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EU-Wahl: Bremse für den Klimaschutz?

Tim Schauenberg | Ella Joyner
29. Mai 2024

Bis 2050 will die EU klimaneutral sein. Doch falls rechte Parteien bei der EU-Wahl im Juni viele Stimmen bekommen, könnte das den Klimaschutz gefährden. Was heisst das für den europäischen Green Deal?

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Luftaufnahme eines ausgetrockneten Sees und einem Pier mit Booten auf rissiger Erde
Wegen steigender Temperaturen erleb Teile Europas immer häufigere und längere Dürreperioden Bild: PAU BARRENA/AFP/Getty Images

Große Traktoren verstopfen die Straßen europäischer Hauptstädte, Reifen brennen und Mist wird auf Straßen gekippt: Proteste von Landwirten im März gegen ein Gesetz, das die Natur Europa schützen und wiederherstellen soll Die Demos in einigen europäischen Ländern waren auch ein Symbol der Gegenkampagne gegen die Klimapolitik der EU. 

Unter dem Druck der Demonstrationen und dem Erstarken populistischer, rechtsextremer Stimmen haben die Gesetzgeber im Europäischen Parlament das Naturschutzgesetz jetzt vor den EU-Wahlen im Juni weiter abgeschwächt. Das Gesetz zielt darauf ab, zwanzig Prozent der europäischen Natur bis 2030 zu sanieren und die Biodiversität auf Agrarflächen zu stärken.

Klimaschutz als Sündenbock? 

Der sogenannte Green Deal ist zentral in der EU-Klimapolitik. Mit verschiedenen Maßnahmen will die EU dabei bis 2050 in allen Bereichen komplett klimaneutral werden, in der Energieversorgung, der Industrie, im Verkehr und der Landwirtschaft. 

Gesellschaftlich angetrieben wurde der Green Deal von der Klimabewegung. 2019 gingen Hundertausende junger Menschen auf die Straßen und forderten mehr Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens.

Nach der EU-Wahl 2019 stellte die frischgewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den europäischen Green Deal vor und verglich ihn mit dem ehrgeizigen US-Mond-Raumfahrprogramm in den 60iger Jahren.

Ursula von der Leyen steht von einem Schriftzug "Green Deal" und präsentiert den Green Deal Industrie Plan der EU Brüsse.
Eu Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte den Europäischen Green Deal Europas Mondlandungsprogramm.Bild: Yves Herman/REUTERS

Die EU hat in den letzten vier Jahren verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen verabschiedet, darunter ein Verkaufsverbot für neue Autos mit Diesel- und Benzinbetrieb, das 2035 in Kraft treten soll. Zudem wurde der Handel mit CO2-Zertifikaten reformiert. 

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass diese Richtlinien nach der jetzigen Wahl zurückgezogen werden. Doch ein möglicher Rechtsruck wirft Fragen über die Zukunft der umfassenden EU-Umweltagenda auf. Zwar erlebt der Kontinent immer mehr Rekordhitze, Dürre und Überschwemmungen und Umfragen zeigen, dass die meisten Europäer mehr Klimaschutz befürworten. Doch Analysten warnen, dass immer mehr Parteien die Klimapolitik als politischen Sündenbock nutzen und behaupten, sie verursache höhere Energiepreise und steigende Lebenshaltungskosten.

"Wir wissen, dass diese Argumente immer wieder verwendet werden, um vor der Europawahl maximale Polarisierung zu erreichen und damit einige Wähler anzulocken", sagt Neil Makaroff vom Brüsseler Think Tank Strategic Perspectives. 

Infografik Stromkosten Vergleich in der EU für 2030
Sinkende Energiekosten für Solar- und Windkraft

Klimapolitik vor der Europawahl unter Druck 

Die jüngsten Wahlumfragen zeigen, dass von der Leyens konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Mitte-Links-Sozialdemokraten (S&D) voraussichtlich weiterhin die stärksten parlamentarischen Kräfte bleiben werden. Aber klimakritische, rechtsradikale, nationalistische und konservative Gruppierungen könnten Anfang Juni gestärkt werden, neue Sitze gewinnen und vor den europäischen Grünen liegen.

Selbst wenn Rechtspopulisten nicht die größte Fraktion im Parlament seien, würde ein Rechtsruck die Gesetze für den Klimaschutz erheblich verändern, erklärt Susi Dennison, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR). 

In den letzten fünf Jahren seien Umweltgesetze dank einer "großen Koalition" aus EVP und S&D mit Unterstützung von Liberalen, Grünen und Linken durch das Parlament verabschiedet worden, sagt Dennison.

