Fracking-Gas aus Deutschland?
7. November 2022Die deutsche Sonderbeauftragte für internationalen Klimaschutz, Jennifer Morgan, hat Forderungen der FDP nach Fracking in Deutschland eine deutliche Absage erteilt. "Das ist ausgeschlossen", sagte die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt dem Nachrichtenmagazin "Spiegel". Damit bezog die Vertraute von Grünen-Politikerin Annalena Baerbock klar Position gegen entsprechende Vorschläge aus der FDP.
Deren Vorsitzender, Finanzminister Christian Lindner, hatte Ende Oktober eine Aufhebung des Fracking-Verbots in Aussicht gestellt. "Wir haben in Deutschland erhebliche Gasvorkommen, die gewonnen werden können, ohne das Trinkwasser zu gefährden", hatte der Chef der Liberalen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt. Die Förderung sei "auch unter ökologischen Voraussetzungen verantwortbar", so Lindner weiter. "Es wäre eher nicht verantwortbar, aus ideologischen Festlegungen auf Fracking zu verzichten."
Die Fördermethode - das Aufbrechen von Gestein durch das Einpumpen von Wasser und Chemikalien, um Gas freizusetzen - wurde 2016 in Deutschland teilweise verboten. Seitdem haben zahlreiche Politiker, vor allem aus Reihen der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) und der konservativen Unionsparteien CDU und CSU, immer wieder gefordert, Fracking in Deutschland zu erlauben. Angesichts der Energiekrise in Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine sind diese Stimmen zuletzt lauter geworden.
Fracking: ein Nicht-Thema?
Für Mathias Koch, politischer Berater für die Energiewende bei E3G, einem unabhängigen Think Tank in Berlin, sind das jedoch unfruchtbare Diskussionen. "Bis Fracking einen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland leisten könnte, können wir durch die Dämmung von Gebäuden und die Installation von Wärmepumpen bereits viel mehr einsparen", sagte er der DW. "Es ist unverantwortlich, von den eigentlichen Lösungen abzulenken, indem man ein weiteres Nicht-Thema in den Vordergrund rückt."
Deutschland verfügt theoretisch über genügend Erdgas, um ein Fünftel seines Bedarfs zu decken. Doch nur die Hälfte davon ist laut Bundesverband der deutschen Gas- und Erdölwirtschaft (BVEG) wirtschaftlich rentabel förderbar. Zudem dürfte es laut BVEG etwa drei Jahre dauern, um Standorte für die neuen Förderstätten zu ermitteln. Bis dann tatsächlich Gas aus dem Boden gepumpt würde, dürfte noch einmal deutlich mehr Zeit vergehen.
Fracking steht in der Kritik, weil es mit Umweltschäden wie der Verschmutzung von Grundwasser durch Chemikalien oder der Freisetzung des extrem klimaschädlichen Gases Methan in Verbindung gebracht wird. Zudem steht Fracking im Verdacht, Erdbeben auszulösen. Die Gewinnung von Gas durch Fracking sei in Deutschland "aus gutem Grund" verboten, heißt es aus dem von der Grünen-Politikerin Steffi Lemke geführten Umweltministerium. Ein Ministeriumssprecher hatte denn auch im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Lindners Ideen postwendend abgeschmettert: "Fracking-Gas ist klimaschädlich, und seine Förderung schadet der Umwelt."
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap vom August 2022 befürwortet nur etwa jeder vierte Deutsche Fracking auf heimischem Boden, während mehr als die Hälfte für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ist.
Geht Lindner auf Distanz?
Viele Beobachter vermuten jedoch, dass Lindners Fracking-Vorstoß eher politischer Schachzug als Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland sein könnte. Seine Partei hat zuletzt mit Wahlniederlagen zu kämpfen gehabt. Etwa im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo sie mehr als die Hälfte der Stimmen einbüßte. Oder in Niedersachsen, wo sie Anfang Oktober den Wiedereinzug in den Landtag verpasste.
Als Reaktion darauf scheint Lindner zunehmend Positionen zu vertreten, die von seinen Koalitionspartnern bei SPD und Grünen abgelehnt werden. Ein riskanter Schritt, der die Koalition destabilisieren könnte.
Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich Naumann Stiftung und Mitglied des FDP-Bundespräsidiums, betont, dass Lindners Initiative nicht von politischem Kalkül getrieben sei. "Wir sind grundsätzlich Technologie-offen, und das gilt natürlich auch fürs Fracking", so Paqué im Gespräch mit der DW. "Ich bin kein Spezialist, aber was ich lese, geht in die Richtung, dass es neue schonende Technologien gibt in diesem Bereich. Ich sehe das gar nicht in Zusammenhang mit einer Ampeldiskussion."
Meinungsverschiedenheiten seien in jeder Koalition normal, so Paqué weiter. "Die Grünen haben Ideen, die wir nicht teilen, wir haben Ideen, die die Grünen nicht teilen, und was im Rahmen eines Kompromisses rauskommt werden wir sehen." Natürlich sei die Situation für die FDP schwierig. "Diese Koalition ist bei unseren Wählern nicht sehr beliebt."
Zuletzt hatte die FDP bei ihren finanzpolitischen Grundsätzen Kompromisse eingehen müssen. Finanzminister Lindner gibt mehr Geld aus, als ihm lieb sein dürfte. Vor allem für die Verteidigung, aber auch für den Schutz von Unternehmen und Bürgern vor steigenden Energiekosten. Die ehrgeizigen Modernisierungspläne, die sich die neue Regierung im Dezember letzten Jahres in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat und die zu einem guten Teil von der FDP vorangetrieben wurden, sind vom russischen Krieg in der Ukraine durchkreuzt worden. Trotzdem stehe die Partei weiter hinter ihrem Vorsitzenden, sagt Paqué. "Lindner ist eine sehr starke Führungspersönlichkeit, und er hat uns aus viele Krisen rausgeführt."
Energieexperte Mathias Koch hingegen kritisiert, Lindner sorge mit seinem Fracking-Vorstoß eher für Lärm als für Lösungen. "Das ist ein weiterer Versuch der FDP, durch das Aufblasen eines Nebenthemas in der Debatte wieder Boden gut zu machen, ähnlich wie beim wochenlangen Gerangel um die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke", sagte er. "Sie scheinen jetzt verstärkt die letzten Wählerinnen und Wähler anzusprechen, die eine Verlangsamung der Energiewende wollen."
Der Text ist aus dem Englischen adaptiert.