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Subventionskürzung für Flüchtlingsverweigerer

Catherine Martens11. August 2016

Wie kann man die EU-Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dazu zwingen? Die Debatte schwankt zwischen "Nadelstich oder Atombombe". Aus Brüssel berichtet Catherine Martens.

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Grenzpatrouille an der ungarisch-serbischen Grenze (Foto: picture-alliance/dpa/Z. Gergely Kelemen)
Grenzpatrouille an der ungarisch-serbischen GrenzeBild: picture-alliance/dpa/Z. Gergely Kelemen

Gähnende Leere herrscht im politischen Brüssel, die Sitzungsräume in EU-Kommission und Parlament stehen weitgehend leer. Doch im krassen Gegensatz zum terminlichen Stand-by steht die derzeit neu entfachte politische Debatte in Europa über den Zusammenhalt in der Flüchtlingsfrage, nicht zuletzt losgetreten von deutschen EU-Politikern. Im Kern der Diskussion: unsolidarischen EU-Ländern Gelder streichen.

Allen voran ausgesprochen von Ingeborg Gräßle, Chefin des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament. "Ländern, die sich nicht an europäisches Recht halten, oder Staaten, die bei der Übernahme oder Registrierung von Flüchtlingen nur unzureichend mitmachen, sollten Gelder gestrichen werden", sagt die EU-Haushaltsexpertin. Gräßle, der konservativen Parteifamilie EVP angehörig, lässt trotz Sommerloch in der EU-Hauptstadt aufhorchen. Diese Töne, in dieser Lautstärke, waren in Brüssel bislang nicht so deutlich zu vernehmen. Oder zumindest nur von politischen Wadenbeißern, die zu Hause im Wahlkreis Stammtische bedienen wollten.

Ingeborg Gräßle (Foto:picture-alliance/dpa)
Ingeborg Gräßle: "Gelder streichen!"Bild: picture-alliance/dpa

Leere Drohungen

Denn rechtlich gesehen herrscht Klarheit: In den EU-Verträgen existiert keine entsprechende Richtlinie, die das Streichen von Subventionen ermöglicht. Darauf weist auch der EU-Kommissionspräsident persönlich, Jean-Claude Juncker, dieser Tage noch einmal hin. Die Botschaft: Zugesichertes Geld wegnehmen, weil Mitgliedsstaaten nicht spuren, gibt's nicht. Nicht vorgesehen.

Bislang. Bevor die Flüchtlingskrise die EU in eine bis dahin so nicht gekannte Zerreißprobe stürzte. Bevor osteuropäische Staaten bei Gipfeltreffen überstimmt wurden. Bevor eine verbindliche Quote, wonach jedes EU-Land Flüchtlinge aufnehmen sollte, krachend scheiterte. Bevor Polen, Ungarn aber auch Tschechien oder die Slowakei klar machten, den gefassten EU-Beschluss zu ignorieren. Das Ergebnis: Die Umverteilung gibt es bislang nur auf dem Papier, und Europa schwitzt bei dem Gedanken, die Türkei könne den Flüchtlingsdeal platzen lassen. Und wenn, was dann? Auch dadurch bekommt die Debatte um die Quote in Europa eine neue Schärfe.

Solidarität gegen Geld

Der Ruf nach Sanktionen für bockige EU-Staaten kommt in Brüssel nicht nur aus der konservativen Ecke. Auch andere führende EU-Politiker, wie etwa der Liberale EU-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, denken offen darüber nach, wie die EU-Mitgliedsstaaten wirksam Beine machen könnte, wenn sie sich EU-Beschlüssen verweigern. Auch für den Liberalen und Vize-Parlamentspräsidenten wäre die Überprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens eine Möglichkeit, "in den kommenden drei Jahren Korrekturen beim jährlichen Brüsseler Haushalt vorzunehmen."

Sprich: Den fälligen Check-Up des EU-Budgets im Herbst dieses Jahres zu nutzen, um Subventionen bei Bedarf zu streichen. Denn grundsätzlich bedarf es des grünen Lichts aller EU-Mitgliedsstaaten damit EU-Gelder fließen. Hier sieht Graf Lambsdorff Raum für politischen Druck: "Die Bundesregierung muss jetzt bei der planmäßigen Überprüfung des EU-Haushalts im Herbst dafür sorgen, dass sich EU-Nettoempfängerländer wie Polen und Ungarn in der Flüchtlingsfrage solidarischer verhalten und europäische Werte auch respektieren." Dieser Schritt wäre, räumen liberale Kreise ein, "ein Testballon", "eine zusammengeschusterte Lösung", die bisher nicht getestet worden sei. Man bedaure, so heißt es seitens Vertrauten aus dem EU-Parlament, so eine Entwicklung.

Beata Szydlo und Viktor Orban in Warschau (Foto: picture alliance/Pacific Press Agency/J. Ratz)
Gemeinsam gegen die Flüchtlinge: Die Ministerpräsidenten von Polen und Ungarn, Beata Szydlo und Viktor OrbanBild: picture alliance/Pacific Press Agency/J. Ratz

Weg zu wirksamen Sanktionen

Das Problem sehen viele EU-Parlamentarier in der Natur der Sanktionen für Mitgliedsstaaten: Bei Nicht-Umsetzung von Richtlinien kann die EU-Kommission Bußgelder verhängen, "das ist die klassische Geschichte", so ein Sprecher aus dem EU-Parlament. Im schlimmsten Fall könne das Stimmrecht entzogen werden. Es gäbe aber "keine Zwischenlösung". Immer nur "Nadelstich oder Atombombe" kritisieren EU-Abgeordnete auf Nachfrage.

Auch deshalb fordert CDU-Politikerin Gräßle gar eine Reform der EU-Finanzierung: "Das EU-Budget müsse auf ein ganz neues Fundament gestellt werden und strengere Bedingungen für die Auszahlung von Geldern an EU-Mitgliedsstaaten eingeführt werden." Sie ist nicht neu in Brüssel, die Debatte über wirksamere Sanktionen. Diesmal nur ungewohnt deutlich. Mitten im politischen Sommerloch.