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PolitikEuropa

EU-Gipfel in Budapest: Wirtschaft muss fit gemacht werden

8. November 2024

Die USA und China haben die EU abgehängt. Was ist zu tun? Auch beim EU-Gipfel in Ungarns Hauptstadt wird nur schemenhaft klar, wie die Mitgliedsstaaten wettbewerbsfähiger werden wollen. Von Bernd Riegert, Budapest.

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Ungarn | Die Staats- und Regierungschefs sitzen sich an Konferenztischen gegenüber (08.11.2024)
EU-Gipfelrunde in der Budapester Puskas ArenaBild: Marton Monus/REUTERS

Mario Draghi hatte in Ungarns Hauptstadt erneut einen großen Auftritt. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und Ex-Ministerpräsident Italiens erklärte den 27 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der Europäischen Union bereits zum zweiten Mal, wie Europa seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China wieder erlangen könnte.

Draghi hatte dazu Anfang September einen 400 Seiten starken Bericht vorgelegt und diesen bereits im Oktober beim EU-Gipfel in Brüssel vorgestellt. Da damals zu wenig Zeit war, um intensiv über Draghis Empfehlungen zu sprechen, wurde das jetzt beim informellen Gipfel der ungarischen Ratspräsidentschaft im Puskas-Fußballstadion in Budapest nachgeholt.

Mario Draghi (08.11.2024)
Ex-Zentralbankchef Draghi in Budapest: Werden die EU-Staaten auf ihren obersten Ratgeber hören?Bild: Ferenc Isza/AFP

Der Sachverständige Draghi macht vor allem eines deutlich: Es eilt. Die Entscheidungen müssten jetzt fallen, nicht irgendwann, mahnte der ehemalige Zentralbanker. Die Wiederwahl des Strafzoll-Fans Donald Trump hätten Entscheidungen, "nur noch dringender gemacht, als sie vor einer Woche schon waren", sagte Draghi.

Was schlägt der Draghi-Bericht vor?

In der schweren Finanzkrise vor zwölf Jahren rettete Mario Draghi als EZB-Präsident die Gemeinschaftswährung Euro und klamme EU-Staaten vor der Pleite. Der berühmte Satz "what ever it takes", was immer nötig sei, um den Euro zu retten, werde gemacht, beruhigte damals die Finanzmärkte. Welche Empfehlungen hat Draghi an diesem Freitag in Budapest abgegeben?

