Georgiens Folterskandal
21. September 2012Nach Protesten gegen die brutale Misshandlung von Häftlingen ist der georgische Innenminister Batscho Achalaja am Donnerstagabend (20.09.2012) zurückgetreten. Zuvor hatte bereits die für die Haftanstalten des Landes zuständige Ministerin Chatuna Kalmachelidse ihr Amt niedergelegt. Die Rücktritte treffen die Regierung von Präsident Michail Saakaschwili hart. Denn sie muss sich am 1. Oktober 2012 einer Parlamentswahl stellen.
Bereits seit Tagen gehen in Tiflis und anderen georgischen Städten Menschen für die Rechte von Gefangenen auf die Straßen. Sie forderten nicht nur den Rücktritt des Innenministers, sondern auch den seines Amtsvorgängers und derzeitigen Premierministers Wano Merabischwili. Auch wurden Forderungen nach einem Rücktritt von Präsident Saakaschwili laut. Ausgelöst wurden die Proteste durch ein Video, in dem gezeigt wird, wie Häftlinge von Gefängniswärtern geschlagen und mit Schlagstöcken und Besenstielen vergewaltigt werden. Ausgestrahlt wurde es von den beiden oppositionellen Fernsehsendern "Kanal 9" und "Maestro".
Hohe Sterberate unter Gefangenen
Zusätzlich fordern die Demonstranten, unabhängige Kontrollen in den Gefängnissen des Landes zuzulassen. Dass dort die Lage oft katastrophal ist, darauf haben die bisherigen georgischen Menschenrechtsbeauftragten immer wieder hingewiesen. Doch deren Berichte wurden von den Behörden jahrelang ignoriert. So äußerten sich Menschenrechtsbeauftragte wiederholt besorgt über die hohe Sterberate unter Gefangenen. Auch machten sie auf überfüllte Zellen und die Misshandlung von Insassen aufmerksam.
Dass im Strafvollzug des Landes seit langem Willkür herrsche, bestätigt auch Nino Gobronidse vom "Georgischen Verband junger Juristen". "Wir haben uns bemüht, auf die Misshandlung von Gefangenen aufmerksam zu machen. Deswegen haben wir uns an die Staatsanwaltschaft gewandt, aber eine angemessene Antwort haben wir nie bekommen", so Gobronidse.
Die Zustände in den Gefängnissen kritisiert auch der georgische Anwalt Gela Nikolaischwili. "Täglich gibt es Fälle, wo Insassen unmenschlich und erniedrigend vom Gefängnispersonal behandelt werden", sagte der Leiter der Nichtregierungsorganisation "Ehemalige politische Gefangene für Menschenrechte". Nikolaischwili bemängelt, dass vor einigen Jahren das Justizministerium die Überwachung der Gefängnisse durch unabhängige NGOs abgeschafft habe. Seitdem dürfe nur noch der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung die Gefängnisse kontrollieren.
Ombudsmann soll Strafvollzug reformieren
Nach dem Rücktritt der für die Haftanstalten des Landes zuständigen Ministerin übergab Saakaschwili dem Menschenrechtsbeauftragten Giorgi Tuguschi die Verantwortung über die Gefängnisse. Der Präsident äußerte die Hoffnung, dass der Ombudsmann den Strafvollzug reformieren werde. "Ich ernenne den schärfsten Kritiker des Systems zu seinem Chef", so Saakaschwili. Zuvor hatte er einige Gefängniswärter durch Polizisten ersetzt. Laut Staatsanwaltschaft wurden bereits elf Gefängnisangestellte festgenommen.
Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen wandte sich das Staatsoberhaupt auch an die Bevölkerung. Die Ereignisse in den Gefängnissen machten alle Erfolge der Regierungspartei in den vergangenen Jahren im Bereich der Sicherheit zunichte. So etwas habe er in Georgien nicht für möglich gehalten, sagte der Präsident. Saakaschwili warnte dann aber zugleich die Parteien des Landes davor, den Folterskandal zum eigenen Vorteil auszunutzen. Es sei kein Zufall, dass er zehn Tage vor der Parlamentswahl eskaliert sei.
Folterskandal könnte sich auf Wahlen auswirken
Der Leiter des georgischen Sicherheitsrates, Giga Bokeria, der als einer der Chefideologen von Saakaschwilis regierender Partei "Vereinte Nationale Bewegung" gilt, erklärte unterdessen, es sei ein großer Fehler der Regierung gewesen, die Berichte der Menschenrechtsbeauftragten jahrelang zu ignorieren.
Der Folterskandal könnte Saakaschwilis Partei bei der kommenden Wahl Stimmen kosten. Größter Herausforderer der Regierungspartei ist das Oppositionsbündnis "Georgischer Traum" des Milliardärs Bidsina Iwanischwili. Ihm kommt der Protest gegen die Regierung gerade recht. Iwanischwili kritisiert die Politik von Saakaschwili heftig und spricht von einem autoritären System in Georgien. Das Innenministerium wirft ihm wiederum vor, die Foltervideos in den Gefängnissen inszeniert zu haben.