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PolitikEuropa

Oder-Fischsterben: Katastrophe mit Ansage

29. August 2022

Nach dem massiven Fischsterben in der Oder kommen in Polen Hunderte Fälle von illegaler Entsorgung der Industrieabwässer ans Licht. Die Regierung verschärft Umweltstrafen.

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BG Deutschland/Polen Fischsterben in der Oder
Tote Fische in der Oder nahe Kostrzyn/Küstrin am 11.08.2022Bild: Cezary Aszkielowicz/Agencja Wyborcza.pl/REUTERS

Es ist ein sonniger Augusttag im niederschlesischen Olawa, die Oder fließt ruhig, eigentlich könnte es eine perfekte Idylle sein. Doch schon am Stadtrand, wo es keinen Straßenlärm gibt, fällt einem die ungewöhnliche Stille auf. Eine "tote" Stille, sagt Ryszard Gawron. "Kein Geräusch von Fischplätschern oder Vögeln. Keine Enten, die hier normalerweise nach Essen suchen. Nichts. Nur der Dreck ist da", klagt Gawron bitter. Er schaut auf eine Leitung, aus der gerade braunes, trübes Wasser in den Fluss strömt. Über solche Leitungen dürften die Industriebetriebe eigentlich nur Regenwasser und geklärtes Abwasser in die Oder einleiten und keinen Schmutz, sagt er. Doch daran würden sich nur wenige halten.

Oder Fischsterben
Ryszard Gawron, polnischer Umweltaktivist in Olawa (Ohlau) in Niederschlesien, PolenBild: Monika Sieradzka/DW

Seit Jahren setzt sich der Buchhalter Ryszard Gawron, der auch Umweltaktivist und Sportangler ist, für eine saubere Oder ein. Er lebt in Olawa (Ohlau), einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, 30 Kilometer südöstlich von Breslau. Nun steht er an dem Ort, an dem er am 26. Juli zum ersten Mal tote Fische entdeckte. Er gehörte damals auch zu den ersten, die die Behörden in Polen alarmierten. "Hier, auf einer Strecke von nur hundert Metern, gab es Hunderte von toten Fischen. Und am nächsten Tag haben wir Tausende aus dem Wasser geholt", sagt er der DW.

Karte Fluß Oder v2 DE

Was damals noch niemand ahnte: Es war der Anfang eines massiven Fischsterbens in der Oder. Bislang seien, so die polnischen Behörden, über 200 Tonnen toter Fische eingesammelt worden. Auch tote Biber wurden gefunden. Wie viele Fische noch auf dem Grund des Flusses verwesen und ob auch andere Tiere gelitten haben, ist nicht bekannt. Als Ursache werden giftige Algen vermutet, die zwar normalerweise in salzigem Wasser leben, sich aber auch in süßem Flusswasser bilden können - wenn zum Beispiel viele Industrieabwässer mit hohem Salzgehalt im Fluss landen.

Papierfabrik in der Kritik

Über Industrieabwässer weiß Ryszard Gawron inzwischen recht viel. Der Verein "Alles für Olawa", in dem er Mitglied ist, verfügt über Fotos und Videoaufnahmen, die die Umweltsünden der lokalen Industrie dokumentieren. Auf ihnen sieht man zum Beispiel Schleusen, durch die nachts schmutzige Abwässer abgeleitet werden. Oder Feuerwehrleute, die einen illegal am Flussboden befestigten Schlauch aus dem Wasser holen, aus dem Industrieabwässer fließen. Wie sich später zeigte, führte der Schlauch zur Olawaer Papierfabrik Jack-Pol, die nach eigenen Angaben 500 Tonnen Zellulose im Monat verarbeitet.

Oder Fischsterben
Feuerwehrleute ziehen im März 2022 einen illegalen Abflussschlauch aus der OderBild: Ryszard Gawron

Dem Schriftwechsel zwischen den Umweltaktivisten und den Behörden kann man entnehmen, dass dem Unternehmen bereits seit längerem Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Abwässern vorgeworfen wurden und dass es deshalb schon Geldstrafen zahlen musste. Da nun tote Fische in der Nähe der Fabrik gefunden wurden, geriet Jack-Pol erneut in die Kritik, diesmal sehr massiv. In mehreren Presseerklärungen bestritt das Unternehmen jedoch, zur Katastrophe in der Oder beigetragen zu haben. Auf der Webseite der Firma kann man lesen: "Der Schutz der Umwelt ist unser übergeordnetes Ziel."

Das kaufen die lokalen Aktivisten Jack-Pol nicht ab. Zwar gibt es keine handfesten Beweise gegen den Betrieb. Aber für die Umweltschützer liegt es nahe, dass ein Unternehmen, das Gewässer verschmutzt, zum Fischsterben beiträgt oder es sogar verursacht haben könnte.

