Faktencheck: Keine Beweise für eine schmutzige Bombe
28. Oktober 2022Seit Tagen schüren Regierungsvertreter und Medien in Russland die Angst vor einer so genannten schmutzigen Bombe, die angeblich in der Ukraine gebaut werde. Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte, es gebe "konkrete Informationen zu den Instituten in der Ukraine, die über entsprechende Technologien verfügen, solch eine "schmutzige Bombe" zu bauen". Auf Twitter und Telegram legte sein Ministerium nun nach, und präsentierte angebliche "Beweise".
Als schmutzigen Bombe werden Massenvernichtungswaffen bezeichnet, die aus einem konventionellen Sprengsatz bestehen, der bei einer Explosion radioaktives Material in der Umgebung verteilt.
Behauptung: "Den vorliegenden Informationen zufolge wurden zwei Organisationen der Ukraine direkt beauftragt, die sogenannte #dirtybomb zu schaffen. Die Arbeiten befinden sich in der Schlussphase", schreibt das russische Außenministerium in einem Tweet, und legt in einem zweiten Tweet nach: "Das Kiewer Regime plant, die Explosion dieser Art von Kampfmitteln als Zündung eines russischen Atomsprengkopfes geringer Leistung zu tarnen."
DW Faktencheck: Falsch.
Die vom russischen Außenministerium gezeigten Fotos können die Existenz einer angeblichen ukrainischen schmutzigen Bombe nicht beweisen. Vielmehr zeigen sie etwas anderes als behauptet wird.
So soll ein Foto eines Steuerungsraumes das "Kharkov Institute of Physics and Technology" zeigen, wird im Tweet des Ministeriums behauptet. Eine Bilderrückwärtssuche führt allerdings nicht in die Ukraine, sondern nach Russland, genauer gesagt nach Gattschina bei St. Petersburg. Der erste Treffer der Suche zeigt das identische Bild auf einer Webseite der russischen Atomenergie-Agentur Rosatom.
Dort wird im Februar 2021 über die Eröffnung des Forschungsreaktors PIK durch Wladimir Putin berichtet, "die leistungsstärkste Neutronenquelle der Welt", wie es im Beitrag heißt. Die staatliche Nachrichten-Agentur TASS berichtete darüber, ebenso wie die Webseite atomic-energy.ru. Dabei wurde jeweils das Bild aus dem Steuerungsraum des PIK-Reaktors gezeigt. Hier ist also nicht das "Institut für Physik und Technologie" in Charkiw abgebildet, sondern ein Forschungsreaktor in Russland.
Zentrales "Beweisstück"? Ein Bild zeigt Rauchmelder in Slowenien
Als zentrales "Beweisstück" wird in den Posts des russischen Außenministeriums ein Foto mit Plastikbeuteln präsentiert, die mit dem Wort "Radioaktivno" beschriftet sind. Sie sollen laut Ministerium die "Entwicklung einer schmutzigen Bombe" zeigen, bei der die strahlenden Substanzen "Uran-235" und "Plutonium-239" verwendet wurden.
Auch hier führt eine Bilderrückwärtssuche zu älteren Bildern und zu einer anderen Spur: Es soll sich um Bilder aus Slowenien handeln. Dazu passt auch die Beschriftung "Radioaktivno", das slowenische Wort für "radioaktiv". Im Ukrainischen bedeutet radioaktiv "радіоактивно" bzw. "radioaktyvno"; also ähnlich, aber eben doch im Details anders als auf den abgebildeten Plastikbeuteln.
Nachdem die slowenische Regierung auf Twitter das Bild der slowenischen Atommüll-Agentur ARAO zuschrieb, haben wir bei ARAO nachgefragt. Dort bestätigte eine Sprecherin der DW, dass das Foto von ARAO stammt und 2010 aufgenommen wurde.
"Wir können bestätigen, dass das Foto im rechten Teil des Tweets des russischen Außenministeriums von ARAO stammt. Es wurde ohne unsere Zustimmung und ohne unsere Kenntnis veröffentlicht."
Das Foto zeigt demnach Plastikbeutel mit Rauchmeldern, die nach Angaben der Behörde keine der durch das russische Außenministerium gelisteten radioaktiven Substanzen enthalten. Das Foto entstand im zentralen Atommülllager nahe Ljubljana, und es ist hier (dritte Seite) und hier dokumentiert.
Auch ein drittes Foto im Tweet des russischen Außenministeriums zeigt etwas anderes als vorgegeben wird: Das Bild eines angeblichen "wissenschaftlichen Forschungsreaktors" der Ukraine stammt in Wahrheit ebenfalls aus Russland.
Auch hier ergibt die Bilderrückwärtssuche zahlreiche Treffer, unter anderem den einer Fotoagentur, die das Bild näher beschreibt: Es zeigt eine Innenaufnahme des russischen Kernkraftwerks Belojarsk bei Jekaterinburg.
Fazit: Mehrere der vom russischen Außenministerium als angebliche Beweise präsentierten Fotos sind manipulativ. Denn sie zeigen keine schmutzige Bombe aus der Ukraine, deren Herstellung oder Herstellungsorte. Tatsächlich sind russische Atomkraft-Anlagen sowie Rauchmelder in Slowenien zu sehen.
Mitarbeit: Tatjana Schweizer, Tetyana Klug