Explosive Altlast aus dem Krieg
30. August 2012Meist geht alles gut. Doch welche Wucht ein Kriegsgerät noch nach 70 Jahren entwickeln kann, zeigt sich immer wieder. Der Feuerball, der bei den Sprengungen entsteht, ist weithin zu sehen. Ältere Anwohner fühlen sich dann in Kriegszeiten zurück versetzt, jüngere wie Zeugen bei Dreharbeiten für einen Hollywood-Streifen wie "Flammendes Inferno".
Experten schätzen, dass noch etwa 100.000 Bomben im Erdboden sowie unter Wasser verborgen liegen, die in sechs Kriegsjahren über Deutschland abgeworfen wurden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vermutet allein 40.000 Tonnen chemischer Kampfstoff-Munition in der Ostsee, die allerdings während des Kalten Kriegs nach 1945 von Alliierten und der DDR ins Meer geworfen wurden.
Da Experten erst vor wenigen Tagen eine hochexplosive Fliegerbombe in München nicht entschärfen konnten, mussten sie die 250 Kilogramm schwere Bombe kontrolliert in die Luft jagen. Durch die Detonation zersprangen Scheiben umliegender Gebäude im Stadtteil Schwabing, Strohballen, die als Puffer nahe des Blindgängers deponiert worden waren, flogen durch die Luft und entzündeten Dachstühle. Verletzt wurde niemand.
Die Fliegerbombe des US-Militärs, die erst einen Tag zuvor bei Bauarbeiten einen Meter tief im Erdboden gefunden worden war, enthielt einen chemischen Langzeitzünder. Diese Bomben wurden so konstruiert, dass beim Aufprall eine Glasampulle zerplatzt, die Aceton enthält. Die Flüssigkeit ist leicht entzündlich und bildet mit Luft ein explosives Gemisch. Sie kann mit einer Verzögerung von Tagen nach Austritt eine heftige Detonation auslösen. Die Entschärfung eines solchen Sprengkörpers ist schwierig. Diese Erfahrung mussten auch Behörden und Katstrophenschutz vergangenen November in Koblenz machen.
Größte Evakuierungsaktion nach dem Zweiten Weltkrieg
45.000 Anwohner waren aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen, nachdem bei Niedrigwasser im Rhein eine 1400 Kilogramm schwere Bombe entdeckt worden war, die dort jahrzehntelang vor sich hin rostete. Besonders groß ist vermutlich die Zahl von scharfen Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg in den Ballungsräumen Nordrhein-Westfalens (NRW). Im bevölkerungsreichsten Bundesland befanden sich während des Dritten Reiches die meisten Industrie- und Rüstungsanlagen. Demzufolge konzentrierten die Alliierten fast die Hälfte ihrer Luftangriffe auf die Großstädte entlang des Rheins.
Tickende Zeitbomben
Mit Sprengkörpern beladene Schiffe, die versenkt wurden, sind ebenfalls tickende Zeitbomben. Sie enthalten Giftstoffe wie Senfgas und Sarin. "Chemische Zündstoffe sind der Witterung ausgesetzt, sie rosten zwar", sagt Armin Gebhard, Referent für Kampfmittelbeseitigung im NRW-Innenministerium, "durch die fortschreitende Korrosion der Hüllen besteht jedoch die Gefahr der Verseuchung von Wasser und Boden."
Auch behält der freigesetzte Sprengstoff unter Umständen seine zerstörerische Kraft. Daher wird die Beseitigung der Sprengkörper zunehmend schwieriger und gefährlicher.
Berufsfeld Kampfmittelerkennung und -beseitigung
Zuständig für die Beseitigung sind die Bundesländer und die untergeordneten Behörden. Allein die Bezirksregierung Düsseldorf, zuständig für den rheinnahen Bereich zwischen Emmerich und Bonn, beschäftigt 13 Teams, die nichts anderes tun, als Bomben zu finden und diese zu beseitigen. "Kleinere Handgranaten und Munition werden täglich entdeckt. Das geschieht, ohne dass die Bevölkerung davon erfährt", sagt Bezirksregierungs-Sprecherin Stefanie Paul.
Das Repertoire an Sprengkörpern des Zweiten Weltkriegs ist begrenzt. Jeder Kampfmittelbeseitigungsdienst hat eine Mustersammlung, die zur Ausbildung und Übersicht dient", sagt NRW-Fachreferent Gebhard. In jedem Fall müssen sich die Feuerwerker dem Fund vorsichtig nähern, um herauszufinden, um welches Kampfmittel es sich handelt, wie gezündet wird und in welchem Zustand die Munition ist. Danach können die Experten die Menge des Sprengstoffs bestimmen. Oft kann der Zünder an Ort und Stelle per Hand, Seilkonstruktion oder Fernsteuerung ausgebaut werden, ehe die Bombe abtransportiert und entsorgt wird.
Bei der Erschließung von Bauland bedienen sich Behörden mitunter Luftbildern aus Archiven der Militärs aus Großbritannien und den USA. Darauf sind Bombentrichter zu erkennen, die Aufschluss über die etwaige Anzahl an Bomben geben, die dort abgeworfen wurden, aber nicht detoniert sind. "Allein NRW hat 2010 21 Millionen Euro für die Kampfmittelbeseitigung ausgegeben", erklärt Claudia-Roth vom Landes-Innenministerium in Düsseldorf.
In einem sind sich Experten einig: Bis zur Beseitigung aller dieser Altlasten aus dem Krieg werden noch Jahrzehnte vergehen. Berufe rund um die Kampfmittelbeseitigung haben daher Zukunft.