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Serbiens Jugend EU-skeptisch

Nemanja Rujevic11. August 2016

Eine knappe Mehrheit der jungen Serben will der Europäischen Union nicht mehr beitreten. Das ist neu. Die Gründe sind nicht einfach zu erklären - Enttäuschung, aber auch wachsender Nationalismus dürften darunter sein.

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"Niemals EU" - ein Graffiti in Belgrad (Foto: AP Photo/Darko Vojinovic)
"Niemals EU" - ein Graffiti in BelgradBild: AP

Stereotypen sind schwer zu überwinden, auch wenn handfeste Fakten gegen sie sprechen. Ältere müssen ja rückschrittlicher, konservativer und nationalistischer sein als die Jugend - umso mehr in Serbien, wo sie an den Balkan-Kriegen der 90er-Jahre mitgebastelt oder sie zumindest bejubelt haben.

Gerade deswegen sorgt eine neue Umfrage für einen Schock: Nicht die "üblichen Verdächtigen" sind EU-feindlich, sondern die Jugend. 51 Prozent der 18- bis 29-Jährigen möchte, dass ihr Land, ein offzieller Beitrittskandidat, die EU-Integration abbricht. Bei den älteren Kohorten dagegen unterstützen zwei Drittel die Integration. Andere Ergebnisse der Umfrage, die die Belgrader Nichtregierungsorganisation "Institut für europäische Angelegenheiten" durchgeführt hat, fallen weniger überraschend aus: 80 Prozent der gesamten Bevölkerung sind gegen die Anerkennung der Unabhängigkeit der ehemaligen Südprovinz Kosovo, 82 Prozent gegen einen eventuellen NATO-Beitritt. Größter Freund ist das "orthodoxe Mütterchen" Russland und größter Feind wie eh und je Kroatien.

Wie aber kommt es, dass ausgerechnet die Jugend gegen die EU ist? Ist sie zugänglicher für nationalistische Ideen? Oder sind sie schlicht am bittersten enttäuscht über die unerfüllten Versprechen über eine glänzende EU-Zukunft?

Seit der Wende im Jahr 2000, als der frühere Präsident Slobodan Milošević mit einem Volksaufstand verjagt wurde, drängten alle Regierungen zumindest formell auf einen EU-Beitritt. Erreicht wurde herzlich wenig: Belgrad ist weiterhin erst am Anfang der komplizierten Beitrittsverhandlungen, das Land ist nach wie vor geprägt von Korruption und Vetternwirtschaft. Ohne Parteibuch hat man kaum eine Chance auf beruflichen Erfolg.

Die Misere trifft die Jugend besonders hart: 43 Prozent haben keine Arbeit - und das nach offiziellen Angaben, die viele Kritiker für geschönt halten. Nun hat die EU, die im Vergleich zu Serbien lange wie das Paradies aussah, hat in den vergangenen Jahren viele Schwachstellen offenbart. Auch in Serbien wird der "Zerfall der EU" kolportiert und darüber debattiert.

Mein Hof, dein Hof

Doch die Schwäche der EU bei weitem nicht für jeden ausschlaggebend. Im Gegenteil: Denis Olujić nennt für seine Skepsis ganz andere Gründe: "Wir brauchen keinen, der uns von außen predigt, was wir in unserem Land machen sollen." Der 23-jährige Student mag es einfach: Jeder solle in seinem Hof das Sagen haben. Und der Westen als Nachbar stelle viel zu viele "Ultimaten" für eine EU-Zukunft. "Ich denke, dass die Anerkennung des Kosovo als Staat am Ende die Bedingung für den EU-Beitritt sein wird. Deswegen müssen wir mächtige Verbündete haben, Russland und China. Sonst haben wir keine Chance", meint Olujić.

Er war noch ein Baby, als seine Eltern sich dem Flüchtlingsstrom aus Kroatien anschlossen - die Operation "Sturm" war die Befreiung Kroatiens und beendete den dortigen Krieg. Aber er wurde teilweise zum Rachenzug gegen serbische Zivilisten. Das hinterlässt Spuren: alles, was mit "Westen" zu tun hat, kommt für Olujić nicht in Frage: Anerkennung des Kosovo, EU- oder gar NATO-Beitritt.

Bildkombo Umfrage Serben EU (Foto: privat)
Für Denis Olujić wäre ein EU-Beitritt Unterwerfung; für Sunčica Milanović sind Reformen wichtiger als die EUBild: links: privat | rechts: privat

Nicht alle, die skeptisch gen Brüssel blicken, sind "patriotisch" oder gar russlandfreundlich gesinnt. Vielmehr ist die heutige Jugend aufgewachsen mit Versprechungen verschiedener politischer Eliten: dass, sobald man Mitglied ist, die goldene Ära ausbricht und es daher keine Alternative zur EU gebe. "Der bisherige Prozess der Integrationen hat sich aber als langwierig und ineffizient herausgestellt", meint Sunčica Milanović. Die 25-jährige Schauspielerin hat - wie so viele ihrer Altersgenossen - keine feste Arbeit und glaubt nicht mehr an einen Geldregen aus dem europäischen Topf. "Es gibt viele Länder in der EU, die ziemlich schlecht funktionieren. Würde Serbien allein die nötigen Reformen machen, würden wir die EU gar nicht brauchen."

"Besser erklären"

Der Politologe Tibor Moldvai arbeitet bei dem Institut, das die Umfrage durchgeführt hat. Die Abwendung der Jugend von der EU hat auch ihn eiskalt erwischt. Trotzdem versucht er, im DW-Gespräch einige Gründe zu erläutern: "Die Jugend informiert sich vor allem aus drei Quellen: Familie, Medien und Schule. Und alle drei Quellen haben in den letzten Jahren versagt." Der Hauptschuldige ist für ihn aber das Internet. Die Elterngeneration ist als ausdauerndstes Fernsehpublikum weltweit bekannt geworden. Die Jugend hingegen läuft, wie auch anderswo, mit Smartphone in der Hand herum. "Einige ihrer Peergroups sind rechts gesinnt, deren Texte werden geteilt, ohne dass man das Gelesene tiefer analysiert. Das Bildungssystem seinerseits unterstützt eine kritische Denkweise nicht", sagt Moldvai. Büffeln ist in Serbien noch immer gefragt - und zwar beispielsweise aus Geschichtsbüchern, die die Serben als Heldenvolk feiern und serbische Kriegsverbrechen verschweigen.

Doch der Politologe möchte nicht alles dem "bösen" Internet zuschreiben. Nein, die Elite habe offensichtlich nicht genug getan, um die positiven Seiten der EU zu beleuchten. "Wir müssen uns mehr Mühe geben, denn je länger der Integrationsprozess dauert, desto größer ist die Skepsis."

Wie soll das gehen? Ist die EU immer noch "alternativlos", wie die Befürworter es in Serbien zu sagen pflegen? Oder gar nicht mehr so attraktiv, jetzt wo man weiß, dass Brüssel nicht automatisch Milch und Honig bedeutet und viel Reformwille und einige politische Zugeständnisse verlangt? Natürlich sei die EU die beste Richtung, antwortet Moldvai. "Wir müssen das nur besser erklären, statt kleinlich darüber zu debattieren, ob die EU uns gerade Gurken aufzwingt und das private Brennen von Sliwowitz verbietet."