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EURO 2024 als Heimturnier für die Türkei

17. Juni 2024

Für die türkische Nationalmannschaft ist die Fußball-EM fast ein Heimturnier. Viele Fans leben in Deutschland, haben sogar einen deutschen Pass. Auch einige Spieler sind hier geboren und aufgewachsen.

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Torjubel Hakan Calhanoglu und Salih Özcan nach einem Tor für die Türkei
Hakan Calhanoglu (l.) und Salih Özcan (r.) sind zwei von mehreren türkischen Spielern, die in Deutschland aufgewachsen sindBild: Seskimphoto/Avalon/Photoshot/picture alliance

 

Für Salih Özcan ist das erste Vorrundenspiel der türkischen Mannschaft bei der EURO 2024 gegen Georgien in Dortmund gleich ein doppeltes Heimspiel: Der 26-Jährige spielt für Borussia Dortmund in der Fußball-Bundesliga, außerdem ist er in Deutschland geboren und aufgewachsen. Özcan kam 1998 in Köln zur Welt.

Zudem werden die türkischen Fans beim Spiel in Dortmund wohl die überwiegende Mehrheit der Zuschauer stellen und die berühmte Dortmunder "gelbe Wand" für 90 Minuten zur "roten Wand" machen - im Grunde also ein dreifacher Heimvorteil für Özcan.

"Die Südtribüne ist auch in der Türkei bekannt", sagt der BVB-Spieler. Er freut sich auf sein Heimspiel bei der EM, warnt seine Kollegen aber vor der Wucht, die die Zuschauer auf der Tribüne entwickeln können. "Regelmäßig vor 80.000 Zuschauern zu spielen, kennen die meisten von meinen Teamkollegen gar nicht. Die werden schon ein bisschen verblüfft sein."

2,9 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland

Zwar sind bei der EURO, bei der es keine Stehplätze gibt, im Dortmunder Stadion nur 60.000 Zuschauer zugelassen, aber laut wird es wohl dennoch werden. Und das verwundert nicht, schließlich ist die EURO im Grunde auch für die Türken eine Art Heim-EM. Laut Statistischem Bundesamt lebten 2023 rund 1,54 Millionen Türkinnen und Türken in Deutschland. Hinzu kommen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) etwa 1,4 Millionen deutsche Staatsbürger, die einen türkischen Migrationshintergrund haben.

Florian Wirtz und Salih Özcan feiern Tor im UEFA U21-EM-Halbfinale
Jubel im deutschen Trikot mit Florian Wirtz (l.): Salih Özcan (2.v.l.) spielte bis zur U21 für den DFBBild: Istvan Derencsenyi/Orange Pictures/BEAUTIFUL SPORTS/picture alliance

Auch Özcan hatte lange Zeit nur den deutschen Pass. Von der U15 bis zur U21 spielte er für den Nachwuchs des Deutschen Fußballbundes (DFB) und wurde 2021 an der Seite der deutschen EM-Teilnehmer Florian Wirtz und Nico Schlotterbeck sogar U21-Europameister. Erst im März 2022 entschied er sich für eine Karriere in der Nationalmannschaft der Türkei.

"In den vergangenen Wochen habe ich mich intensiv mit dieser Frage beschäftigt", sagte Özcan damals. Er habe viele Gespräche mit seiner Familie geführt, die Entscheidung sei danach "aus Überzeugung getroffen worden. "Ich möchte für die Türkei spielen", sagte der damalige Profi des 1. FC Köln.

Türkische Nationalspieler aus Deutschland

So, oder so ähnlich war es sicher auch bei den anderen Spielern im EM-Kader der Türken, die wie Özcan in Deutschland geboren und aufgewachsen sind: Rechtsverteidiger Kaan Ayhan kam 1994 in Gelsenkirchen zur Welt. Er spielte für den FC Schalke 04, Eintracht Frankfurt und Fortuna Düsseldorf, bevor er 2020 zu US Sassuolo nach Italien und drei Jahre später zum türkischen Rekordmeister Galatasaray Istanbul wechselte. Auch Ayhan trug in der Jugend von der U16 bis zur U18 das DFB-Trikot.

Kenan Yildiz aus Regensburg im Bundesland Bayern hat einen türkischen Vater und eine deutsche Mutter. Er spielte zehn Jahre lang in der Jugend des FC Bayern München, bevor er 2022 zu Juventus Turin ging und ein Jahr später dort zum türkischen Nationalspieler wurde

Kenan Yildiz mit goldenem Pokal nach Sieg mit Juventus in der Coppa Italia
Der ehemalige Bayern-Nachwuchsspieler Kenan Yildiz gewann mit Juventus im Mai den italienischen PokalBild: Mattia Vian/IPA/ZUMA Press/picture alliance

Cenk Tosun kam 1991 in Wetzlar im Bundesland Hessen auf die Welt und lernte bei Eintracht Frankfurt das Fußballspielen. Bei der Eintracht wurde Tosun 2009 auch Profi. 2011 wechselte er in die türkische Süper Lig.

