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Flaneure des Krieges

Cornelia Rabitz5. Juni 2004

Idyllische Kirchen, romantische Strände und ganz viele Touristen. Die Normandie hat sich vom Kriegsplatz zum Urlaubsziel gewandelt - für alle, die auf den Spuren der Vergangenheit flanieren wollen.

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Schnappschüsse vom Kriegsplatz: Schiffsfwrack in Arromanches-Les-BainsBild: AP

Die Cafes heißen "Libération" oder "Six Juin". In den Museen wird den Heldentaten der Alliierten gehuldigt, in unzähligen Geschäften gibt es die üblichen Devotionalien: Minikampfflugzeuge, Miniaturpanzer und T-Shirts. Obeliske und Gedenktafeln zeugen vom Heldentod. In der Normandie ist die Geschichte des 6.Juni 1944 präsent, mehr noch: sie ist unübersehbar. Niemand kann ihr aus dem Wege gehen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des Tourismus geworden und aus der ganzen Welt kommen die Besucher hierher.

Gefährlicher Strandgang

An den weitläufigen, breiten Stränden bekommt man nur noch eine vage Ahnung davon, wie es wohl gewesen sein mag. An jenem 6. Juni 1944, als sich die Klappen der Landungsboote öffneten, die jungen alliierten Soldaten ins Wasser sprangen und sich bis ans Land vorkämpfen mussten. "Die Alliierten landeten eine Stunde nach Ebbe. Deshalb mußten sie 300 Meter offenen Strand überqueren. Dieser war mit Panzersperren und Hindernissen übersät", erzählt der Ire Edward Robinson, der hier als Fremdenführer Gäste aus Großbritannien und den USA betreut.

Heute sieht man bei Ebbe Trabrennfahrer mit ihren Pferden den Strand entlang jagen. Im Sommer herrscht Badebetrieb. Ausflugsgäste - junge wie alte - lassen sich gern vor gut erhaltenen Panzern fotografieren. Das Publikumsinteresse ist groß, Franzosen, Engländer, Amerikaner, Dänen und Schweden, wenige Deutsche, drängeln sich in den zahlreichen Museen.

Calvados zur Versöhnung

Die Besucher fahren in schicken, mobilen Kleinbussen, begleitet von smarten, mehrsprachigen Fremdenführern durch das Gebiet und halten dort an, wo auch die Geschichte einst ihren Atem angehalten hat. In Arromanches zum Beispiel liegen riesige hässliche Betonblöcke im Meer. Es sind Reste jenes legendären künstlichen Hafens, den die Engländer damals in kürzester Zeit anlegten, um den Nachschub an Fracht und Fahrzeugen zu ermöglichen. Arromanches ist heute aber auch ein quirliger Badeort, mit Cafés und Souvenirgeschäften, einer schönen Promenade, auf der die Besucher flanieren. Die Anmut dieses malerischen Küstenstrichs ist freilich trügerisch, denn die liebliche Dünenlandschaft ist gezeichnet von den Narben des Krieges: Bunkern, Geschützstellungen, Militärfahrzeugen.

Spezialbild 60 Jahrestag D-Day Frankreich
Panzer in BayeuxBild: AP

Viele Besucher kriechen um die alten Geschütze herum, steigen in halb zerfallene Bunkeranlagen, schnuppern dabei ein wenig vom Geist der Geschichte. Unter ihnen viele Veteranen. Manche von ihnen haben sich nach dem Krieg die Versöhnung zur Aufgabe gemacht. Der deutsche Veteran, Ex-Oberfeldwebel Alexander Uhlig zum Beispiel. "Wir haben ein sehr gutes Verhältnis mit der französischen Bevölkerung gehabt. Wenn wir alle paar Jahre mit alten Kriegskameraden in die Normandie fahren, zeigt sich das ganz besonders. Dort werden wir teilweise von den alten Leuten, die uns noch von damals kennen, zum Calvados eingeladen", erklärt der alte Mann.

Männer, die vom Himmel fielen

Zum Beispiel in dem Dorf Sainte-Mère-Eglise. Der kleine Ort rühmt sich damit, der erste gewesen zu sein, der durch amerikanische Fallschirmjäger von der deutschen Besatzung befreit wurde. Einer von ihnen war John Steele. Er blieb 1944 unglückseligerweise mit seinem Fallschirm am Kirchturm des Dorfes hängen. Aus Angst vor den deutschen Besatzern stellte er sich dort oben stundenlang tot, bis man ihm schließlich herunterhalf. " Die Türen der Flugzeuge waren ganz offen, das hat uns überrascht und aus all diesen Flugzeugen kamen Fallschirmspringer - überall fielen Amerikaner herunter", erinnert sich der 80jährige Raymond Paris.

Die einstigen Befreier hielten Kontakt zu Sainte-Mère-Eglise. Über Jahre hinweg haben Veteranen das Dorf besucht. Die Orgel in der Dorfkirche wurde von ihren Verbänden und der Liga der Fallschirmspringer gestiftet. Am Turm der Dorfkirche hängt eine lebensgroße Fallschirmspringer-Puppe und erinnert an das Ereignis, das damals den ganze Ort in Aufruhr versetzte.