1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Es geht um alles

19. August 2016

Für viele Sportler geht es bei den Spielen in Rio um die Verwirklichung ihrer Träume - für die nordkoreanischen Athleten geht es um viel Existenzielleres: Erfolg oder Arbeitslager. Ein Ringer hält dem Druck nicht stand.

https://p.dw.com/p/1Jlw4
Unterlegen: Der nordkoreanische Ringer Kyong Il Yang scheidet bereits in der ersten Runde aus. (Foto: picture-alliance/AP)
Kyong Il Yang (unten) scheidet bereits in der ersten Runde gegen den Japaner Rei Higuchi ausBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Kein Lächeln, kein Gruß ins Publikum. Kyong Il Yang betritt die Arena und ist hoch konzentriert. Sein Blick geht immer geradeaus, er atmet tief ein und aus, ist kurz vor seinem Kampf "im Tunnel", wie die Athleten das nennen. Seine Zunge geht immer wieder über seine Lippen. Als er an der Ringmatte angekommen ist, tänzelt er auf der Stelle hin und her. Er wirkt nervös.

Dabei ist Kyong Il Yang ein erfahrener Athlet. Der 27-Jährige begann im Alter von elf Jahren mit dem Ringen und ist einer der besten Sportler seines Landes. Er ist Weltranglisten-Vierter in der Klasse bis 57 Kilogramm, zweifacher Weltmeister und Bronzemedaillengewinner 2012 in London. Nur 1,58 Meter groß, aber 57 Kilogramm schwer, muskelbepackt, austrainiert, typische Ringer-Figur. Vor seinem Erstrundenmatch gegen den Japaner Rei Higuchi wirkt er jedoch extrem angespannt. Vielleicht, weil es für ihn um viel geht, viel mehr als für andere Sportler.

Nach der Niederlage in den Gulag

Kyong Il Yang lebt in der Hauptstadt Pjöngjang und ist hochdekoriert: Er erhielt für Rang drei in London die nationale Verdienstmedaille erster Klasse und durfte wie andere Topsportler Nordkoreas viele Privilegien genießen. Doch mit denen ist es schnell vorbei, wenn der Erfolg ausbleibt. Das weiß Lee Chang-soo. Er war in den 80er Jahren der beste Judoka seines Landes, gewann bei Weltmeisterschaften und Asien Spielen Medaillen, erhielt dafür ein Appartement und einen Mercedes.

London Olympische Spiele 2012 Yang Kyong Il (Foto: Getty)
Ein Bild aus besseren Tagen: Kyong Il Yang (2. v. r.) holt 2012 in London Bronze und wird in der Heimat geehrtBild: Getty Images/M. Regan

Dann verlor in einem Finale ausgerechnet gegen einen Südkoreaner. Die politische Führung in Pjöngjang war so verärgert über die Niederlage gegen den verhassten Nachbarn, dass sie Chang-soo kurzerhand in den Gulag warf. "Sie haben mich wegen meines verlorenen Kampfes zum Arbeiten in eine Kohlenmine gesteckt", erinnert sich der Koreaner, der später dank Beziehung wieder in den Sport zurückkehrte und einen Wettkampf in Spanien zur Flucht nutzte.

Nach der Niederlage droht das Arbeitslager

Chang-soo soll kein Einzelfall sein, erfolglose nordkoreanische Athleten müssen sich nach ihrer Rückkehr erklären und selbst kritisieren. Danach drohe je nach Laune der Verantwortlichen die Verbannung in die armen ländlichen Gebiete Nordkoreas oder eben das Arbeitslager und dort sogar Folter. Verifizieren lassen sich diese immer wiederkehrenden Gerüchte im abgeschotteten Land kaum, Augenzeugenberichte wie die des Dissidenten Lee Chang-soo sind selten.

Ob Kyong Il Yang all das vor seinem Kampf im Kopf hat, lässt sich ebenso wenig sagen. Ein kurzes Nicken in Richtung seines Gegners und dann beginnt auch schon der Kampf. Drei Vorkämpfe finden gleichzeitig statt, Kyong Il Yang kämpft in der Mitte der nur spärlichen besetzten Carioca-2-Arena. Gleich zu Beginn hat er seinen Gegner aus Japan im Griff, versucht ihn aufs Kreuz zu legen, doch Rei Higuchi entzieht sich dem drohenden Punktverlust. Dennoch schafft es Kyong Il Yang mit einem schnellen Manöver in Führung zu gehen. Dann ist der Nordkoreaner plötzlich in der Defensive, muss sich wehren, windet sich geschickt, aber Higuchi gleicht aus.

In der zweiten Halbzeit gewinnt der Japaner klar die Oberhand in diesem Kampf: Er fixiert Kyong Il Yang auf dem Boden und zieht auf 6:2 nach technischen Punkten, dann mit einem Mal auf 10:2 davon. Im Ringen kann das manchmal schnell gehen. Kyong Il Yang wirkt zunehmend verzweifelt, kann sich nicht aus der Umklammerung seines Gegners lösen und verliert deutlich mit 2:12 nach technischen Punkten. Seine Olympische Spiele von Rio enden nach gerade einmal sechs Minuten Kampf.

