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Politik

EU-Corona-Netzwerk mit Lücken

Andreas Noll
22. September 2020

Ab Oktober sollen die Corona-Warn-Apps grenzüberschreitend in mehreren EU-Staaten über Risikokontakte informieren. Mit Frankreich bleibt allerdings ausgerechnet das größte Pendlerland ausgeschlossen.

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Smartphone mit Corona Warn-APP
Bild: picture-alliance/Eibner-Pressefoto

Hinter der Europabrücke beginnt für Straßburger Raucher das Paradies. Im deutschen Grenzort Kehl kaufen die Franzosen ihre Zigaretten. Aber nicht nur wegen des billigeren Tabaks ist der Grenzverkehr im Elsass intensiv. Viele Franzosen wohnen und arbeiten in Deutschland - und umgekehrt.

Die gut 450 Kilometer lange Grenze zwischen Deutschland und Frankreich bedeutet im Alltag nirgends mehr eine Beschränkung. Viele Fragen sind heute grenzübergreifend gelöst. Der App-gestützte Schutz vor dem Coronavirus gehört allerdings nicht dazu.

Frankreich Kehl | Deutsch-französische Grenze | Polizeikontrollen
Die Europabrücke in Kehl: Polizeikontrollen gibt es hier nur mitten in der Corona-PandemieBild: Jean-Marc Loos/picture-alliance/dpa

Anders als die große Mehrheit seiner EU-Partner hat Frankreich mit StopCovid im Frühjahr eine App vorgestellt, die ohne die von Apple und Google für die Kontaktverfolgung zur Verfügung gestellte Schnittstelle arbeitet und zudem sämtliche Kontakte der App-Nutzer auf einem zentralen Server speichert. Eine Praxis, die andere EU-Staaten mit dem Hinweis auf den Datenschutz strikt ablehnen.

Erfolgreiche Testphase

Da Technik und Datenschutz einen Austausch der Daten verhindern, wird ausgerechnet das EU-Land mit den meisten grenzüberschreitenden Pendlern auf absehbare Zeit kein Teil des europäischen Corona-Warn-Verbunds, der im Oktober mit den ersten Ländern an den Start gehen soll. Seit einer Woche testen sechs Pilotstaaten die neu errichtete Infrastruktur des Datenaustauschs zwischen den nationalen Apps - neben Deutschland zählen dazu Dänemark, Italien und Irland, Tschechien und Lettland. Die erste Testwoche sei erfolgreich verlaufen. Alle Systeme hätten wie geplant funktioniert, sagte ein Sprecher der EU-Kommission auf DW-Anfrage.

Symbolfoto Corona-App
Grenzüberschreitender Austausch der Corona-Warn-Apps - zum Beispiel zwischen Passau, Palermo und PragBild: imago images/Frank Sorge

Bislang informieren die Warn-Apps ihre User jeweils nur über Risikobegegnungen von Personen, die die gleiche App nutzen. In Zukunft wird ein Server der EU-Kommission in Luxemburg den Austausch der Infektions-IDs zwischen den Mitgliedsstaaten regeln. Die deutsche Corona-Warn-App würde dann auch nach einer Risikobegegnung mit der Nutzerin einer anderen europäischen App Alarm schlagen. Dafür müssen die Nutzer der deutschen App lediglich einmalig einen Schieberegler in der App zur Teilnahme an dem Datenverbund betätigen, wie die DW aus Entwicklerkreisen erfuhr. Technisch möglich wären auch selektive Warnungen für die Apps einzelner Länder, doch bei Nutzertests hatte sich gezeigt, dass die User möglichst einfache Auswahlmöglichkeiten bevorzugen.

Für die Handys ist der grenzüberschreitende Betrieb technisch weitgehend unproblematisch, da die beteiligten Apps alle die gleiche Schnittstelle von Apple und Google benutzen. Die Smartphones können also untereinander kommunizieren.

Frankreichs Corona-Warn-App

Um über Risikobegegnungen zu informieren, müssen die nationalen Apps neben den IDs aus dem eigenen System künftig auch die IDs von Infizierten aus den am Verbund beteiligten Ländern abgleichen. Das Smartphone einer Berliner Nutzerin wird also in Zukunft nicht nur die IDs Sars-CoV-2-Infizierter aus Garmisch-Partenkirchen und Saarbrücken erhalten, sondern auch aus Kopenhagen, Palermo oder Riga. Die dabei generierten Datenmengen können je nach Infektionsentwicklung stark anschwellen, scheinen aber für das Smartphone und die Serverstruktur im Hintergrund beherrschbar. Auch politisch sind die größten Hürden für den europaweiten Austausch der Gesundheitsdaten aus dem Weg geräumt.

