Edel und perlend
31. Dezember 2009Die ersten Entwicklungsschritte des Champagners beginnen mit der Eroberung Galliens. Die Römer brachten den Wein in die Region Champagne, die 100 km östlich von Paris liegt. Sie schufen durch ihren Städtebau im 4. und 5. Jahrhundert als Zufallsprodukt die ersten großen Keller. Im Norden der Region errichteten sie Durocortorum, die Hauptstadt der früheren römischen Provinz Belgien, das heutige Reims. Das nötige Baumaterial fanden sie im Untergrund, denn der bestand aus leicht abzubauendem Kreidegestein. So entstanden die berühmten crayères, Grotten, die früher als unterirdische Kreidesteinbrüche dienten, und so kam es, dass der Boden der Stadt Reims durchlöchert ist, wie ein Schweizer Käse.
Die Grotten waren wegen ihres gleichmäßig kühlen Klimas hervorragend als Weinkeller zu benutzen. Doch darauf kamen erst die Mönche des Mittelalters rund 700 Jahre später. Sie brachten dem Weinbau in der Champagne seine zweite Blüte, denn nach den römischen Anfängen lagen viele Felder lange Zeit brach oder wurden nur spärlich bewirtschaftet. Zu dieser Zeit war der Norden um die Stadt Reims noch ein armer Landstrich.
Im Mittelalter das wichtigste Handelszentrum Europas
Der Süden, die sogenannte Aube, war das eigentliche Zentrum der Region und weitaus bedeutender, im Weinbau und ganz besonders als internationales Handelszentrum, betont der Historiker Jean-Francois Leroux: "Im 12. Jahrhundert waren die vier großen Märkte der Champagne die großen Pole des europäischen Handels: Das waren die Städte Troyes, Bar-sur-Aube, Provins und Lagny, die zum Besitz der Grafen der Champagne gehörten. Effektiv besaßen zu dieser Zeit die Grafen der Champagne und die Herzöge von Burgund die reichsten Zentren in ganz Europa." Sechs mehrwöchige Märkte pro Jahr fanden in der Champagne statt. Händler aus ganz Europa boten hier die besten Felle, Wolle und feinen Stoffe feil - und natürlich Wein.
Für die Entwicklung des Weins spielten die Mönche eine besondere Rolle. Der rigorose Kreuzzugsverfechter Bernhard de Clairvaux hatte im 12. Jahrhundert ein großangelegtes Zisterzienser-Kloster südlich von Troyes errichtet und organisierte die marode Landwirtschaft von Grund auf neu. Spezialisten kümmerten sich fortan um das Getreide, die Viehwirtschaft und um den Weinbau. Bernhard selbst trank keinerlei Alkohol, gestattete aber seinen Brüdern einen Drittel Liter Rebsaft pro Tag. Der Weinbau in der Champagne entwickelte sich zusehends. Seine größte Zeit aber sollte erst noch kommen.
Der Champagner hat sich selbst erfunden
Im 16. und 17. Jahrhundert war der Wein der Champagne auch am französischen Hof bekannt. Aber damals sprudelte er noch nicht. Der Champagner war ein stiller Wein wie andere auch. Das änderte sich erst durch eine Kombination verschiedener Zufälle und durch englische Liebhaber. Der berühmte Benediktiner Mönch Dom Perignon arbeitete ab 1668 als Kellermeister in der Abtei Hautvillers. Er steht im Ruf, den Champagner erfunden zu haben. Stimmt nicht ganz, meint Fremdenführerin Aline Milley aus Troyes: "Dom Perignon ist ein Mythos. Wir haben keinerlei schriftliche Beweise, die belegen, dass er den Champagner erfunden hat. Was wir aber sehr wohl wissen, ist, dass er als erster die Technik des Verschnitts angewendet hat, die assemblage. Der Champagner hat keinen richtigen Ursprung und auch keinen Erfinder."
Dom Perignon verdankt der Champagner in gewisser Weise seinen einzigartigen Geschmack. Was der Kellermeister aus verschieden Lagen und Fässern zusammenmischte, war immer besser als der Ursprungswein, der vermutlich auch bei ihm noch nicht sprudelte. Außerdem erfand er, wie man aus roten Trauben weißen Wein machen konnte, indem man die roten Traubenschalen schnell genug vom Saft trennte. Und nicht zuletzt verbesserte er die Rebpflanzung im Weinberg.
Woher das Sprudeln kommt
Die nördliche Lage der Champagne bedingt, dass es im Herbst schnell kühl wird. Was dazu führt, dass die Gärung oft stoppt, bevor der ganze Zucker des Traubenmostes in Alkohol umgewandelt ist. Im Frühjahr dann, wenn die Temperaturen wieder steigen, beginnt die Gärung erneut und die entstehende Kohlensäure lässt den Wein schäumen. Was bis ins 18. Jahrhundert nicht weiter auffiel, da der Wein in Fässern gelagert wurde und die Kohlensäure entwich. Dann aber begann die Zeit der Flaschen.
Besonders deshalb, weil Ludwig der 15. von Frankreich 1728 erstmals den Transport von Champagner in Flaschen erlaubte. Doch in den Flaschen der damaligen Zeit entwickelte der hohe Kohlensäuregehalt des Champagners eine verheerende Wirkung und brachte für die Händler große Probleme mit sich. Die Arbeiter im Weinkeller nannten vor allem die großen Flaschen "Bomben". Heute explodieren sie nur selten, aber noch im 19. Jahrhundert passierte es häufig, so dass ein Produzent manchmal bis zu 50 Prozent seiner Flaschen dadurch verlor.
