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PolitikEuropa

Polen: EU fordert Recht auf Abtreibung

Barbara Wesel Brüssel
27. November 2020

Seit das oberste Gericht in Polen das Abtreibungsrecht de-facto abgeschafft hat, gibt es Proteste im ganzen Land. Jetzt fordert das Europaparlament das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für polnische Frauen ein.

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Polen | Proteste gegen Abtreibungsverbot
Demonstration Ende Oktober in Warschau gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechtes in PolenBild: Omar Marques/Getty Images

Mit großer fraktionsübergreifender Mehrheit hat das Europaparlament eine Resolution beschlossen, die polnischen Frauen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zuspricht und vor der Einschränkung der Grundrechte von Frauen warnt. Die Initiative ist eine Antwort auf die landesweiten Proteste, die in den vergangenen Wochen Tausende von Bürgerinnen und Bürgern im Land auf die Strassen brachte.

Das inzwischen weitgehend von der Regierung kontrollierte polnische Verfassungsgericht hatte im Oktober ein de-facto Abtreibungsverbot ausgesprochen, als es die letzte legitime Begründung für den legalen Schwangerschaftsabbruch für verfassungswidrig erklärte.

Brüssel nicht zuständig

EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli musste einräumen, dass Brüssel aus rechtlicher Sicht für die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen in Mitgliedsländern nicht zuständig ist. Da die EU in diesem Bereich nicht eingreifen kann, bleibt nur, der Protestbewegung in Polen den Rücken zu stärken.

Dalli stellte dabei die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts infrage, dessen Berufungsmodus der Kommission "Sorge" bereite. Zu dieser Frage gab es bereits einen Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof, dessen Urteil Warschau allerdings bislang nicht gefolgt ist. Das Thema ist auch Teil des laufenden Art.7 Verfahrens gegen Polen, das den Abbau rechtsstaatlicher Sicherungen bei der Unabhängigkeit der Justiz kritisiert.

Die spanische Fraktionsführerin der europäischen Sozialdemokraten brachte das Problem auf den Punkt: "Es ist völlig inakzeptabel, dass ein Gericht, dass von Herrn Kaczynski (Jarosław Aleksander Kaczyński, PiS-Parteichef und Drahtzieher der Regierung) kontrolliert wird, ein Grundrecht von Frauen angreifen will." 

Kulturkampf der 70er Jahre

Die vorausgegangene Debatte hatte die Mehrheit der demokratischen Parteien im Europaparlament in direkten Widerspruch zu den Abgeordneten der polnischen Regierungspartei gebracht. Und sie erschien als eine Art Blick zurück auf die Kulturkämpfe der 70er Jahre im Rest Europas, als der Kampf um den Schwangerschaftsabbruch die Schlagzeilen beherrschte.

"Die polnischen Frauen haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Sie müssen in die Nachbarländer fahren, um eine Schwangerschaft zu beenden", sagte die liberale Abgeordnete Samira Rafaela aus den Niederlanden. Sie selbst erfahre die Diskussion wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. "Wir stehen euch bei in eurem Kampf", adressierte sie die polnische Protestbewegung.

Und die schwedische Sozialdemokratin Helene Fritzon erinnerte: "Vor 50 Jahren war das Abtreibungsrecht in Schweden restriktiv und die Frauen sind deswegen nach Polen gefahren." Jetzt habe sich die Lage umgekehrt. "Wir müssen im Jahr 2020 in Europa über Abtreibung diskutieren, weil fundamentalistische Christen angeblich das Recht auf Leben verteidigen". Wie schon in der Vergangenheit würde der Körper von Frauen wie ein Gemeingut betrachtet und ihnen die Selbstbestimmung abgesprochen.

Solidarität auch von der deutschen Grünen Abgeordneten Terry Reintke: "Nichts, was in Polen passiert, kommt als Überraschung, denn die Fundamentalisten haben die Kontrolle übernommen. Sie nehmen Frauen und LGBT-Menschen ihre Rechte."

Ihre polnische Kollegin Sylwia Struwa sieht die Regierung in Warschau auf Kollisionskurs mit den Werten und Grundsätzen der EU: "Es gibt in Polen keine Rechtstaatlichkeit mehr. Es gibt keine freien öffentlichen Medien. Jedes Jahr bewegen wir uns in Polen weiter weg von Paris, Berlin oder Rom."

Polen Proteste in Breslau
Auch in Breslau protestierten Tausende gegen die Verschärfung des AbtreibungsrechtesBild: Krzysztof Kaniewski/Zuma Wire/picture-alliance

"Recht auf Leben"

Auf der anderen Seite des politischen und kulturellen Grabens ergriffen die Abgeordneten der polnischen Regierungspartei das Wort. Elzbieta Kruk verteidigte den Richterspruch des Verfassungsgerichts als "Schutz des Lebens" und als Ausdruck einer "Zivilisation des Lebens". 

Eine deutliche Absage an die Mehrheit der Abgeordneten kam auch von Jadwiga Wisniewska: "Die EU muss die Regelungen zum Gesundheitsschutz in den Mitgliedsländern respektieren". Die Proteste während der Pandemie erfüllten eine "linke Agenda" und würden wegen der COVID-Pandemie zu Krankheit und Tod führen.

Auch ihre Kollegin Beata Kempa verteidigte die "christlichen Werte, zu denen das Recht auf Leben gehört". Dessen Schutz könne nicht infrage gestellt werden, egal wie viele das wollten oder glaubten. Sie unterstellte den Befürwortern für das Recht auf Abtreibung eine "Kultur des Todes" und beklagte das Bild einer "traurigen Welt ohne Kinder".

Polen Warschau Protest von Lebensschützern gegen LGBT
Kundgebung polnischer "Lebensschützer" im September in Warschau, die für katholische Werte eintretenBild: Aleksander Kalka/NurPhoto/picture alliance

Protestbewegung hat größere Ziele

Eine der Organisatorinnen der Proteste in Polen erklärte kürzlich bei einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Brüssel, sie habe Angst vor der zunehmenden Bedrohung durch staatliche Stellen, die durch die PiS-Regierung und ihre Anhänger gefördert werde. Es sei schwierig die Proteste zu organisieren.

"Sie greifen meine Freunde an, meine Familie", sagt Marta Lempart. Man hätte wieder Angst vor der Polizei, wie früher unter kommunistischer Herrschaft. "Am Ende werden wir wieder da stehen, dass wir den Staat als Gegner betrachten", so die Aktivistin.

Laut Lempart geht es bei den Protesten um mehr als Abtreibung und Frauenrechte. "Es geht um alles, um den Zustand der Gesundheitsversorgung, um die Lokalpolitik und vieles mehr". In Polen würden dieser Tage Menschen auf die Straße gehen, die das noch nie zuvor getan hätten.