Viel Lächeln in Brüssel
12. Oktober 2012Eigentlich ist Brüssel in diesen Tagen und Wochen ein eher deprimierender Ort: Die Euro-Krise lastet weiter auf der EU und drückt bei allen Beteiligten auf die Stimmung. Doch dann sickerten Gerüchte über den Friedensnobelpreis durch. Und spätestens um 11:00 Uhr, als das Nobelpreiskomitee die Entscheidung bekanntgab, hellten sich die Gesichter auf. Eilig wurden Pressekonferenzen anberaumt.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einer "großen Ehre für die Europäische Union, für alle 500 Millionen Bürger Europas." Die Preisverleihung sei "die berechtigte Anerkennung für ein einzigartiges Projekt zum Wohle der EU-Bürger und zum Wohle der Welt." Und die Auszeichnung zeige, "dass selbst in diesen schwierigen Zeiten die Europäische Union eine Inspiration für Länder und Völker weltweit bleibt und dass die Staatengemeinschaft eine starke Europäische Union braucht."
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zeigte sich stolz, dass die Bemühungen der EU um den Frieden in Europa gewürdigt werden. "Jahrhundertelang haben wir gegeneinander Krieg geführt. Wir haben dem ein Ende gesetzt. Und mit der EU kann es solche Kriege nicht mehr geben. Daher ist die EU tatsächlich die größte friedensstiftende Institution, die in der Weltgeschichte je gegründet wurde."
"Gewagte, mutige Entscheidung"
Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, äußerte sich "tief bewegt" und "geehrt" über den Preis an die EU. Europa sei "ein einzigartiges Projekt, das Krieg durch Frieden, Hass durch Solidarität ersetzte". "In der EU geht es um Versöhnung, und damit kann sie anderen Regionen der Welt als Inspiration dienen. Vom Balkan bis zum Kaukasus ist die EU ein Leuchtfeuer für Demokratie und Versöhnung."
Herbert Reul, Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, stellte einen Zusammenhang mit der Euro-Krise her: "Von Frieden und Wohlstand durch die europäische Einigung hat gerade Deutschland enorm profitiert. Bei allem Ringen um den besten Weg zur Überwindung der Euro-Krise dürfen wir den Erfolg des Friedensprojektes EU nie aus den Augen verlieren." Ähnlich sieht es Rebecca Harms, Ko-Vorsitzende der Grünen: "Die Entscheidung ist so überraschend und so gewagt wie mutig! Die EU, unperfekt und unfertig, ist trotzdem ein einzigartiges Einigungs- und Friedensprojekt! Es ist wunderbar, dass das Nobelkomitee uns Europäer in der Krise an unsere Stärken erinnert!"
Politische Veteranen fühlen sich bestätigt
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jaques Delors sah in der Entscheidung des Nobelpreiskomitees eine Aufforderung zum Durchhalten: "Europa schreitet trotz der Krisen voran. Es ist nicht ein langer, ruhiger Fluss, es konsolidiert sich." Der frühere französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing, der sich besonders für die europäische Integration eingesetzt hat, schrieb zur Preisverleihung: "Es ist richtig, dass die außergewöhnliche Leistung, auf dem europäischen Kontinent, der in der Geschichte von Krieg verwüstet war, einen dauerhaften Frieden zu schaffen, belohnt und geehrt wird."
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen schließlich würdigte die "entscheidende Rolle der EU bei der Heilung der Wunden der Geschichte und bei der Förderung von Frieden, Versöhnung und Zusammenarbeit in Europa."
Nobelpreis? Soll das ein Scherz sein?
Doch es gibt auch ganz andere Stimmen. Britische Euroskeptiker im Europaparlament zum Beispiel mokieren sich über die Preisverleihung. Martin Callanan, Fraktionschef der Konservativen und Reformisten, sprach von einem verspäteten Aprilscherz. "Vermutlich gilt der Preis dem Frieden und der Harmonie auf den Straßen Athens und Madrids", so Callanan sarkastisch. Und Nigel Farage von der UK Independence Party meint: "In den vergangenen zwei Jahren hat die EU gewaltige Feindschaft zwischen den Ländern Nord- und Südeuropas geschaffen." So entzweit sogar die Preisverleihung noch die Reaktionen in Brüssel: Die große Mehrheit sieht die jüngere Geschichte als Bestätigung, dass sich auch die jetzige Krise überwinden lässt - eine Minderheit dagegen glaubt, dass das Integrationsprojekt gescheitert ist. Insofern dann doch ein ganz normaler Freitag in Brüssel.