  1. Europa muss jedes Jahr bis zu 800 Milliarden Euro an Investitionen für Forschung, Entwicklung und Infrastruktur sowie Verteidigung aufbringen, um mit den Konkurrenten USA und China mithalten zu können. Der Anteil der Investitionen muss von 22 auf 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert werden. Der Trend in vielen Mitgliedsstaaten, Investitionen zurückzufahren, muss umgekehrt werden. Europa soll im nächsten Jahr nur um 1,2 Prozent wachsen. Die USA doppelt so stark, sagt der Internationale Währungsfonds voraus.
  2. Zur Finanzierung von öffentlichen Investitionen sollte die EU gemeinsame Schulden für gemeinsame Projekte aufnehmen. Schulden, für die die EU-Staaten anteilig haften, waren nach der Corona-Krise zum ersten Mal auf EU-Ebene gemacht worden. Sie sollten, so Deutschlands damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Olaf Scholz, eine einmalige Ausnahme bleiben. Der Binnenmarkt der EU muss vollendet werden. Dringend nötig ist eine Kapitalmarktunion, also ein grenzenloser Kapital- und Kreditverkehr wie auf dem amerikanischen Kontinent, um mehr private Mittel mobilisieren zu können.
  3. Die EU muss ihr "China-Problem" lösen. Die Wirtschaft in Europa ist zu abhängig von Lieferketten aus China und  der Volksrepublik als Absatzmarkt. Der teilweise unfairen, staatlich subventionierten Konkurrenz aus China, muss etwas entgegengesetzt werden. Von Rohstoffen und Zulieferteilen aus China muss die Industrie unabhängiger werden. China ist momentan der zweitgrößte Handelspartner Europas nach den USA.
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  5. Wichtige Industriezweige und aufstrebende neue Technologieunternehmen müssen in Europa gehalten und gegründet werden. Die Bedingungen für Unternehmen müssen sich verbessern. Zu viele aufstrebende Firmen würden ihre Produktion außerhalb Europas aufbauen. Der Druck dürfte noch zunehmen, da der neue US-Präsident Donald Trump Strafzölle auf europäische Produkte und die Verlagerung von Produktion in die USA als Ziel gesetzt hat. Eine einheitliche Industrie-Strategie der EU zur Stärkung heimischer Unternehmen ist nötig, um Steuer-, Standort- und Handelsfragen zu lösen.
  6. Die Entscheidungswege in der EU müssen kürzer und die Bürokratie entschlackt werden. "Europa koordiniert sich nicht, wenn es darauf ankommt. Und die europäischen Entscheidungsregeln haben sich nicht wesentlich weiterentwickelt, als die EU erweitert wurde und das globale Umfeld feindseliger und komplexer geworden ist", schreibt Mario Draghi in seinem Bericht. Die Gesetzgebung dauere im Durchschnitt 19 Monate in der EU und damit viel zu lange. Die EU hat bis 2019 für die Wirtschaft 13.000 relevante Gesetze erlassen. Die USA dagegen nur 3000. "Können wir nicht etwas weniger und zielgerichteter regulieren?", fragte Draghi.

Wie geht es weiter?

Die EU-Staats- und Regierungschefs begrüßen in einer gemeinsamen, recht allgemein gehaltenen Erklärung die Rezepte, die der italienische Experte präsentiert. Ob sie die Empfehlungen schnell umsetzen werden, blieb auch in Budapest noch offen.

Besonders umstritten ist die Finanzierung von Investitionen über Schulden. Dagegen hatte sich Deutschlands bisherige Bundesregierung zusammen mit anderen Schuldengegnern wie Österreich oder den Niederlanden gewehrt. Frankreich und Italien sind hingegen offen für neue gemeinsame EU-Schulden. Die neue EU-Kommission, die im Dezember ihr Amt antritt, soll Vorschläge vorlegen, wie Investitionen finanziert werden können.

Weniger Vorschriften für Unternehmen

Eine gemeinsame Industriestrategie ist ebenfalls trickreich, weil die Mitgliedsstaaten auch untereinander, um Firmenansiedlungen, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen konkurrieren. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer warnte davor, als erstes über Schulden zu philosophieren. Zunächst brauche man gemeinsame Projekte.

Olaf Scholz bei einer Open-Air-Pressekonferenz in Budapest mit Blick auf die Donau (08.11.2024)
Bundeskanzler Scholz: "Schnell Bürokratie in Europa abbauen"Bild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der trotz Regierungskrise zu Hause nach Ungarn gereist war, sprach sich für schnellen Bürokratieabbau aus. "Viele Jahrzehnte ist Bürokratie aufgebaut worden. Jetzt geht es darum, in kurzer Zeit Bürokratie wieder abzubauen. Alles ist dazu da, dass wir Wachstum und Perspektiven für die Zukunft haben. Gemeinsam in Europa", sagte Scholz in Budapest.

Der Gedanke Papierkram, Verwaltungsvorschriften und Dokumentationspflichten zu mindern und Entscheidungswege zu verkürzen geistert schon seit vielen Jahren durch die EU. Der erste Ratgeber für Bürokratieabbau in der Europäischen Union, war Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber. Er arbeitete ehrenamtlich mit 15 Mitarbeitern bereits von 2007 bis 2015 in der Brüsseler Zentrale. Seine Empfehlungen blieben weitgehend ohne Folgen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union