sich mit den Studenten solidarisch. Sie wollen am Samstag mit einem weiteren Aktionstag gegen den Vertrag zur Ersteinstellung mobil machen.

Kein Einstieg auf den Arbeitsmarkt

Bei dem Gesetz geht es um eine Lockerung des Kündigungsschutzes für junge Arbeitnehmer unter 26 Jahren. Laut dem CPE sollen sie in Zukunft während der ersten zwei Jahre bei einer Firma ohne Angabe von Gründen jederzeit entlassen werden können. Unternehmen sollen so motiviert werden, mehr Jugendliche – bei denen die Arbeitslosigkeit in Frankreich bei 23 Prozent liegt – einzustellen. Pascal Archard von der Studentengewerkschaft UNEF glaubt nicht an eine Verbesserung der Lage für junge Arbeitnehmer. Es gehe nicht, wie der Name fälschlicherweise sage, um eine Erstanstellung, sondern man könne mit dem CPE mehrmals eingestellt werden. "So kann man einen Vertrag bei einer Firma haben, entlassen werden und drei Monate später für denselben Job wieder eingestellt werden. Und das Ganze bis man 26 Jahre alt ist." Man steige auf diese Art nicht wirklich in den Arbeitsmarkt ein, kritisiert Archard.

Neue Wege

Professor Dr. Henrik Uterwedde
Henrik UterweddeBild: Deutsch-Französisches Institut

Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg sieht das anders. Man müsse auch neue Wege ausprobieren, sagt Uterwedde. Ob sie was brächten könne man erst später in ein bis zwei Jahren sehen. "Die Villepin-Regierung ist mit dem Versuch, die Unternehmen zu veranlassen, mehr Jugendliche einzustellen, eigentlich im Recht." Wie schon in der Vergangenheit, als beispielsweise der damalige Premierminister Alain Juppé versuchte, Reformen der sozialen Sicherheitssysteme durchzusetzen, könnte der Protest maßgeblichen Einfluss auf die französische Politik haben. Juppé wurde schließlich unter dem Druck von Medien und Gewerkschaften von Jacques Chirac zur Umkehr gezwungen.

Villepin in Madrid
Dominique de Villepin in MadridBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Auch jetzt versucht der Präsident zu besänftigen. Er rief den französischen Premierminister Dominique de Villepin, der das Gesetz im Parlament durchgedrückt hatte, auf, "einen sozialen Dialog zu beginnen" und "zu verbessern, was am Vertrag zur Ersteinstellung zu verbessern ist." Am Donnerstag reagierte Villepin auf die Aufforderung von 46 Universitätspräsidenten, das Gespräch mit den Reformgegnern zu suchen. "Wir sind alle mobilisiert, um auf die Sorgen der jungen Leute einzugehen und sie besser auf ihrem Weg zu einer Beschäftigung zu begleiten", sagte Villepin. Am Donnerstagabend will der Premierminister mit einigen Hochschulleitern sprechen. An eine Umkehr Villepins glaubt Uterwedde nicht. Die Regierung müsse um ihrer Glaubwürdigkeit willen bei der Stange bleiben, sagt der Politologe. Villepin habe aber versäumt, das Gesetz vorher mit den betroffenen Gruppen zu besprechen und es durch das Parlament gepeitscht. In Frankreich kein Einzelfall, wie Uterwedde erklärt: "Manchmal haben die Regierungen in Frankreich die Tendenz, in einer Art technokratischer Verblendung zu sagen, sie wüssten was gut ist für das Volk." Hinterher wunderten sie sich dann, wenn das Volk die Botschaft überhaupt nicht annehme und sie ihnen um die Ohren schlage. So halten 62 Prozent der Franzosen nach einer Umfrage die aktuellen Proteste für berechtigt.

"Mächtige Dampfwalze"

Französische Studenten setzen Protestaktionen fort
Zusammenstoß zwischen Studenten und der Polizei in der Nähe der Sorbonne in ParisBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Villepin habe dabei die Macht der Studenten unterschätzt, glaubt Archard: "Villepin hat darauf gesetzt, dass wir nicht in der Lage sind, Studenten zu mobilisieren. Heute sehen wir, dass er gescheitert ist. Er hat keine andere Wahl, als das Gesetz aufzugeben", sagt der Student. Er ist sich sicher, dass die Protestbewegung weiter anwachsen wird. Schon jetzt bekommt Villepin die Auswirkungen zu spüren: Die Zeitungen schreiben schlecht über ihn und seine Chancen auf den Posten des Präsidenten, für den er im Mai nächsten Jahres kandidieren will, sinken. In Frankreich gebe es einen fast aggressiven Antiliberalismus, sagt Uterwedde. "Diese Angst verbindet sich mit einer Mobilisierungsfähigkeit und einem ideologischen Überbau." Das sei dann eine mächtige Dampfwalze, gegen die Regierungen oft nicht ankämen.