Wächter der Stabilität
15. Mai 2012
Gerade ist wieder eine dieser langen Krisensitzungen zum Euro zu Ende gegangen: Jean-Claude Juncker blickt müde hinter den runden Brillengläsern, um die Augen liegen die Falten noch tiefer, seine Stimme klingt rau und brüchig. Trotzdem steht er allen Journalisten mit Witz und Sachverstand Rede und Antwort. So kennt man den Chef der Eurogruppe seit vielen Jahren. Auch deshalb nennt man den charismatischen, scheinbar allgegenwärtigen EU-Politiker "Mister Euro".
Der dienstälteste Regierungschef der EU ist seit 2005 Vorsitzender dieses einflussreichen Gremiums. Drei Mal bereits wurde er wiedergewählt. Doch Juncker will aufhören. Nach fast acht Jahren Amtszeit wird Luxemburgs Premierminister ab Ende Juni, wenn sein Mandat ausläuft, nicht mehr für den Posten zur Verfügung stehen. Dies stellte der 57-Jährige am Rande des EU-Gipfels in Brüssel Anfang März klar. Über den neuen Vorsitz wird beim nächsten Eurogruppentreffen am Montag (14.05.2012) in Brüssel beraten.
Die Nachfolge Junckers ist Teil eines Personalpakets, den die Staats- und Regierungschefs der EU verabredet haben. Es sind nämlich demnächst vier Posten in der Union zu vergeben: der Chefposten beim künftigen europäischen Krisenfonds ESM, eine Neubesetzung im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie das Präsidentenamt bei der Osteuropabank (EBRD) in London und eben der Vorsitz der Finanzminister der 17 Euro-Staaten.
Belastung für Nerven und Gesundheit
Juncker gilt bereits seit einiger Zeit als amtsmüde. Mehrfach klagte er über seinen "nicht vergnügungssteuerpflichtigen Posten". Als Chef der Eurogruppe muss er ständig Krisensituationen meistern, oder der Öffentlichkeit Schreckensnachrichten zur Eurokrise erläutern. Das zehrt an Nerven und Gesundheit. Zudem läuft er dauernd Gefahr, in die Mühlsteine unterschiedlicher Interessenlagen zu geraten. Wobei Juncker nicht der Typ ist, der unbedingt alle diplomatischen Klippen umschiffen will.
Der selbstbewusste Luxemburger scheut keinen Konflikt und legte sich sogar mit Frankreich und Deutschland an. So kritisierte er die Alleingänge der zwei wichtigsten Länder in der Eurozone mit emotional aufgeladenen Sätzen wie diesem: „Wieso denkt man eigentlich, es reicht, dass sich Deutschland und Frankreich einigen? Wir haben es mit 17 Regierungen, mit 17 Staaten, mit 17 Ländern und 17 Parlamenten zu tun. Es gibt nicht nur in Deutschland und in Berlin ein Parlament. Das gibt es auch sonst wo.“ Seitdem ist die Freundschaft zum mittlerweile abgewählten französischen Präsidenten Sarkozy und zu Bundeskanzlerin Merkel deutlich abgekühlt.
Eigentlich ist das Amt des Chefs der Eurogruppe wie geschaffen für engagierte Europa-Politiker. In dem Gremium der Europäischen Union laufen viele Fäden zusammen. Hier wird die Steuer- und Wirtschaftspolitik der Eurozone koordiniert. Die Gruppe sorgt auch dafür, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion funktioniert. Außerdem kontrolliert sie die Haushaltspolitik und die öffentlichen Finanzen der Euroländer.
Großer Einfluss durch Finanzkrise
Ihre Mitglieder sind die Finanzminister der 17 Euro-Staaten. Hinzu kommen der Wirtschafts- und Währungskommissar der Europäischen Kommission, der Präsident der Europäischen Zentralbank sowie weitere hohe EU-Beamte. Der Vorsitzende legt die Themen fest, die in den monatlichen Treffen verhandelt werden. Offiziell ist die Eurogruppe ein Forum des Dialogs und der politischen Abstimmung ohne konkrete Entscheidungsbefugnisse. Die rechtlich bindenden Beschlüsse fällt der Rat der Finanzminister aller 27 EU-Mitgliedsstaaten (ECOFIN), der immer am Tag nach der Sitzung der Eurogruppe zusammentritt.
Im Verlauf der Finanzkrise habe die Eurogruppe aber massiv an Einfluss gewonnen, sagt Daniela Schwarzer von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" in Berlin. Zwar sei sie informell gestartet und formelle Entscheidungen würden vom ECOFIN gefällt, "aber die politische Substanz wird in der Eurogruppe diskutiert." Für Guntram Wolff vom Brüsseler Think Tank "Bruegel" hat sie sich zum wichtigsten EU-Gremium entwickelt, abgesehen vom Treffen der Staats- und Regierungschefs. "Im Prinzip ist die Eurogruppe gerade gegenüber dem ECOFIN-Rat sehr stark geworden, weil dort eben sehr viele Themen, die die Eurozone betreffen, intensiv diskutiert werden und dann im ECOFIN-Rat mehr oder weniger nur noch abgesegnet werden."
Taktgeber für die Eurozone
In der Verschuldungskrise hat sich gezeigt, wie wichtig die Eurogruppe ist, denn hier musste durch unbekanntes Terrain navigiert werden. Das heißt, als die Krise so richtig zuschlug, mussten neue Lösungen gefunden, neue Wege beschritten werden. "Da hat sich gezeigt, dass dieses kleine vertrauliche Gremium die Kraft hat, einen Konsens zu bilden", sagt Daniela Schwarzer. Beispielsweise das erste Hilfspaket für Griechenland und wenig später die Entscheidung über den ersten europäischen Rettungsmechanismus seien innerhalb der Eurogruppe maßgeblich vorbereitet und besprochen worden.
Als Taktgeber für die Eurozone wird die Eurogruppe weiter an Bedeutung gewinnen, sind sich Daniela Schwarzer von der "Stiftung für Politik und Wissenschaft" und Guntram Wolff vom Think Tank "Bruegel" einig. Für die weitere Zukunft sei vor allem Kompromissbereitschaft vonnöten. Denn in der Gruppe träfen ganz unterschiedliche wirtschaftliche Denkweisen und politische Kulturen aufeinander, deshalb "könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Wirtschafts- und Finanzminister der 17 Staaten plötzlich aller einer Meinung sind", meint Schwarzer. Die Kraft der Eurogruppe läge gerade darin, dass sie ein vertraulich tagendes Gremium ist. "Und das man in dem Gremium an Konflikten arbeiten und Kompromisse ausloten kann."