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Für immer im Homeoffice?

30. Juni 2021

Die "Bundesnotbremse", die bundesweit Maßnahmen bei hohen Coronainfektionszahlen regelte, endet und damit auch die Homeoffice-Pflicht. Viele Beschäftigte wollen aber nicht zurück ins Büro. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Deutschland Hausdaecher in Oldenburg
Bild: Hauke-Christian Dittrich/dpa/picture alliance

Claudia Kern (Name geändert) ist zufrieden. Ihr Arbeitgeber hat entschieden, dass die Projektmanagerin und ihre rund 200 Kollegen nach dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht an bis zu drei Tagen pro Woche selbst bestimmen können, wo sie arbeiten wollen. "Mein Chef hat gesagt, dass wir zuhause gut gearbeitet haben", erzählt die 54-jährige, die es während der Pandemie schätzen gelernt hat, ihre Arbeit flexibler einzuteilen, sich nach Bedarf um die Familie kümmern und jeden Tag eine gute Stunde Fahrzeit einsparen zu können.

Am 30. Juni läuft in Deutschland die sogenannte Bundesnotbremse aus. Ein Gesetz, das bundesweit einheitliche Maßnahmen bei hohen Coronainfektionszahlen regelte. Dazu gehörte auch, dass Arbeitgeber überall dort Homeoffice anbieten mussten, wo das möglich ist. Stattdessen gilt nun - vorerst bis zum 10. September - eine Corona-Arbeitsschutzverordnung, wonach Hygienepläne erstellt werden und zwei Tests pro Woche angeboten werden müssen.

Angestellte und Chefs haben unterschiedliche Interessen

45 Millionen Menschen sind in Deutschland erwerbstätig. Vier Prozent von ihnen haben laut Statistischem Bundesamt vor der Corona-Pandemie regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. Im Januar 2021 waren es 24 Prozent. Dazu kommen diejenigen, die in der Pandemie zumindest teilweise im Homeoffice waren. Laut dem Digitalwirtschafts-Branchenverband Bitkom waren das weitere 20 Prozent. In der Summe haben also fast 45 Prozent aller Berufstätigen Erfahrung mit der Arbeit außerhalb des Büros gemacht. 

Homeoffice - Arbeitsplatz in der Coronakrise
Arbeiten am Esstisch - wer hat zuhause schon ein eigenes Zimmer für die Arbeit?Bild: Imago/PA/J. Gidden

Viele Beschäftigte freuen sich darauf, ihre Kollegen im Büro wiederzusehen. Viele haben aber auch Gefallen am mobilen Arbeiten gefunden. "Über 80 Prozent der Menschen, die ins Homeoffice mussten, wünschen sich, das auch in Zukunft zumindest teilweise tun zu können", sagt der Arbeitspsychologe Bertolt Meyer von der Technischen Universität Chemnitz.

Kein Recht auf Homeoffice

Die Arbeitgeber sehen das mit gemischten Gefühlen. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA geht davon aus, dass mobiles Arbeiten dort beibehalten werden kann, wo es die "Betriebserfordernisse" zulassen. Ein dehnbarer Begriff. Die Unternehmen hätten in den vergangenen Monaten eigenverantwortlich, freiwillig und sehr zuverlässig in allen Branchen Homeoffice ermöglicht, betont Kampeter, der sich vehement gegen die Homeoffice-Pflicht gewehrt hatte. "Dafür brauchen wir keine Verordnung."

Das sehen die Gewerkschaften ganz anders. Sie drängen auf eine gesetzliche Regelung.

Das hatte SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil versucht. Unter anderem wollte er ein Anrecht auf Homeoffice durchsetzen, scheiterte damit aber am Widerstand der Koalitionsparteien CDU und CSU. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, sieht das Thema nun auf die Zeit nach der Bundestagswahl im September vertagt.

Homeoffice oder mobiles Arbeiten? Das macht den Unterschied

Tatsächlich ist in Deutschland Arbeit, die nicht am Arbeitsplatz im Unternehmen geleistet wird, nicht eindeutig reguliert. Das fängt schon mit der Begrifflichkeit an. Homeoffice ist gesetzlich als Arbeit im eigenen Zuhause definiert und bezieht sich auf einen dort fest installierten Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Beschäftigten neben dem technischen Equipment wie Laptop oder Bildschirm auch eine vollwertige Büroausstattung zur Verfügung zu stellen.

