Flüchtlingskinder im Abseits
9. September 2014Unbeschwert toben, Hobbys haben, Freunde finden: Das ist für die meisten Jungen und Mädchen in Deutschland normal. Für Flüchtlingskinder sieht die Welt oft ganz anders aus. Kaum Privatsphäre, ein Leben unter Fremden, Dolmetscher bei Behördengängen, Benachteiligung in vielen Lebensbereichen, so das Ergebnis der Studie "In erster Linie Kinder - Flüchtlingskinder in Deutschland", die vom Bundesfachverband "Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" im Auftrag des UN-Kinderhilfswerks Unicef erstellt wurde.
"Bei Flüchtlingskindern steht das Kindeswohl nicht an erster Stelle", sagte Thomas Berthold vom Bundesfachverband "Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" und Autor der Studie. "Im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts haben wir immer wieder festgestellt, dass Kinder sehr wenig gehört werden." Mehr noch: Häufig seien sie für die Familie Dolmetscher bei Behörden - eine Rolle, die sie oft überfordere. Sie erlebten ihre Eltern als hilflos und schwach und sich selbst als für die Aufenthaltssicherung der gesamten Familie verantwortlich. Diese Erfahrungen könnten eine kindgerechte Entwicklung behindern.
Zurücksetzung in allen Lebensbereichen
An behördlicher Unterstützung mangelt es laut Studie auch bei der Suche nach einem geeignetem Schul- oder Kitaplatz. Viele Kinder müssten monatelang darauf warten, zudem es gebe kaum Freizeitangebote für die Flüchtlingskinder. Oftmals lebten sie mit ihren Familien und Fremden jahrelang auf engem Raum in Gemeinschaftsunterkünften ohne Privatsphäre. Das sei vor allem für Jugendliche in der Pubertät schwierig, wenn diese eigentlich unabhängiger werden wollen. Auch eine angemessene medizinische Versorgung sei oftmals nicht gewährleistet. Die Hürde für medizinische Untersuchungen liege für die Familien hoch, da jeder Arztbesuch einzeln vom zuständigen Amt genehmigt werden müsse. Die Behandlung sei auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt.
65.000 Flüchtlingskinder in Deutschland
Das Handeln der Behörden widerspreche häufig den Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, kritisierte Anne Lütkes, Vorstand bei Unicef Deutschland. Die UN-Konvention besagt, dass das Kindeswohl in allen Maßnahmen, die Heranwachsende betreffen, vorrangig berücksichtigt werden muss. Deutschland hat die Konvention 1992 ratifiziert.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), bemängelte, dass bei den Aufenthaltsrechten das Kindeswohl nicht im Mittelpunkt stehe. Dabei sei es aber oft die Lebenssituation der Kinder, die Familien zur Flucht bewegten. Dies sei etwa der Fall bei der Gefahr von Genitalverstümmelung bei Mädchen, bei Zwangsverheiratungen oder drohender Versklavung von Kindern.
In Deutschland leben nach Unicef-Schätzungen rund 65.000 Kinder und Jugendliche, die entweder geduldet werden oder für die ein Asylantrag gestellt wurde Etwa 36.300 Flüchtlingskinder - das sind 90 bis 95 Prozent aller Flüchtlinge unter 18 Jahren - kamen im vergangenen Jahr in Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland.
qu/wl (dpa, epd, kna)