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Autoindustrie im Norden Frankreichs

Andreas Noll2. Mai 2012

Keine andere Region Frankreichs ist so abhängig von der Autoindustrie wie das Nord-Pas-de-Calais. Mit der Krise wächst in der Grenzregion aber neben der Angst auch die Bereitschaft zu unkonventionellen Maßnahmen.

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Rheinland-Pfalz/ Ein Mechaniker einer Peugeot-Niederlassung repariert am Montag (13.02.12) in einer Werkstatt der Niederlassung in Mainz einen Pkw der Marke Peugeot. Das Unternehmen veroeffentlicht am Mittwoch (15.02.12) die Quartalszahlen. Foto: Torsten Silz/dapd
Symbolbild Peugeot Kooperation General MotorsBild: dapd

Die Präsidentschaftskandidaten hatten einen Besuchstermin angefragt, doch die Arbeiter lehnten ab - bloß keine politische Instrumentalisierung. "Wir wollen unseren Kampf zum Erhalt des Werkes nicht mit einer politischen Richtung verbinden", stellt Jean-Charles Masclef klar, der Betriebsratsvorsitzende des Werkes vor den Toren der Kleinstadt Valenciennes. Dabei haben er und seine Kollegen derzeit Probleme genug. Weil Fiat seine langjährige Partnerschaft mit Peugeot Citroën (PSA) 2017 beendet, steht die Zukunft des jüngsten Automobilwerkes in Frankreich in den Sternen. PSA allein wird Sevelnord nicht auslasten können – ein neuer Partner muss also dringend gefunden werden. Doch bei der Suche danach soll sich keine Partei öffentlich profilieren können.

Neuer Machtfaktor Betriebsrat

Masclef und sein Vize Patrick Prudhomme gehören zu einer neuen Generation von Gewerkschaftern, die wenig gemein hat mit den Aktivisten, die auch schon mal einen Manager als Geisel nehmen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die beiden bescheidenen Funktionäre wollen langfristig die Strukturen verändern. Alle sieben Gewerkschaften von Sevelnord haben sie so in einen Gewerkschaftsbund zusammengefasst. Plötzlich ziehen Trotzkisten und unpolitische Gruppen an einem Strang. "Mit einem einzigen Ziel: den Weiterbestand des Werkes zu sichern."  Der Betriebsrat – in Frankreich als Institution sonst eher für Grillfeste und Mitarbeiterausflüge bekannt – gewinnt zudem spürbar an Einfluss. Sein Vorsitzender hat gerade erst den Industrieminister getroffen. Und auch sonst habe sich einiges verändert, sagt Vize Patrick Prudhomme: "Seit es diesen Zusammenschluss gibt, haben wir keine Kriege mehr zwischen den Gewerkschaften, da gibt es keine bösen Flugblätter mehr übereinander. Und der Respekt zwischen den Mitarbeitern ist gewachsen.“

Jean-Charles Masclef (r.) und Patrick Prudhomme vor dem Bahnhof von Valenciennes (Frankreich). Masclef ist Chef des Betriebsrats des Automobilwerks von Sevelnord, Prudhomme sein Stellvertreter. Copyright: DW/Andreas Noll April, 2012
Betriebsratschef Jean-Charles Masclef (r.) und sein Vize Patrick PrudhommeBild: DW

Modell Deutschland – einmal ganz anders

Das Vorbild für diesen Gewerkschaftsbund kommt aus Deutschland und heißt IG Metall. Man habe das ja nur in den Zeitungen gelesen, so Prudhomme, aber in Deutschland gebe es bei Verhandlungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften keine Sieger und Verlierer wie in Frankreich, sondern Gewinner und Gewinner. "Das hätten wir auch gerne für unser Land."

Reformen wie diese sind es, an die auch Wirtschaftsexperten denken, wenn sie für eine kulturelle Revolution werben. In der globalisierten Welt müsse Frankreich überkommene Traditionen zurücklassen, meint etwa Isabelle Bourgeois vom deutsch-französischen Forschungsinstitut CIRAC.