Prominentester Türke aus "Almanya" ist Hakan Calhanoglu. Der gebürtige Mannheimer spielte in Deutschland für den Karlsruher SC, den Hamburger SV und Bayer 04 Leverkusen als Profi. 2017 wechselte er zur AC Mailand, vier Jahre später zum Stadtrivalen Inter. In der türkischen Liga war der Mannschaftskapitän der Nationalmannschaft nie aktiv.

Sie alle hätten sich aufgrund ihrer Herkunft auch dafür entscheiden können, eine Karriere in der deutschen Fußballnationalmannschaft anzustreben. Im Grunde unterscheidet sie wenig von den deutschen EM-Fahrern Ilkay Gündogan, Deniz Undav und Emre Can. Abgesehen davon, dass sie sich entschieden haben, für die Türkei zu spielen.

Große Euphorie, hohe Erwartungshaltung

Auch Hamit Altintop, ehemaliger Bundesligaprofi, der das Nationalteam bei der EURO als Vorstandsmitglied des türkischen Fußballverbands begleitet, weiß, wie es ist, in Deutschland geboren zu sein und aufzuwachsen, aber für die Türkei zu spielen. In der Tatsache, dass es viele türkische Fans in Deutschland gibt, sieht er Vor- und Nachteile. "Das ist ein Faktor, den wir für uns entscheiden können, wenn wir aber auch gut spielen und die erwünschten Tore erzielen. Wenn nicht kann das auch eine Last werden", sagt der gebürtige Gelsenkirchener. "Wir Türken sind ein bisschen emotionaler. Wir können leicht enttäuscht und eingeschnappt sein."

Schon vor Turnierbeginn war zu spüren, wie groß Euphorie und Vorfreude der türkischen Anhänger sind. Als die Mannschaft ihr Teamhotel in Barsinghausen bei Hannover bezogen, standen Hunderte Fans Spalier. Beim öffentlichen Training waren 2.500 Fans dabei und feierten ihre Helden mit Sprechchören und Fahnen.

Türkische Fans feiern ihre Mannschaft bei der Ankunft im Teamquartier
Euphorischer Empfang für die türkische Nationalmannschaft am Mannschaftshotel in NorddeutschlandBild: Noah Wedel/dpa/picture alliance

Viele von ihnen haben zwei Teams, die sie bei der EM unterstützen, aber eins halt ein bisschen mehr als das andere. "Wir sind natürlich auch für Deutschland, aber unsere Wurzel kommen aus der Türkei, deswegen sind wir natürlich auch ein bisschen mehr für die Türkei", sagte ein Fan vor dem ersten Spiel der Türken in Dortmund der DW. "Die Deutschen sollen uns das nicht übelnehmen, wenn wir sagen 'Heim-EM'." Ein anderer sagt: "Wir sind natürlich 50:50: Türkei, Deutschland." 

Wie stark ist das türkische Team?

Wie stark das Team des italienischen Nationaltrainers der Türken, Vincenzo Montella, sportlich einzuschätzen ist, ist schwer zu sagen. In den vergangenen Monaten war die Inkonstanz so etwas wie die einzige Konstante. So gewann man im November in Berlin zwar mit 3:2 gegen Deutschland, ging im März aber mit 1:6 gegen Österreich unter.

"Ich bin wirklich sehr überzeugt vom Team. Wir haben sehr, sehr viel Qualität, sowohl in der Defensive als auch im Angriff", meint Salih Özcan dennoch. Nach Georgien heißen die weiteren Gegner der Türken in Gruppe F Portugal und Tschechien "Wir müssen mit vollem Fokus in die Spiele gehen", sagt Özcan. "Ich glaube, das hat man auch gegen Österreich gemerkt: Wenn zwei, drei Prozent fehlen, dann kann es auch sein, dass du gegen Georgien 0:3 verlierst."

Kommt die Türkei eine Runde weiter, wäre wohl frühestens im Viertelfinale ein K.o.-Duell mit der deutschen Mannschaft möglich. Und das wäre dann für die türkischen Spieler mit deutschen Wurzeln und ihre Fans aus Deutschland sicher eine noch speziellere Partie, als es die Spiele bei der Europameisterschaft in Almanya ohnehin schon sind.

Der Artikel wurde am 19. Juni aktualisiert.