Aber rechtsextreme Parteien wie die AfD in Deutschland oder die französische Rassemblement National wollen den Green Deal ganz oder teilweise rückgängig machen. Sie behaupten, er sei für den Durchschnittswähler zu teuer, werde der europäischen Industrie schaden und Kosten für die Landwirte in die Höhe treiben. 

"Es wird nicht mehr einfach sein, in dieser Richtung eine Mehrheit zu erreichen, und es wird generell viel mehr Bedarf geben, die extreme Rechte einzubinden", sagt Dennison.

Besonders pessimistisch sind Analysten, wenn es um Themen wie den Schutz der Artenvielfalt und Natur sowie Reformen für eine nachhaltigere Landwirtschaft in der EU geht. Schon bei der Abstimmung über das Naturschutzgesetz im letzten Jahr bröckelte die Mehrheit für das Gesetz. 

Unter dem Druck von Landwirten und der Rechten stimmten Abgeordnete der europäischen Volksparteien (EVP) zuletzt gegen das Gesetz. Eine knappe Mehrheit kam dennoch durch die Stimmen der Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken zusammen. 

EU: Knappe Zustimmung für Renaturierungsgesetz

Da in mehreren EU-Mitgliedstaaten in diesem Jahr nationale Wahlen stattfinden, könnte ein Rechtsruck auch die vollständige Umsetzung der dringenden EU-Klimaziele auf nationaler Ebene verzögern. Gefährdet wären vor allem solche Maßnahmen die Kleinunternehmen und Einzelpersonen finanziell treffen.

"Wir stehen vor der Notwendigkeit großer Fortschritte in einigen politischen Bereichen", sagt Dennison der DW und verweist auf die Elektrifizierung des Verkehrs, Vorschriften für den Bau und die Sanierung von Gebäuden sowie auf die Energieeffizienz. Es sei schwierig, in diesen Fragen Kompromisse zu finden.

Umbau für den Klimawandel bringt Jobs und wirtschaftliche Unabhängigkeit

Laut Europäische Umweltagentur (EUA) könne sich die EU keine Verzögerungen beim ohnehin schon zu langsamen Klimaschutz leisten. Zudem sei Europa nicht ausreichend auf die Folgen der Erderwärmung wie Dürre, Wasserknappheit, Stürme, Überschwemmungen, Verlust der biologischen Vielfalt und steigenden Meeresspiegel vorbereitet. 

Besonders betroffen von den Folgen sind vor allem auch die Landwirte. Im extremen Hitzesommer 2022 wurden rund 22 Prozent der Agrarflächen Europas von Dürre heimgesucht, Ernteausfälle waren die Folge. Kleinere Ernten können zudem zu höheren Lebensmittelpreisen führen.

Wetter- und klimabedingte Extreme haben in Europa in den letzten 40 Jahren bereits wirtschaftliche Verluste in Höhe von rund 500 Milliarden Euro verursacht, und diese Verluste werden sich noch deutlich verschlimmern.

Deutschland | Photovoltaik-Freiflächenanlage
Der Anteil erneuerbarer im EU- Energiemix ist in den letzten 20 Jahren erheblich gewachsenBild: DW

Einige Kritiker des EU Green Deals sagen, dass Klimaschutzmaßnahmen zu teuer seien. Analyst Neil Makaroff betont dagegen, dass der Klimaschutz tatsächlich hohe Investitionen in erneuerbare Energien, Batterien und nachhaltige Fertigung auslöst. Die EUA schätzt das Investitionsvolumen auf über 500 Milliarden Euro pro Jahr bis 2030. 

Auch werden laut Makaroff durch die grüne Transformation mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet. Einer Schätzung zufolge werden in der EU bis 2030 etwa 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

Die nicht vollständige Umsetzung der Green Deal Ziele in der nächsten Legislaturperiode würde auch dazu führen, dass Europa es nicht schaffen werde, mehr Unabhängigkeit von chinesischen Solarmodulen oder Gasimporten aus den USA und Aserbaidschan zu erreichen, betont Makaroff. Es wäre auch ein schlechtes Signal für Investoren und würde die Rolle der EU in den internationalen Klimaverhandlungen in Frage stellen. 

"Die EU würde auf internationaler Ebene nicht als glaubwürdiger Akteur wahrgenommen", betont Makaroff gegenüber der DW und fügt hinzu, dass dies auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas langfristig gefährdet würde. Andere Länder sehen die Transformation zu einer Netto-Null-Wirtschaft als strategischen Wirtschaftsvorteil. "Sie warten nicht auf die EU", so Makaroff.

Redaktion: Tamsin Walker. Dieser Artikel erschien zuerst in Englisch und wurde von Gero Rueter adaptiert