Tomasz Frischmann | Bürgermeister der polnischen Stadt Olawa
Tomasz Frischmann, Bürgermeister der polnischen Stadt OlawaBild: Monika Sieradzka/DW

Der Bürgermeister von Olawa, Tomasz Frischmann, versucht, sich aus dem jahrelangen Konflikt zwischen den Aktivisten und der lokalen Industrie herauszuhalten. Er sagt der DW, dass er aber immer die Polizei und Feuerwehr benachrichtige, wenn sich Einwohner beschwerten: "Wir haben Kontrollprotokolle, in denen von Wasserverschmutzung der Oder in Olawa keine Rede ist. Die Feuerwehr stellt normalerweise fest, dass die Wasserproben für die Umwelt neutral sind."

Passive Behörden

Doch Jack-Pol sei nur ein kleiner Ausschnitt eines viel größeren Problems, erklärt Albert Zielinski, Chef des Vereins "Alles für Olawa". "Seit Jahren schlagen wir Alarm wegen illegaler Ableitung von Industrieabwässern, aber niemand hört uns. Die Industriebetriebe nutzen alle möglichen juristischen Schlupflöcher aus und spülen schmutzige Abwässer ins Wasser, anstatt sie zu entsorgen, weil die Entsorgung Geld kostet", klagt der Berufsökonom. Das massive Fischsterben in der Oder sei für ihn "eine Katastrophe mit Ansage".

Oder Fischsterben
Die Papierfabrik Jack-Pol in Olawa (Ohlau) in Niederschlesien, PolenBild: Monika Sieradzka

Die Passivität der Behörden, die Alarmrufe ständig ignorierten, habe sich auch diesmal gezeigt. "Auch während der jetzigen Katastrophe hat sich zunächst niemand dafür interessiert. In den ersten Tagen wollten sich offizielle Stellen nicht einmal daran beteiligen, tote Fische aus dem Fluss herauszuholen", sagt Zielinski der DW.

Weckruf für die Regierung?

Tatsache ist, dass nicht nur die lokalen Beamten in Olawa versagt haben. Auch für die Regierung in Warschau war das massive Fischsterben lange kein Thema, unter anderem weil Premierminister Mateusz Morawiecki, wie er selbst zugab, davon erst mit zwei Wochen Verspätung erfahren hatte.

Zielinski hofft, dass die jetzige Umweltkatastrophe ein Weckruf für die Regierung ist - auch weil es um den deutsch-polnischen Grenzfluss geht und somit um einen "internationalen Skandal".

Umweltkatastrophe am Fluss Oder
Polens Umweltministerin Anna Moskwa (l.) und ihre deutsche Kollegin Steffi Lemke (Grüne) am 14.08.2022 in Szczecin (Stettin)Bild: Marcin Bielecki/PAP/dpa/picture alliance

Nach heftiger Kritik der Umweltorganisationen verspricht Polens Regierung nun, das veraltete System des Wasser-Monitorings für umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro zu modernisieren. "Überwachungs- und Forschungsstationen werden an empfindlichen und wichtigen Stellen in polnischen Flüssen und Nebenflüssen eingerichtet", sagte Umweltministerin Anna Moskwa in einer Pressekonferenz Mitte August.

Illegale Abflussrohre

Die 2018 gegründete staatliche Wasseraufsichtsbehörde Wody Polskie informierte darüber, dass sie künstliche Abflüsse in polnische Fließgewässer seit 2021 unter die Lupe nimmt. Von den 17.000 geprüften Abflussrohren haben demnach 1400 einen ungeregelten oder illegalen Status, darunter 282, die in die Oder führen. Für Umweltschützer eine erschreckende Bilanz, die nur das Fluss-Missmanagement in Polen bestätigt.

Oder Fischsterben
Abfluss für Industrieabwässer an der Oder in Olawa (Ohlau) in Niederschlesien, PolenBild: Monika Sieradzka

Allein diese Zahlen zeigen, dass das niederschlesische Olawa nur Teil eines weitaus größeren Problems ist. Legal oder illegal fließen allein in die Oder Unmengen Industrieabwässer, die dem Fluss besonders bei hohen Temperaturen und niedrigem Wasserstand schaden.

Härtere Umweltstrafen

Nach dem Fischsterben initiierte der oppositionelle Abgeordnete Piotr Borys von der Bürgerkoalition (KO) eine Kontrolle beim Bergbaukonzern KGHM, einem der größten Unternehmen Polens und teilweise in Staatsbesitz. Die Überprüfung ergab, dass KGHM zwischen dem 29. Juli und dem 10. August 2022 "riesige Mengen Salzwasser" aus seinen Kupfergruben in der Nähe von Glogow (Glogau) in die Oder eingeleitet hatte. Nach der Kontrolle stoppte der Konzern, der über alle notwendigen Umweltgenehmigungen verfügt, die Ableitung der Abwässer vorläufig.

Am 1. September tritt nun in Polen ein neues Gesetz in Kraft, das die Strafen für Umweltsünder verschärft. Es sieht Geldbußen von 2300 bis 2,3 Millionen Euro und Haftstrafen von bis zu 12 Jahren vor.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau