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Fahndung auf Facebook

Vera Kern4. Dezember 2013

In Niedersachsen fahndet die Polizei mithilfe sozialer Netzwerke nach Kriminellen oder Vermissten. Ein Modell für ganz Deutschland? Darüber diskutieren die Innenminister. Die Idee ist jedoch umstritten.

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LKA Niedersachsen Fahndungsaufrufe auf Facebook
Bild: Screenshot

"Liebe Fahndungsunterstützer", so fängt jede Nachricht an. Dann kommt der Fall: Raub, ein 14-jähriges Mädchen wird vermisst, Zeugen eines Verkehrsunfalls gesucht. "Hinweise bitte an den Zentralen Kriminaldienst", heißt es weiter. Und die öffentliche Fahndung per Facebook kann losgehen. Kaum ins Internet gestellt, verbreitet sich der Aufruf im sozialen Netzwerk, "geteilt in Nordheim" oder "geteilt in Osnabrück" kommentieren die Nutzer. Ein Fahndungsaufruf kann so über 400 Mal weiterverbreitet werden.

Was in Niedersachsen seit Juni 2012 läuft, soll nun auch auf andere Bundesländer ausgeweitet werden. Das zumindest will der Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) laut Medienberichten seinen Kollegen empfehlen. "Wir kommen um soziale Netzwerke wie Facebook nicht länger herum", sagt der Senator. Die Justizminister der Länder hatten sich bereits vor einem Jahr damit befasst, blieben aber geteilter Meinung.

Facebook-Fahndung: Erfolgsmodell Niedersachsen?

Eine Verbrecherjagd über soziale Netzwerke gibt es bislang in Niedersachsen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern. Vor allem das Bundesland Niedersachsen prescht bei dieser erweiterten Ermittlungsmethode vor. Den Facebook-Auftritt "Polizei Niedersachsen Fahndung" liken - also verfolgen - bereits rund 17.500 Menschen. Sie fahnden eifrig mit, indem sie kommentieren, Nachrichten verbreiten, im Idealfall sogar konkrete Hinweise liefern. "Ein absolutes Erfolgsmodell" nennt Uwe Schwellnus die neue Ermittlungsmethode im Gespräch mit der DW. Er ist ein Sprecher des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: "Es kann mitunter sehr schnell gehen, dass unbekannte Täter hier eine breite Öffentlichkeit finden und wir entsprechende Hinweise aus der Bevölkerung bekommen." 160 Posts veröffentlichte die Polizei bisher. Wie viele davon tatsächlich zu Ermittlungserfolgen führten, ist nicht bekannt.

Deutschland Digitale Fahndung Berliner Polizei prüft Facebook-Einsatz
Auch Hessen sucht Verbrecher per FacebookBild: picture-alliance/dpa

Posts statt Plakate - die Idee klingt zunächst zeitgemäß und modern. Denn über klassische Medien wie Zeitung oder Radio sind vor allem jüngere Menschen heute nur noch schwer zu erreichen. Also geht die Polizei neue Wege, um notwendige Hinweise zu bekommen. Das Prozedere ist anfangs gleich: Auch die Facebook-Fahndung muss erst mal von der Staatsanwaltschaft genehmigt werden. Doch so eingängig der Vorschlag, so umstritten ist er gleichzeitig.

Problem Datenschutz: Plakate kann man abhängen, Posts bleiben

Das Problem: Private Dienstleister dürfen nach deutschem Strafrecht nicht zur Öffentlichkeitsfahndung genutzt werden. Die Server von Facebook sind aber privat und zudem in Amerika. Weit weg also vom deutschen Datenschutz. Einmal gepostet und geteilt, gehört der Inhalt Facebook - und ist nicht mehr zu löschen. Denn einen Post kann man nicht einfach entfernen wie ein Plakat, das abgehängt wird. Ist eine Meldung erst einmal verbreitet, gibt es kein Zurück mehr. Das weiß man auch bei der Polizei in Niedersachsen und bedient sich einer Hilfskonstruktion: Fotos und personenbezogene Daten werden nicht direkt bei Facebook veröffentlicht, sondern auf den Servern der Polizei. Unkontrollierbare Weiterverbreitung? Dies könne man ausschließen, so der Polizeisprecher. Nach Abschluss der Ermittlungen werde alles gelöscht.

Datenschutzrechtliche Probleme sind damit allerdings nicht gelöst. Denn Facebook zieht sich beim Teilen eines Links automatisch das Foto - auch wenn dieses auf dem vermeintlich gesicherten Polizeiserver liegt. Selbst wenn ein rekonstruiertes Fahndungsporträt also nicht direkt eingestellt wird, kann genau dieses Foto trotzdem im sozialen Netzwerk auftauchen. "Man muss da ganz genau hinschauen", warnt daher der Medien- und Internet-Rechtsexperte Christian Solmecke. Technische Details machten hier den entscheidenden Unterschied zwischen Recht und Unrecht aus.

Christian Solmecke, Anwalt für Medienrecht
"Man muss genau hinschauen": Rechtsexperte SolmeckeBild: picture-alliance/dpa

Digitale Hetzfront: Gefahr der Lynchjustiz

Nicht nur wegen der Datenschutzprobleme ist die Facebook-Fahndung umstritten. Einmal in Umlauf gebracht, kann ein veröffentlichtes Foto auch eine ungewollte Eigendynamik entwickeln. Kritiker sehen daher die Gefahr, dass Internet-Fahndungen von Nutzern für Hasskampagnen missbraucht werden können. Denunziantentum komme schon mal vor, heißt es bei der Polizei in Niedersachsen. Böse oder anrüchige Kommentare würden dann aber sofort gelöscht. Dazu würden alle Kommentare rund um die Uhr überwacht.

Doch Facebook lässt sich nicht so einfach kontrollieren. Immer wieder kommt es zu digitaler Hetzjagd. So kursierten etwa nach der Festnahme eines Mannes, der ein Mädchen getötet haben sollte, Parolen wie "Ab zur Polizeiwache, lasst uns das Schwein mit Steinen beschmeißen". Der Verdächtigte war unschuldig. Der Aufruf zur Selbstjustiz wurde anschließend bestraft.

Verbrechensbekämpfung 2.0? Justizminister und Innenminister sind sich hier noch nicht einig. Die Facebook-Nutzer hingegen schon. Die modernen Ermittlungsmethoden kommen bei den Usern gut an: "Daumen hoch für das gesamte Konzept!" oder "sehr schön, gut zu hören" und ein Smiley dazu, heißt es, wenn ein Fall erfolgreich gelöst werden konnte.