Spricht der Arbeitgeber statt von Homeoffice von mobilem Arbeiten, entfällt diese Verpflichtung. Noch nicht einmal ein Laptop muss zwingend gestellt werden. Allerdings kann der Arbeitgeber seinen mobil arbeitenden Beschäftigten nicht vorschreiben, wo sie arbeiten sollen. Es zählt nur, dass sie ihre Arbeit vollumfänglich erledigen. Ob im Café an der Ecke oder in einer anderen Stadt, ist egal.

Weniger Pausen, kein Feierabend

Die Gewerkschaften sehen durchaus, dass viele Beschäftigte diese Flexibilität schätzen gelernt haben. Mobiles Arbeiten habe aber auch negative Seiten. "Die Pandemie hat die schwerwiegenden Probleme im Homeoffice sichtbar gemacht", kritisiert DGB-Chef Hoffmann. "Überlange Arbeitszeiten und unbezahlte Mehrarbeit, permanente Verfügbarkeitserwartungen, eine wackelige Ausstattung oder digitale Überwachung."

Homeoffice - Arbeitsplatz in der Coronakrise
Homeoffice bei geschlossenen Schulen und Kindergärten - purer StressBild: Imago/U. Grabowsky

Darauf weisen auch die Krankenkassen hin. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei zwar leichter, sagt Jens Baas, Chef der Techniker-Krankenkasse. "Wenn man aber zuhause sitzt und ständig will jemand etwas von einem, dann ist das unter Umständen stressiger, als wenn man im Büro sitzt." Viele Arbeitnehmer hätten auch ein Problem damit, ihre Arbeitszeit einzugrenzen, Pausen einzuhalten und rechtzeitig Feierabend zu machen.

Krankheitsbild "Laptop-Hals"

Hat der Stress gesundheitliche Folgen, entstehen der Krankenkasse Behandlungskosten. Gleiches gilt, wenn Rückenleiden oder andere Haltungsschäden zunehmen, weil am mobilen Arbeitsplatz niemand auf ergonomisches Sitzen achtet oder schlichtweg gute Büromöbel fehlen. Ein zunehmendes Krankheitsbild ist beispielsweise der "Laptop-Hals", eine Versteifung der Halsmuskulatur bei Menschen, die stundenlang mit Blick nach unten in falscher Haltung vor ihrem mobilen Computer sitzen.

Krankenkassenchef Baas sieht allerdings nicht nur die Arbeitgeber in der Pflicht. "Homeoffice bringt auch eine neue Art von Eigenverantwortung für Beschäftigte mit sich", betont Baas.

Was wird aus den Büros?

Wenn in Zukunft weniger Menschen an fünf Tagen in der Woche im Büro sein werden, wird das auch in anderen Bereichen Konsequenzen haben. Die Gastronomie wird in Stadtteilen, in denen es viele Bürogebäude gibt, weniger Kunden haben. Businesskleidung wird weniger gefragt sein, Reinigungen haben weniger Arbeit.

Deutschland Fototermin Xing AG
Vor der Pandemie waren Großraumbüros weit verbreitetBild: picture-alliance/dpa/G. Wendt

Auch die Immobilienbranche muss umdenken. In einer Studie hat die Unternehmensberatung PwC Deutschland bereits im Oktober 2020 darauf hingewiesen, dass Homeoffice für Unternehmen ein großes Einsparpotenzial birgt. "Flächenoptimierung" ist ein zentraler Begriff in der Studie, für die PwC unter anderem 100 deutsche Arbeitgeber befragt hat. Im Ergebnis rechnen 60 Prozent der Unternehmen in den nächsten drei Jahren mit einem Abbau der Bürofläche um circa 20 Prozent.

Wer zuerst kommt, belegt den besten Platz

Im Unternehmen von Projektmanagerin Claudia Kern ist diese Entwicklung in vollem Gange. Der Anspruch auf einen eigenen Schreibtisch ist schon länger abgeschafft. Es gibt deutlich weniger Arbeitsplätze als Beschäftigte, die Schreibtische sind leer - bis auf einen Monitor, eine Tastatur und eine Dockingstation für den Laptop, den jeder Mitarbeitende hat. "Desksharing" nennt man das.

"Da immer Kollegen auf Außenterminen, auf Dienstreise, im Urlaub oder krank sind, haben die Plätze trotzdem ausgereicht", berichtet Kern aus ihrer Erfahrung. Mit Blick auf die erweiterte Homeoffice-Regelung will ihr Chef die Bürofläche nun allerdings noch weiter reduzieren. "Es gibt beliebte und unbeliebte Plätze in unserem Büro", erzählt Kern. "In Zukunft werde ich an Bürotagen wahrscheinlich noch vor 8 Uhr anfangen, damit ich eine ruhige Ecke erwischen kann."