Flugblätter statt Kamelle
1. März 2014Auf dem Boden in einer Halle im Kölner Stadtteil Braunsfeld steht ein riesiger Clownskopf aus Pappmaschee. Wenige Schritte daneben wirft ein Beamer die Umrisse von Buchstaben und einer Trillerpfeife auf eine Stoffbahn an die Wand, aus der ein Transparent entstehen soll. "Jecke, hört die Signale", wird darauf stehen. Ein Mann und eine Frau stehen mit verschränkten Armen hinter dem Beamer. "Sollen wir die Pfeife nicht lieber wegnehmen?", fragt die Frau. "Die taucht doch schon so oft auf."
Die beiden gehören zu den Pappnasen Rotschwarz, eine Kölner Karnevalsgruppe, die die große Narrenparade am Rosenmontag für richtigen politischen Protest nutzt: In diesem Jahr wollen die "Pappnasen" gegen Bespitzelung und Überwachung durch NSA und andere Geheimdienste demonstrieren und Asyl für den Whistleblower Edward Snowden fordern. Weil die Pfeife das Symbol für Whistleblower ist, wird sie beim Auftritt der "Pappnasen" eine zentrale Rolle spielen.
Der Rosenmontagsumzug am 3. März ist der Höhepunkt der Karnevalssaison in Köln. Die Straßen sind dann voll mit Narren und Clowns, Funkenmariechen und Jecken in allen möglichen bunten Kostümen. Der moderne Kölner Karneval hat seine Ursprünge im 19. Jahrhundert, als das Rheinland nach der französischen Besatzung Preußen zugeschlagen wurde. Den Kölnern waren die Preußen fremd, von Anfang an war die Obrigkeit im Karneval Ziel von Spott und Ironie. Bis heute schlägt sich das im traditionellen Rosenmontagszug mit vielen politischen Mottowagen nieder.
Anknüpfen an obrigkeitskritische Tradition
Den "Pappnasen" sind die aber oft nicht frech genug. Sie knüpfen an die ursprüngliche obrigkeitskritische Tradition an. Viele von ihnen sind politisch aktiv – beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac, in der Occupy-Bewegung, verschiedenen linken Gruppen oder in Bürgerinitiativen.
Schon lange gibt es in Köln den so genannten "Zoch vorm Zoch". Bei diesem "Zug vor dem Zug" sind die "Pappnasen" und andere alternative Gruppen dabei, die nicht im offiziellen Karneval organisiert sind. Sie alle ziehen auf der offiziellen Route durch die Straßen, bevor dort der eigentliche Rosenmontagszug vorbeirollt. Die "Pappnasen" sind mittlerweile die größte "Zoch-vorm-Zoch"-Gruppe. "So um die 100 Leute sind wir eigentlich immer", sagt Tilman Lenssen-Erz, der von Anfang an dabei war. "Das gibt eine Strecke von fast 100 Metern, die wir auffüllen mit unseren Figuren und Wagen".
Große Aufmerksamkeit ist den "Pappnasen" sicher. Denn Hunderttausende Menschen stehen immer schon lange vor Beginn des Rosenmontagszugs an der Strecke und warten. Die Idee, die Narren-Parade für eine politische Aktion zu nutzen, kam bei der Attac-Weihnachtsfeier 2006 auf. Seit 2007 gehen die "Pappnasen" zum Rosenmontagszug.
"Das fand die Obrigkeit zunächst gar nicht lustig. Zwar erlaubte die Polizei nach langem Hin und Her den Zutritt zum Zugweg. Aber die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht auf. Nach einem süffisanten Bericht in der Lokalpresse über den bevorstehenden Prozess verständigten sich die Globalisierungskritiker und die Staatsanwaltschaft darauf, dass die "Pappnasen" künftig den "Zoch vorm Zoch" als Demonstration anmelden, die dann anstandslos von den Behörden genehmigt wird.
"Es hat sich gezeigt, dass das politische Arbeit auf der Straße ist, aber auch einen Mordsspaß macht", sagt Tilman Lenssen-Erz. "Dadurch, dass wir das karnevalistisch machen - politisch, aber ganz im Duktus des Karnevals - werden wir von den Leuten gerne aufgenommen." In jedem Jahr haben die "Pappnasen" ein anderes politisches Thema. Im vergangenen Jahr haben sie die Kampagne von Gewerkschaften und anderen Organisationen für die Einführung einer Vermögenssteuer aufgegriffen. Nun ist Figuren-Recycling angesagt: Aus dem großen Papp-Clown, der Rosenmontag 2013 als Robin Hood verkleidet war, wird jetzt ein Whistleblower.
Protest statt Bonbons
Außerdem bauen die "Pappnasen" an einer großen grünen Datenkrake. "Sie soll darstellen, wie die Geheimdienste sich in alles einmischen und was sie alles abgreifen", erklärt Resi Maschke-Firmenich, die früher im traditionellen Karneval als Tänzerin mitwirkte. Aber weil ihr die Inhalte der etablierten Narren nicht gefielen, hat sie damit aufgehört. Mit den "Pappnasen" kehrte sie in den Karneval zurück.
Auch "Wurfmaterial" - wie es in Köln so schön heißt - haben die "Pappnasen". Doch statt Kamelle bringen sie satirische Flugblätter unters Volk. Passend zum diesjährigen "Pappnasen"-Motto "Jecke, hört die Signale" bekommen die Zuschauer am Straßenrand ihr "persönliches Abhörprotokoll", verrät Resi Maschke-Firmenich. "Aus einer Lebensgeschichte, wie sie jeder hat, werden Ansätze von terroristischem Handeln konstruiert." In Zeiten der NSA-Affäre ist eben auch der Karneval eine ernste Angelegenheit.