Flop in Frankreich

Der Jubel über eine grenzübergreifende Kontaktverfolgung ist trotzdem allenfalls verhalten. Die Politik musste ihre Erwartungen an die Wirksamkeit der Corona-Apps deutlich herunterschrauben. Noch zum Start der französischen StopCovid-App warnte Digitalstaatssekretär Cédric O die Bevölkerung mit drastischen Worten: Wenn die App nicht genutzt werde, gebe es "mehr Infizierte, mehr Tote und eine schnellere Rückkehr in den Ausnahmezustand". Genutzt hat die Drohung wenig. StopCovid gilt in Frankreich als Fehlschlag.

Weniger als 2,5 Millionen Mal wurde die App bis heute installiert - rund 700.000 Mal aber später wieder deinstalliert. Lediglich gut 250 Personen hat die App über Risikokontakte gewarnt. "Sie hat die Erwartungen nicht erfüllt", räumte unlängst Premierminister Jean Castex ein.

Frankreich Paris | Coronavirus | App StopCovid
StopCovid heißt die Corona-Warn-App in Frankreich - sie hat aber kaum Infektionen gestopptBild: Getty Images/AFP/T. Samson

Ein Ausweg aus dem Dilemma ist bislang nicht in Sicht. Zwar gibt es in der Politik einzelne Stimmen, die die App-Nutzung gesetzlich verpflichtend machen wollen. Doch das scheint derzeit genauso unwahrscheinlich wie eine vollständige Neuentwicklung der App, die dann einen höheren Datenschutz und Austausch mit den Nachbarstaaten ermöglichen würde.

Höhere Akzeptanz in Deutschland

Anders als Frankreich hat Deutschland mit mittlerweile mehr als 18 Millionen Downloads zwar eine deutlich höhere Akzeptanz der App in der Bevölkerung, aber auch hierzulande gibt es Rückschläge. Jüngst scheint sich eine gewisse App-Müdigkeit breitzumachen, wie Umfragen belegen. Technische Probleme haben vermutlich dazu geführt, dass nicht mehr so viele Menschen wie anfangs das Warnwerkzeug befürworten.

Dass die App keine Wunderwaffe gegen die Verbreitung des Virus ist, zeigen auch Statistiken. Weniger als fünf Prozent aller erfassten Corona-Infektionen seit dem Start der App wurden über das Smartphone anderen Nutzern signalisiert, schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Zudem sind immer noch nicht alle Testlabore an das System angeschlossen.

Luxemburg Coronavirus | Tests in Bascharage
Luxemburg: Keine App, aber vorübergehend Tests für die ganze Bevölkerung und alle GrenzgängerBild: picture-alliance/dpa/H. Tittel

Für eine abschließende Bilanz der europäischen Corona-Warn-Apps ist es gleichwohl noch zu früh. Womöglich werden sie ihre Wirksamkeit in den kommenden Wochen besser unter Beweis stellen können, wenn die Infektionszahlen weiter steigen und dadurch mehr Nutzer mit entsprechenden Warnmeldungen auf ihren Bildschirmen konfrontiert werden.

Luxemburg probiert es ohne App

Den Rauchern im Elsass bleibt bis auf weiteres nur eine umständliche Lösung: Sie installieren beide Apps und aktivieren je nach Umfeld die jeweils passende. Ein Parallelbetrieb beider Apps ist nämlich ausgeschlossen.

Gar keine Wahl haben indes die Pendler in Luxemburg, wo der Server für den Datenaustausch der Corona-Apps steht. Infektionen unter den gut 200.000 Franzosen, Deutschen und Belgiern, die nach Luxemburg pendeln, werden auch in Zukunft ausschließlich analog durch die Behörden verfolgt. Pläne für die Entwicklung einer Warn-App gebe es in Luxemburg derzeit nicht, erklärte eine Regierungssprecherin auf DW-Anfrage.

Kann eine App wirklich helfen, die Pandemie einzudämmen?

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