Wenn Journalisten zu Schmeißfliegen werden

Rio 2016 Olympische Spiele Yang Kyong Il vs. Rei Higuchi (Foto: Getty)
Erst Medaillenkandidat, dann nach sechs Minuten ausgeschieden. Was heißt das für Kyong Il Yang?Bild: Getty Images/AFP/J. Guez

Schleichend und mit hängendem Kopf verlässt er die Arena. Mit entblößtem und verschwitztem Oberkörper läuft Kyong Il Yang durch einen Gang im Bauch der Arena. Versuch der Kontaktaufnahme in der Mixed Zone. "Herr Yang, was denken Sie über Ihren Kampf?" Keine Antwort. Er läuft weiter. "Wie fühlen Sie sich nach dieser Niederlage?" Ein Kopfschütteln. "Sind Sie enttäuscht?" Er winkt ab und murmelt etwas, das unverständlich bleibt. Dann verschwindet er in der Umkleide, vor der sein Trainer bereits mit strengem Blick wartet. Interviews mit nordkoreanischen Athleten sind offensichtlich nicht erwünscht, Pressekonferenzen gibt es ohnehin nicht, man gibt sich verschlossen.

Draußen vor der Arena ist gerade ein Bus mit der nordkoreanischen Delegation angekommen. Der Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees von Nordkorea steigt aus. Young Ho Cho ist größer als der Rest seines Gefolges. Er trägt schwarz und eine Brille, die man in westlichen Ländern vielleicht Anfang der 90er Jahre noch trug. Auf eine höfliche Begrüßung antwortet er mit einem mehr als skeptischen Blick. "Was wollen Sie?", fragt er mürrisch. Zum Beispiel fragen, wie er die Atmosphäre hier in Rio empfinde und wie er Kyong Il Yangs Kampf beurteile. Der Funktionär macht eine Handbewegung, mit der man eine lästige Schmeißfliege versucht zu vertreiben und dreht sich erzürnt um. Der Rest seiner Delegation tut es ihm gleich.

Nur einer darf reden

Ein paar Meter weiter wartet ein Nordkoreaner im Trainingsanzug an einem Bus. Er heißt Chol Minh O, ist Trainer und spricht perfektes Englisch. Er dürfe eigentlich nicht sprechen, sagt er, er sei ja nur ein Betreuer. Immer wieder schaut er sich um. Dann sagt er doch etwas. "Die Olympischen Spiele sind eine tolle Erfahrung, wir treffen Menschen aus der ganzen Welt und leben mit ihnen in einem Dorf. Das ist ein toller Geist", schwärmt er und behauptet, dass die nordkoreanischen Athleten inzwischen aber viel Erfahrung mit internationalen Wettkämpfen haben und oft ins Ausland reisen dürfen. Bevor die Chance besteht, ihn zu fragen, ob erfolglose nordkoreanische Athleten tatsächlich nach ihrer Rückkehr gefoltert werden, verstummt Chol Minh O plötzlich. Ein Mann in schwarz ist hinter ihm aus dem Bus gestiegen und fordert ihn mit ernster Miene unmissverständlich auf, das Interview sofort zu beenden.

Kim Jong Un (Foto: Getty)
Forderte fünf Goldmedaillen von seinem Olympiateam: Norkoreas Diktator Kim Jong UnBild: Getty Images/AFP/KNS

Nur einer will und darf reden, zumindest kurz: Ung Chang, Jahrgang 1938, groß gewachsen, weißes Haar. Ung Chang ist ebenfalls Nordkoreaner und steht in seinem strahlend weißen Trainingsanzug neben seinen Landsleuten, gehört aber nicht direkt zur Delegation. Er ist seit 20 Jahren IOC-Mitglied, sitzt in drei Kommissionen und ist wortgewandt. Die Niederlage von Kyong Il Yang habe er nicht gesehen, sagt er achselzuckend. "Einer gewinnt, einer verliert. So ist der Sport."

Die Entwicklung des Sports, der in Nordkorea in der staatlichen Propaganda eine wichtige Rolle einnimmt, sei aber sehr positiv, so Ung Chang. "Wir tun unser Bestes, um erfolgreich zu sein. In Tokio 2020 werden wir besser sein, weil die Athleten keinen Jetlag haben werden und das Essen auch wie zuhause sein wird." Kein Wort über drohende Arbeitslager, kein Wort darüber, dass sich Nordkoreas Diktator fünf Goldmedaillen aus Rio gewünscht hat, sein 31-köpfiges Olympia-Team bisher aber erst zwei geholt hat. Das Abschneiden der Olympia-Teilnehmer dürfte den ungeduldigen Machthaber nicht gerade erfreuen. Was das für das Schicksal von Ringer Kyong Il Yang bedeutet, ist unklar. Vermutlich aber nichts Gutes.