Europa und die USA: Doppelgipfel im Zeichen von Trumps Sieg
6. November 2024Europa muss unabhängiger und widerstandsfähiger werden - egal, wer im Weißen Haus im Washington regiert. So mahnte Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, bereits im Juli im DW-Interview während des vierten Gipfeltreffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Großbritannien. Jetzt, unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl in den USA, tritt die EPG mit ihren 47 Mitgliedern zu ihrem fünften Gipfeltreffen in Budapest zusammen.
Die Frage, die im Mittelpunkt steht: Wie soll Europa mit dem Wahlsieg des nationalkonservativen Donald Trump umgehen? Was bedeutet der Sieg der Republikaner für die Unterstützung der Ukraine, die Sicherheitsgarantien der NATO und die Abwehr der russischen Bedrohung in Europa?
In seinem Einladungsschreiben für das Treffen in Ungarn weist Charles Michel darauf hin, dass die Krisen in der Welt, "Frieden, Stabilität und Wohlstand in unserer Region einem Risiko aussetzen". Zum russischen Angriff gegen die Ukraine, zur Gewalt im Nahen Osten, zu Konflikten in Afrika kämen auch noch eine schwächelnde Weltwirtschaft und steigender Migrationsdruck hinzu, so Charles Michel.
Ungarns Premier Viktor Orban ist obenauf
Der Ko-Gastgeber des Europagipfels, der rechtsextreme ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, ist auch derzeitiger Ratsvorsitzender der Europäischen Union. Er war bislang der einzige eingefleischte Donald-Trump-Fan in den Reihen der Staats- und Regierungschefs. Er nannte die Rückkehr des sprunghaften US-Präsidenten an die Macht einen "Sieg für die Welt".
Im Sommer hatte Orban viele seiner Kolleginnen und Kollegen zutiefst irritiert und verärgert. Er war zu einer selbsternannten "Friedensmission" nach Kiew, Moskau, Peking und Mar-al-Lago (Trumps Domizil in Florida) aufgebrochen. Danach schwärmte er, Donald Trump könne den Krieg Russlands gegen die Ukraine in wenigen Tagen beenden. Er selbst sei der einzige Regierungschef in Europa, der Frieden wolle, hatte Viktor Orban geprahlt. Als Reaktion hatte die Europäische Union eine Art diplomatischen Bummelstreik angezettelt. Zu den Treffen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft reisten nur wenige Minister und keine EU-Kommissare und -Kommissarinnen nach Budapest.
Trump als virtueller Gast?
Viktor Orban hat für den Doppelgipfel in Budapest weitere Provokationen in petto. Er will angeblich eine Videoschalte mit dem wiedergewählten Präsidenten Trump einrichten, damit dieser virtuell beim Treffen der Europäer mit am Tisch sitzen kann. EU-Diplomaten lehnten das bei der Vorbereitung des Gipfels vehement ab. Daraufhin drohte Orban, auch eine geplante Videoschalte mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abzusagen. Es ist unklar, ob er nun persönlich anreisen wird.
Selenskyj will die Mitglieder der Europäischen Politischen Gemeinschaft und der Europäischen Union überzeugen, dass sie mehr an Hilfe leisten müssen, sollten sich die USA von Januar an aus der Finanzierung und Ausrüstung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland zurückziehen. Diesen Rückzug hatte Donald Trump angekündigt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in einer ersten Stellungnahme: "Die Dinge werden jetzt grundlegend anders laufen." Man werde alle Kanäle nutzen, um schnell ein gutes Arbeitsverhältnis zur neuen Trump-Administration aufzubauen.
Die EU ist auf US-Zölle gefasst
Olaf Scholz und viele andere europäische Regierungschefs und -chefinnen haben Donald Trump zum Wahlsieg gratuliert und eine Fortsetzung der Partnerschaft mit den USA als selbstverständlich und erwünscht angekündigt.
Neben diesen rituellen diplomatischen Floskeln hat die EU vor allem schon an einer wirtschaftspolitischen Antwort auf Donald Trump 2.0 gearbeitet. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten haben in geheimen Arbeitsgruppen Gegenmaßnahmen vorbereitet, sollte der wiedergekehrte Präsident tatsächlich massive Einfuhrzölle aus Waren in Europa verhängen. Das Münchner Wirtschaftsinstitut IFO fürchtet, dass die deutsche Wirtschaft mit Trump-Zöllen 33 Milliarden Euro an Schaden erleiden würde. Die USA sind der größte Exportmarkt für deutsche Unternehmen.
EU will wirtschaftlich aufholen
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich unmittelbar nach dem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft am Donnerstag zu einem eigenen informellen Gipfel am Freitag. Einziges Thema: Wie kann die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht werden gegenüber den USA und China? Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Ex-Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi hat dazu ein Strategiepapier vorgelegt, in dem Hunderte Milliarden Euro an Investitionen in die Wirtschaft verlangt werden. Wo das Geld herkommen soll, ist heftig umstritten. Neue gemeinsame Schulden der EU scheinen ausgeschlossen.
Besondere Sorgen macht zurzeit das schwächelnde Deutschland, das an der Rezession entlang schrammt und den Rest Europas mit in eine wirtschaftliche Krise ziehen könnte. Die instabile Regierungskoalition in Berlin und der innenpolitisch ebenfalls geschwächte französische Präsident Emmanuel Macron machen die deutsch-französische Führung und Initiative innerhalb der EU sehr viel schwächer. In diese Lücke könnten jetzt die rechtsnationalen Kräfte rund um den Ungarn Viktor Orban oder die ebenfalls rechtsextreme italienische Ministerpräsidenten Giorgia Meloni stoßen.
Was ist die EPG?
Zu der vor zwei Jahren nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gegründeten Europäischen Politischen Gemeinschaft gehören fast alle europäischen Staaten, die Türkei und die Staaten im Nordkaukasus. Ausdrücklich ausgeschlossen sind Russland und das eng verbündete Belarus. Der Kirchenstaat Vatikan, an dessen Spitze der Papst steht, nimmt auf eigenen Wunsch nicht teil.
Dass sich die Anti-Putin-Koalition EPG nun ausgerechnet in Ungarn trifft, dürfte die Beratungen noch ein wenig spannungsreicher machen. Denn der ungarische Premierminister Viktor Orban fällt mit seinen politischen Ansichten und diplomatischen Methoden sehr aus dem europäischen Rahmen. Die EU wirft Orbans Regierung vor, die rechtsstaatliche Ordnung zu unterwandern. Ungarn erhält zurzeit nur wenige Mittel aus dem EU-Haushalt, weil das Land EU-Gerichtsurteile missachtet und gegen verschiedene EU-Verträge verstößt.
Innerhalb der Gruppe werden die Dauerkonflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie zwischen Serbien und Kosovo eine Rolle spielen. Hinzu kommt die Frage, wie man mit dem Wahlergebnis im EU-Kandidatenland Georgien umgehen sollen, wo eine eher Russland-freundliche Partei die Parlamentswahl gewonnen zu haben scheint. Die EU hat sich noch nicht eindeutig festgelegt, ob sie den Wahlsieg des amtierenden Premiers Irakli Kobachidse anerkennen will oder eher der Staatspräsidentin Salome Surabischwili zuneigt, die mit der EU-freundlichen Opposition zu unterliegen scheint und von Wahlbetrug spricht. Erleichtert registriert die übergroße Mehrheit in der Europäischen Politischen Gemeinschaft, dass die moldauische Präsidenten Maia Sandu im Amt bestätigt wurde. Sie will ihr Land gegen den Widerstand einer Russland-nahen Opposition in die EU führen.