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PolitikEuropa

EU-Architekt Jacques Delors gestorben

27. Dezember 2023

Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ist tot. Der Vater des Binnenmarktes und der gemeinsamen Währung Euro hat die europäische Einigung wie kaum ein anderer vorangetrieben. Ein Nachruf.

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Schwarz-weiß-Porträt von Jacques Delors - Früherer EU-Kommissionspräsident
Ein Leben für Europa: Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ist gestorbenBild: Berliner Zeitung/dpa/picture-alliance

Der Franzose, der die EU-Kommission von 1985 bis 1995 leitete, ist am 27. Dezember im Alter von 98 Jahren in Paris gestorben. "Er ist heute Morgen in seinem Haus in Paris im Schlaf gestorben", sagte seine Tochter Martine Aubry der französischen Nachrichtenagentur AFP. Aubry ist Bürgermeisterin der französischen Stadt Lille.
      
"Seine Leistungen für Europa werden unvergessen bleiben", wussten bereits die Staats- und Regierungschefs, als sie Jacques Delors im Jahr 1994 als EU-Kommissionspräsidenten verabschiedeten.

Delors war einer der letzten ganz großen Europäer seiner Generation. Einer Generation, die durch den Zweiten Weltkrieg und dessen Schrecken geprägt eine geradezu gestalterische Kraft schöpfte. Diese Kraft trieb Delors an, die Grundsteine der heutigen EU von 1985 bis 1994 als Kommissionspräsident zu legen.

Jacques Delors - Vater des EU-Binnenmarkts

Bereits ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt im Januar 1985 legte Jacques Delors mit dem "Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes" sein Meisterstück vor. Er arbeitete vehement an der Umsetzung bis zum Jahr 1992.

Zu den im Weißbuch beschriebenen Maßnahmen gehört unter anderem das Recht von EU-Bürgern, sich innerhalb der EU frei niederlassen zu können, eine Arbeitsstelle zu suchen, einen Handwerker aus dem Nachbarland zu beschäftigen und Mailänder Salami auch im weit entfernten Finnland kaufen zu können.

Sonder # Interview mit Jacques Delors # 06.05.2010

Als seine Verdienste gelten die Vollendung des EU-Binnenmarkts, die Unterzeichnung des Schengener Abkommens und der Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die zur Einführung des Euro führte. Mittlerweile nutzen täglich nutzen 343 Millionen EU-Bürger aus der Euro-Zone die gemeinsame europäische Währung. 

Abfuhr von Margaret Thatcher

Aber der Franzose Delors hatte nicht nur Freunde unter den Staats- und Regierungschefs. So antwortete die britische Premierminister Margaret Thatcher mit einem gesalzenen "No, no, no" auf seine Reformvorschläge für die europäischen Institutionen. Und auch sonst fehlte es in der Auseinandersetzung zwischen den beiden nicht an starken Worten.

Dennoch war man sich Delors' herausragender Bedeutung für die Entwicklung der EU bereits während seiner Amtszeit bewusst. Voller Lob verabschiedeten ihn die Staats- und Regierungschefs im Dezember 1994 auf seinem letzten offiziellen EU-Gipfel und schrieben ihm, "die zehn wohl erfolgreichsten Jahre der europäischen Einigung" zu.

Erst Banker, dann Politiker

Jacques Delors wurde am 20. Juli 1925 in Paris in einfachen Verhältnissen geboren und wuchs als Einzelkind auf. 1948 heiratete er Marie Lephaille, mit der er eine Tochter Martine und einen Sohn Jean-Paul hatte.

Seine Tochter Martine Aubry folgte dem Vater in die Politik und ist Bürgermeisterin der Stadt Lille. Jacques Delors überlebte seinen Sohn, der im Jahr 1982 an Leukämie starb, und seine Frau, die im Jahr 2020 verstarb.

Gruppenbild mit Helmut Kohl und Jacque Delors beim G7 Gipfel 1992 in München
Gemeinsam mit Gästen beim G7-Gipfel 1992 in München: Francois Mitterrand, Boris Jelzin, Helmut Kohl, George Bush, Brian Mulroney, Kiichi Miyazawa und EC-Kommissionschef Jacques Delors (v.l.n.r.).Bild: picture-alliance/ dpa

Seine Karriere begann Jacques Delors bei der Banque de France. Erst kurz vor seinem fünfzigsten Lebensjahr im Jahr 1974 fand der diplomierte Wirtschaftswissenschaftler seinen Weg in die Politik.

Er trat der neuen Sozialisten Partei (Parti Socialiste, PS) bei. Innerhalb dieser stieg er relativ schnell in den Parteivorstand auf und kam bereits 1979 als Abgeordneter des Europäischen Parlaments nach Brüssel.

Pendeln zwischen Brüssel und Paris

Aber schon 1981 kehrte Delors Brüssel den Rücken, um im Kabinett des französischen Präsidenten Francois Mitterand den wichtigen Posten des Wirtschafts- und Finanzministers zu bekleiden. Seinem Chef verdankte er auch den Posten als EU-Kommissionspräsident. Mitterand schlug ihn 1985 erfolgreich vor.

Nach dem Ausscheiden aus dem Amt des EU-Kommissionspräsidenten trat Jacques Delors im Mai 1995 aller Gerüchte zum Trotz nicht als französischer Präsidentschaftskandidat an. An Ruhestand war jedoch trotzdem nicht zu denken: So engagierte er sich beispielsweise bei der UNESCO und OECD. 1996 gründete er seine eigene Stiftung "Notre Europe", bekannt auch als Jacques Delors Institut, mit dem er sich immer wieder für die europäischen Einigung stark machte.

Mit Jacques Delors ist nun nach Jean Monnet und Helmut Kohl einer der letzten "Ehrenbürger Europas" aus dem Leben geschieden. Ein couragierter Vordenker, der mit seinem Pragmatismus die EU in ihrer heutigen Form, samt ihrer Stärken und Schwächen, mit konstruiert und geprägt hat.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel