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Flüchtlinge: Die Balkanroute ist wieder voll

Dragan Maksimović (aus Zvornik)
4. September 2024

Das serbisch-bosnische Grenzgebiet am Fluss Drina ist für Flüchtlinge ein Nadelöhr der Balkanroute. Manche Einheimische verdienen an der Migration, manche helfen selbstlos. Grenzpolizei und Behörden sind ohnmächtig.

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Ein Mann in roter Kleidung verbindet einem anderen Mann das Knie, zwei weitere Männer schauen zu
Ein junger marokkanischer Flüchtling wird in Ostbosnien von einem Mitarbeiter des Roten Kreuzes medizinisch versorgt, zwei seiner Kameraden stehen danebenBild: Dragan Maksimović/DW

Es ist ein sonniger, warmer Spätsommertag an der unteren Drina. Hier, bei Kozluk, ist der Fluss an vielen Stellen nur knietief. Man kann fast von einem Ufer an das andere waten, nur hier und da erreicht die Wassertiefe anderthalb Meter.

Gerade sind drei junge Männer aus dem Fluss gestiegen, ihre Hosen und T-Shirts sind noch nass. "Wir sind einfach rüber geschwommen", erzählt einer von ihnen, der sich als Aman Haruel vorstellt und sagt, er sei 20 Jahre alt. "Wir haben gesehen, dass niemand auf der anderen Seite steht, und dann sind wir los. An einigen Stellen ist der Fluss ja sogar trocken. Wir sind zwar nass geworden, aber die Sonne scheint ja, und wir werden schnell wieder trocken." Die drei lachen.

Sie stammen aus Marokko und sind Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa. Sie sind über die Türkei zunächst nach Griechenland, dann weiter über Nordmazedonien nach Serbien gekommen. Bis vor ein paar Tagen waren sie in einem Aufnahmelager bei Belgrad.

Hier, am Grenzfluss Drina zwischen Serbien und Bosnien und Herzegowina, haben sie auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um hinüberzukommen. "No problem, no problem", fügen sie nach fast jedem Satz hinzu.

Ein Mann mit Glatze und Sonnenbrille, der von hinten zu sehen ist, spricht mit drei jungen Männern
DW-Reporter Dragan Maksimovic im Gespräch mit drei marokkanischen FlüchtlingenBild: Dragan Maksimović/DW

Einige Probleme gibt es allerdings doch. Einer der drei hat sich beim Durchqueren des Flusses Schürfwunden an den Beinen zugezogen. Ein Mitarbeiter eines Freiwilligenteams des bosnischen Roten Kreuzes, das zufällig in der Gegend war, legt ihm einen Verband um das rechte Knie an.

Das Team patroulliert regelmäßig entlang der Drina, um Flüchtlingen zu helfen - mit Lebensmitteln oder bei Verletzungen. Manchmal werde man auch von der Grenzpolizei zur Hilfe gerufen, sagt der Teamleiter Mladen Majstorovic. Sein Kollege Darko Jovanovic ergänzt, dass Rote-Kreuz-Teams in den ersten acht Monaten des Jahres insgesamt 800 Flüchtlinge vor Ort behandelt und fast 3000 Mahlzeiten ausgegeben hätten.

Flüchtlinge ertrunken

Unterwegs in Ostbosnien im Spätsommer 2024: Die rund 100 Kilometer lange Flussgrenze der Drina zu Serbien ist Teil der Balkanroute für Migranten. An diesem Abschnitt kommen täglich Dutzende Migranten illegal nach Bosnien, kaum jemand hält sie auf. Der Grenzabschnitt wird nur von einer unzureichenden Zahl bosnischer Grenzpolizisten bewacht. Hunderte, vielleicht tausende Beamte fehlen, um den gesamten Bereich zu überwachen. Die Situation ist so dramatisch, dass sogar an manchen Grenzübergängen nur ein einziger Beamter je Schicht für die gesamte Ein- und Ausreise zuständig ist.

Ein Fluss mit trockenen Stellen im Flussbett, dahinter bewaldete Berge
Der Fluss Drina in Ostbosnien, hier in der Nähe der Stadt ZvornikBild: Dragan Maksimović/DW

Die Balkanroute war zwar nie ganz geschlossen, doch seit einiger Zeit ist sie wieder besonders voll, auch an der Drina. Regelmäßig gerät sie durch Tragödien auch in die Schlagzeilen internationaler Medien, zuletzt vor wenigen Wochen: Am 22.08.2024 ertranken in der Drina nahe der serbischen Ortschaft Ljubovija mindestens zehn Flüchtlinge, als ein völlig überladenes Schlauchboot kenterte. Offenbar hatten Menschenschmuggler sie in das Boot gepfercht. Immerhin konnten sich 18 Menschen vor dem Ertrinken retten.