Vom trüben zum klaren Champagner
Die Engländer waren im 18. Jahrhundert bereits große Liebhaber des stillen Champagner-Weins. Die sprudelnden Champagner-Flaschen aber wurden hier schnell zum Verkaufsschlager. Viele englische Händler füllten den Wein sogar selbst ab und förderten das muntere Perlen. Und ihre Flaschen hatten bereits Korken, während man in Frankreich noch mit Holzkeilen und Hanfpfropfen arbeitete.
Gleichzeitig entwickelte man auf der britischen Insel ein stabileres Glas als bis dahin üblich. Daraus ließen sich Flaschen herstellen, die dem Champagner-Druck besser standhielten. Und man ging mehr und mehr dazu über, der Natur auf die Sprünge zu helfen. Die spontane Nachgärung im Frühling wurde durch Zugabe von Zucker und Hefe gezielt gesteuert. Et voila: der Champagner perlte, wie gewünscht. Doch noch war er trüb. Dann kam Madame Barbe-Nicole Cliquot-Ponsardin. Die Witwe Cliquot, die der Nobelmarke den Namen verlieh, war eine Unternehmerin mit Weitblick. Ihr deutscher Kellermeister Anton von Müller erfand 1813 das Rüttelpult, mit dem die Hefe in den Flaschenhals gerüttelt wurde. Im Eisbad gefror man das Ganze und entfernte dann den eisigen Pfropfen. So entstand aus dem bis dahin trüben Schaumwein ein funkelnd klarer. Ein großer Verkaufsvorteil.
Geschicktes Marketing
Doch Madame Cliquots Verdienst ist weitaus größer. Ihr sprachgewandter Handelsvertreter, der Deutsch-Schweizer Ludwig Bohne, reiste um die ganze Welt zu den Reichsten der Reichen, um das besondere Getränk bekannt zu machen. Champagner wurde zum festlichen Begleiter der Königinnen und Könige. Und viele findige andere Produzenten mit deutschen Wurzeln - namens Heidsieck, Krug, Roederer undsoweiter - haben bei diesem Werbefeldzug mitgeholfen. Der Absatz stieg. Von einigen hunderttausend Flaschen im Jahr 1785 auf 6,5 Millionen im Jahr 1845.
Doch die Deutschen waren nicht nur geschickte Handlungsreisende, sie wurden auch erfolgreiche Produzenten. Von den rund 60 Champagner-Häusern, die 1844 ein Syndikat gründeten, besaßen knapp 20 Firmen deutsche Gründer. Übrigens war Champagner zu dieser Zeit vor allem eines: enorm süß. Die üblichen Zuckerwerte Mitte des 19. Jahrhunderts lagen bei den Flaschen für Frankreich und Deutschland bei bis zu 200 Gramm, bei denen für Russland sogar über 250 Gramm pro Liter. Damit war ihr Inhalt süßer als viele Portweine.
Rückschläge und der langsame Aufschwung
Der 1. Weltkrieg traf die Champagne hart. Nicht nur durch die Zerstörungen. Viele Männer waren im Krieg getötet worden und ihre Arbeitskraft fehlte in den Weinbergen der dünn besiedelten Region. Außerdem hatte um 1900 die Reblausplage einen Großteil der Pflanzen zerstört. Der neue Aufschwung kam langsam und mit ihm eine stetige Verbesserung der Trauben. Benutzt werden heute in der gesamten Champagne nur drei Rebsorten, zwei rote: Pinot Noir (Spätburgunder) und Pinot Meunier (Schwarzriesling), und eine weiße, der Chardonnay, also dieselben, aus denen man anderswo stillen Wein produziert.
Schaumwein wird in vielen Regionen Frankreichs und der Welt hergestellt. Als Crémant, Sekt, Prosecco oder Cava kommt er meist deutlich billiger in die Geschäfte als Champagner, der schnell die 30 Euro-Marke übersteigt. Allerdings gibt es auch nur wenige Schaumweine, die an dessen feinen Geschmack herankommen. Durch sein langes Hefelager besitzt Champagner außerdem ein einzigartiges Perlen, das wie Velours den Gaumen streift. Seinen Erfolg hat Champagner aber wohl eher einem gelungenen Marketing zu verdanken. Mit dem ererbten Image des adeligen Getränks krönt Champagner jede Festlichkeit.
Das Meiste wird in einer Woche getrunken
Seit den späten siebziger Jahren ging es mit dem Champagner steil und stetig bergauf. Der größte Teil davon wird aber nicht bei Hochzeiten getrunken oder von siegreichen Rennfahrern verspritzt. Jean-Pierre Redont vom renommierten Familienunternehmen Taittinger weist darauf hin, dass im Jahr 2008 die Champagne insgesamt 300 Millionen Flaschen produziert hat. Zwei Drittel davon wurden in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr geöffnet, das heißt innerhalb von nur einer Woche. Und so ist es dieses Jahr natürlich wieder. Auch wenn die Wirtschaftskrise vor allem den großen Champagnerhäusern ein dickes Minus beschert hat. Deshalb ist Champagner renommierter Marken derzeit so günstig wie noch nie zu haben. - Wohl bekomm’s!
Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Cornelia Rabitz