Rund 30 Prozent teurer als die Kollegen in Spanien

Aber natürlich ändert eine reformierte Interessenvertretung nichts am globalen Wettbewerb. Rund 30 Prozent preiswerter produziert etwa das spanische Werk von PSA, auch weil dort die Löhne niedriger sind, haben sie im Betriebsrat ausgerechnet. Und klar ist auch: Die Branche steckt in großen Schwierigkeiten. Wenn Jean-Charles Masclef von den Überkapazitäten auf dem europäischen Automobilmarkt spricht, spürt man seine Angst vor der Zukunft. "Es kommt der Moment, in dem Entscheidungen getroffen werden müssen, die für uns alle nicht erfreulich sind." Schon mehrfach hat die Belegschaft Opfer bringen müssen: Mit rund 2.400 Mitarbeitern arbeiten in Sevelnord nur noch halb so viele Menschen wie zu Hochzeiten des 1992 gegründeten Werks. Was ein mögliches Aus von Sevelnord für die Region bedeuten würde? Masclef macht sich keine Illusionen: "Wenn die Automobilindustrie hustet, bekommt die ganze Region einen Schnupfen." Gut 50.000 Menschen leben hier von dieser Branche – das sind mehr als 40 Prozent aller Arbeitsplätze.

©PHOTOPQR/L'ALSACE/Jean Francois FREY/ MULHOUSE/LE 13/04/11 - VISITE PRIVEE JDE A L USINE PSA PEUGEOT CITROEN DE MULHOUSE - UNE EMPLOYEE DE LA CHAINE CONTROLE QUALITE ET UNE VOITURE CITROEN C4 Mulhouse north eastern France, april 13th 2011. PSA Peugeot Citroen plant. Production of the Citroen C4. Photo: Jean Francois Frey
Verlierer auf dem europäischen Markt: Peugeot Citroën (PSA)Bild: picture-alliance/dpa

Valenciennes möchte diversifizieren

Und doch machen sich die Arbeitnehmervertreter Mut. Man habe es immer wieder geschafft, sich auf neue Situationen einzustellen. Als die Stahlkrise in den Siebziger Jahren über die Region hereinbrach, schnellte die Arbeitslosigkeit auf deutlich über 20 Prozent hoch. Auto- und Bahnindustrie lösten daraufhin die einstigen Arbeitsplatzgaranten Textil-, Kohle- und Stahlindustrie ab. Und dass sich immer noch etwas bewegt in der Region, sieht der Besucher, wenn er den gerade erst renovierten Hauptbahnhof von Valenciennes verlässt und in die erst wenige Jahre alte moderne Straßenbahn steigt. Aber werden Stadt und Umland auf Dauer von der Autoindustrie leben können? David Hugoo vom kommunalen Zusammenschluss "Valenciennes Métropole" ist da vorsichtig: "Wir glauben an die Automobilindustrie und daher unterstützen wir sie weiter. Aber daneben ist unser Ziel, eine Monostruktur in der Region zu verhindern und deshalb arbeiten wir an einer Wirtschaft, die auf mehreren Standbeinen ruht: Das sind neben der Automobil- und Bahnindustrie die digitale Industrie und die Logistik."

Der Bahnhof von Valenciennes
Mit viel Geld modernisiert: die Innenstadt von ValenciennesBild: DW

IT-Industrie als Ersatz für die Arbeitsplätze in der Autobranche?

Investitionen in den Dienstleistungssektor finden auch die Unterstützung der Gewerkschaften, aber verlassen möchten sie sich darauf lieber nicht. Für das neue Werk in Sevelnord hätten sie damals schließlich Metzger oder Maurer angelernt. Die würden wohl auch in Zukunft keine E-Learning-Programme schreiben.

Hoffnung macht dem Betriebsrat, dass es auch in der Krise gute Nachrichten gibt. Vor wenigen Tagen haben die Kollegen im benachbarten Toyota-Werk die Produktion eines Hybridwagens gestartet. Und Toyota zählt auch zu den Marken, die als Ersatzpartner für Fiat gehandelt werden. Aber ob es dazu kommt, wird wohl erst nach den Präsidentschaftswahlen verkündet. Die wichtigen Entscheidungen, sie fallen eben immer noch in Paris.