EU: Viel Geld für die Halbleiter-Industrie
8. Februar 2022EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab in Brüssel ein ehrgeiziges Ziel vor. "Europa ist der Kontinent, von dem alle industriellen Umwälzungen ausgegangen sind. Europa kann auch die Heimat der nächsten industriellen Revolution werden", sagte von der Leyen mit Blick auf die Entwicklung und Produktion von Halbleitern, die sie bis 2030 mit insgesamt 43 Milliarden Euro fördern will. Außerdem sollen die Regeln für staatliche Beihilfen für die Halbleiter-Industrie gelockert werden. Mit Zuschüssen und billigen Krediten auch für kleinere Start-ups soll ein "Ökosystem" für die Entwicklung von Hochleistungschips und deren Produktion in Europa geschaffen werden.
"Es geht nicht nur um die großen Unternehmen in großen Mitgliedsstaaten, sondern auch um kleine Firmen überall in Europa, die mit Design und Zulieferungen an der Produktion beteiligt sind", sagte die EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager bei der Vorlage eines "EU-Halbleiter-Gesetzes" in Brüssel.
Bislang hat die EU bei der Herstellung von Halbleitern nur einen weltweiten Marktanteil von 10 Prozent. Der soll nach den Plänen der EU in acht Jahren auf 20 Prozent anwachsen. Da sich der weltweite Bedarf an Halbleitern bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppeln wird, muss die tatsächliche Produktion in der EU vervierfacht werden, um das Ziel zu erreichen, rechnete EU-Industriekommissar Thierry Breton vor.
Exportkontrollen künftig möglich
Neu an dem Gesetzespaket der EU ist, dass die Kommission bei Unterbrechung von Lieferketten wie in der Autoindustrie im vergangenen Jahr eine Art "Chip-Notstand" ausrufen können soll. Dann könnte die Kommission Firmen, die Subventionen erhalten haben, dazu zwingen, ihre Produkte ausschließlich in Europa zu verkaufen und bestimmte Branchen zu beliefern.
"Mit möglichen Export-Kontrollen für Chips sollten wir sehr vorsichtig sein", gab die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu bedenken. Die EU-Kommission könnte auch als Einkäufer von Halbleitern auftreten, um die Versorgung zu sichern.
Weltweite Konkurrenz
Mit ihrem Chip-Gesetz tritt die EU in das Wettrennen um die Halbleiter-Förderung mit China und den USA ein. Die Amerikaner wenden etwa 52 Milliarden Dollar auf, um die Endfertigung von Computerbauteilen auf ihrem Boden zu fördern. China pumpt sogar 150 Milliarden Dollar in seine Staatsunternehmen, um die Entwicklung und Forschung international wettbewerbsfähig zu halten. "Europa hat das Rennen nicht verloren", meinte dazu Luc van de Hove, Geschäftsführer der europaweit führenden Halbleiter-Forschungseinrichtung "Imec" im belgischen Löwen. "In einigen wichtigen Branchen haben wir große Stärken." So ist die EU weltweit führend bei der Herstellung und Entwicklung von Maschinen, die Silikonplatinen mit den unglaublich winzigen Halbleiterbahnen bedrucken. Außerdem werden manche Chemikalien und Gase, die für die Produktion nötig sind, vor allem in Europa erzeugt. "Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, alles selbst zu machen, aber es ist notwendig, die Position Europas zu stärken und umgekehrt Abhängigkeiten von Europa zu schaffen", sagte van de Hove der DW.
In den letzten 30 Jahren haben sich komplexe und weltumspannende Lieferketten entwickelt. Die größten Produktionsstätten liegen heute in Taiwan, Südkorea und China. Die Endfertigung findet fast ausschließlich in Asien statt. Die Entwicklung neuer Hochleistungschips konzentriert sich auf die USA und zu kleineren Teilen auch auf Europa, wie zum Beispiel bei "Imec" in Löwen.
Unabhängigkeit von China angestrebt
Das Ziel der EU-Kommission ist es, die gesamte Produktionskette nach Europa zu holen, sagte die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Um strategisch unabhängiger zu werden, sei es nötig, sich von China abzunabeln, meinen Jan-Peter Kleinhans und John Lee von der "Stiftung neue Verantwortung" in Berlin. "Die Endfertigung, besonders die fortgeschrittene Verpackung und Einbettung, werden immer wichtiger für die Entwicklung von leistungsstarken und Energie-effizienten Chips. China hat hier einen entscheidenden Marktanteil, was zu einer Reihe von Risiken in Europa führt", so Kleinhans und Lee in einem Positionspapier. China sitzt zum Bespiel auf wichtigen Vorkommen von seltenen Erden, die für die Halbleiter-Produktion unverzichtbar sind. China könnte mit einem Angriff auf Taiwan, wo der größte Hersteller von Chips weltweit angesiedelt ist, eine massive Krise in der Produktionskette auslösen.
Fachpersonal nötig
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission schlug Partnerschaften mit Unternehmen in den USA und Japan vor. Man brauche "ein Gleichgewicht der Abhängigkeiten". Die EU-Kommission will außerdem die Ausbildung von Fachpersonal fördern und dafür sorgen, dass kleine "Silicon-Valleys" wie im deutschen Bundesland Sachsen, in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden weiter wachsen. Intel und der Chip-Mangel will entweder in Deutschland oder Italien ein neues Werk eröffnen. Er könnte in den Genuss der neuen Subventionen kommen. Deutsche Chiphersteller befürchten allerdings, dass der amerikanische Riese vor allem Fachpersonal abwerben könnte.
Thierry Breton, der EU-Kommissar für Industrie, geht davon aus, dass der Bedarf von ultrakleinen Hochleistungschips in der Autoindustrie, im Gesundheitswesen und in der Telekommunikation in den nächsten Jahren massiv ansteigen wird. Deshalb müsse die EU vorbereitet sein und auch in die Endfertigung dieser neuen Generation von Halbleitern investieren.