"Alles scheint organisiert"

Auch Nihad Suljic hat bemerkt, dass die Zahl der Flüchtlinge an der Drina in den vergangenen Monaten besonders stark gestiegen ist. Der 34-Jährige ist neben seiner regulären Arbeit in der ostbosnischen Stadt Tuzla Menschenrechtsaktivist und hilft gestrandeten Flüchtlingen mit dem Allernötigsten zum Leben. In Bosnien ist Suljic bekannt geworden, weil er geholfen hat, einen Friedhof für Flüchtlinge zu errichten, die tot aufgefunden wurden.

Ein Mann mit Brille vor einer Wand mit einer arabischen Inschrift
Der bosnische Menschenrechtsaktivist Nihad SuljicBild: Tina Xu /DW

"Beim Thema Migration steht Bosnien wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit", sagt Suljic der DW. "Aber anders als in den Corona-Jahren und unmittelbar davor scheinen Menschenschmuggler jetzt perfekt in die Strukturen eingebunden zu sein." Früher seien Flüchtlinge nach dem Grenzübertritt zu Fuß in kleinen Gruppen zu den Aufnahmezentren oder direkt weiter in Richtung Kroatien gegangen. Jetzt sehe man sie kaum mehr auf Straßen, denn seien die Aufnahmezentren alle voll. "Alles scheint perfekt organisiert zu sein", sagt Nihad.

"Sie klettern über die Brücke"

Auch Miroslav Radisic behauptet Ähnliches. Er ist Besitzer einer Pension, die nur wenige Meter vom bosnisch-serbischen Grenzübergang Sepak liegt, etwa zwanzig Kilometer flussabwärts der bosnischen Kleinstadt Zvornik. Radisic sagt, dass Geschäft mit den Flüchtlingen boome, alles sei vernetzt, und alle in der Gegend wüssten davon.

Die Taxifahrer warteten direkt neben seiner Pension und verhandelten mit ankommenden Flüchtlingen über den Preis der Weiterfahrt. "Du kommst hier nicht zum Schlafen", beschwert sich Radisic. "Es kommen ständig Taxis. Man hört Sirenengeheul. Die Leute prügeln sich um die Migranten. Manchmal kommen zehn Flüchtlinge, und hier warten zwanzig Taxifahrer."

Ein Mann in rotem T-Shirt steht unter einer Brücke an einem Fluss
Der Pensionsbesitzer Miroslav Radisic unter der Brücke am Grenzübergang Sepak in OstbosnienBild: Dragan Maksimović/DW

Der Pensionsbesitzer steht unterhalb der Brücke, die über die Drina nach Serbien führt, und erklärt, wie Migranten auf der Unterseite der Brücke über die Grenze gelangen. "Sie klettern auf den Stahlträgern unter der Brücke entlang und lassen sich auf unserer Seite an einem Seil herab, das niemand entfernt, auch nicht die Diensthabenden hier an der Grenze." Auf die Frage nach dem Warum sagt Radisic, dass die Grenze wohl erst dann hermetisch kontrolliert werden könne, wenn die Grenzpolizei ausreichend mit Personal verstärkt werde.

Grenzbeobachtung verstärkt

Die Grenzpolizei von Bosnien und Herzegowina sagt auf Anfrage der DW, dass sie die Beobachtung der Staatsgrenze verstärkt habe und auch mehr Polizei- und Spezialkräfte der Sicherheitsbehörden im Einsatz sind. Ziel sei es, die illegale Migration zu unterbinden. "Beamte der Grenzpolizei registrierten seit Jahresbeginn 5477 Personen, die illegal die Grenze überquerten oder versuchten sie zu überqueren", so die Stellungnahme der Grenzpolizei. "Hierbei sind meistens auch Menschenschmuggler involviert, die die Menschen entweder in Privat-Pkws oder mit Booten über die Drina bringen."

Die drei jungen Marokkaner scheinen auf eigene Faust nach Bosnien gekommen zu sein. Jedenfalls erzählen sie nichts von Menschenschmugglern. Sie wollen, so sagen sie, zunächst weiter bis in die bosnische Hauptstadt Sarajevo, dann bei Bihac in Nordwestbosnien über die grüne Grenze nach Kroatien. Ihr Ziel heißt Deutschland. "Wir können in Marokko nicht normal leben", begründen sie ihre Flucht. Dann steigen sie in ein Taxi und fahren in Richtung Zvornik.