Flüchtlingesrechte werden in Europa unterlaufen
8. März 2012Der Zulauf an Flüchtlingen aus arabischen und einer Reihe afrikanischer Länder nach Griechenland reißt nicht ab. Die Lager sind übervoll. Die Menschen sind notdürftig untergebracht oder leben auf der Straße. Die griechischen Behörden sind schlichtweg überfordert. Die Asylverfahren laufen schleppend, wenn überhaupt. Viele Flüchtlinge verlassen Griechenland und reisen in andere EU-Länder ein. Wenn es nach den Innenministern von Deutschland, Österreich, Schweden, Belgien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden ginge, würde genau das unterbunden.
Asylrecht beginnt schon zu Wasser
Doch von Griechenland eine striktere Abschottung seiner Grenzen gegen Flüchtlinge zu verlangen, kommt schon fast einem Verstoß gegen die Menschenrechte gleich. Denn dann würde möglicherweise berechtigt schutzsuchenden Flüchtlingen eben dieser Schutz verwehrt. "Es würde pauschal unterstellt", sagt Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Institut für Menschenrechte, "dass die Menschen keinen Schutz vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen suchten - ohne überhaupt ihren Asylanspruch jemals zu prüfen oder ihnen Rechtsschutz zu gewähren - obwohl ihnen genau das zusteht." Und zwar nicht nur dann, wenn sie bereits einen Fuß auf das Festland gesetzt haben, sondern auch und bereits auf offener See.
Die durchaus gängige Praxis von EU-Ländern, Bootsflüchtlinge in internationalen Gewässern aufzugreifen und in deren Heimat oder in aufnahmebereite Länder zu bringen, verstößt gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er verbietet, Menschen in Länder zurückzuweisen, in denen ihnen die Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung droht. Das sei auch an den EU-Außengrenzen zu beachten, betont Cremer. "Für diese EU-Länder besteht nicht die Möglichkeit, einfach zu sagen: Ihr dürft hier nicht einreisen."
Dublin II und Schengen
Innerhalb der EU gilt, dass das Land, in das ein Flüchtling einreist, auch für dessen Asylverfahren zuständig ist. Das ist in einer Verordnung geregelt, die sich Dublin II nennt. EU-Länder, die - wie beispielsweise Griechenland - im Küstenbereich liegen und daher für Flüchtlinge leichter erreichbar sind, müssen also deutlich mehr Asylbewerber aufnehmen als europäische Binnenstaaten. Eine Lösung hierfür sieht Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte darin, "dass innerhalb Europas eine Verteilung stattfindet, beziehungsweise eine Entlastung der EU-Länder im Küstenbereich." Das erfordere allerdings eine Änderung der Dublin II Verordnung.
Auch den verschärften Schutz der innereuropäischen Grenzen - beispielsweise durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum - sieht Cremer kritisch. Denn jedes EU-Land, an dessen Grenze ein Flüchtling Zugang fordert, um Asyl zu beantragen, ist verpflichtet, den Asylantrag in vollem Umfang zu prüfen. Eine Zurückweisung in das Ausreiseland innerhalb Europas ist also nicht erlaubt. Im Falle Griechenlands bemängelt Cremer außerdem, dass "dort die Gefahr unmenschlicher Behandlung besteht, und auch kein Zugang zu einem Asylverfahren sicher ist."
Griechenland auf verlorenem Posten
Mehr Solidarität unter den EU-Staaten hält Karl Kopp von der Organisation Pro Asyl für erforderlich. Er kritisiert, dass Griechenland mit der großen Flut von Flüchtlingen allein gelassen wird. Sinnvoll sei es, ein gemeinsames Schutzsystem in Europa zu schaffen, "mit menschenwürdigen Aufnahmebedingungen, die verbindlich so gestaltet werden müssen, dass sie sich in ganz Europa wenigstens ähneln." Hierin sehe er die Chance, der tausendfachen Obdachlosigkeit von Flüchtlingen, wie sie aktuell im Süden Europas anzutreffen sei, wirkungsvoll entgegenzutreten.
Nach seiner Einschätzung kommen - gemessen an der derzeit hohen Zahl bestehender politischer Konflikte - ohnehin vergleichbar wenige Flüchtlinge in die EU-Staaten. "250.000 Menschen schaffen es in diesen Staatenverbund", sagt Kopp. "Und dennoch gibt es seit Jahren die Tendenz, auch von Staaten wie Deutschland, sich abzuschotten."
Autorin: Beatrix Beuthner
Redaktion: Andrea Lueg