Gedämpfte Erwartungen
2. Dezember 2011US-Außenministerin Hillary Clinton machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. "Es ist bedauerlich, dass Pakistan beschlossen hat, an der Konferenz in Bonn nicht teilzunehmen", erklärte sie auf einer Pressekonferenz in Südkorea. Denn Pakistan, so fuhr Clinton fort, habe genauso wie die USA, ein "fundamentales Interesse an einem sicheren, stabilen und zunehmend demokratischen Afghanistan."
Und genau darum soll es am Montag in Bonn gehen. Mehr als 90 Delegationen, über 1000 Teilnehmer kommen am Rhein zusammen, um über die Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit des Landes an die Afghanen zu sprechen. Außerdem geht es um das längerfristige Engagement der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Doch über die ferne Zukunft zu sprechen, ist schwierig, wenn die nähere Zukunft noch nicht einmal gesichert ist.
Noch kein Truppenabkommen
Ein Problem: Die USA und Afghanistan haben sich noch nicht auf ein Truppenabkommen einigen können. Noch ist unklar, wie viele US-Soldaten für welche Aufgaben nach 2014 im Land bleiben werden. Auch ob und welche Infrastruktur die Koalition hinterlassen wird, steht noch nicht fest. Und politische Abkommen sind ebenso wenig geschlossen. Es ist nicht zu erwarten, dass es in diesen Punkten in Bonn entscheidende Fortschritte geben wird, vor allem wegen der Abwesenheit der Pakistanis.
Doch die entscheidenden Verhandlungen, so Andrew Exum, würden sowieso auf bilateraler Ebene und vor Ort stattfinden. Der ehemalige Elitesoldat war zweimal in Afghanistan im Einsatz und später ziviler Berater für die Afghanistan-Generäle Stanley McChrystal und David Petraeus. "In jedem Konflikt wie diesem", erklärt er, "gibt es ein gewisses Stadium der Reife." Afghanistan sei vermutlich noch nicht reif für eine politische Lösung. In den nächsten Jahren werde sich das ändern, denn es gebe einige treibende Faktoren, die die Parteien an den Verhandlungstisch bringen, allen voran der Truppenrückzug der USA und ihrer Verbündeten.
Geringe Erwartungen an Bonn II
Von der Bonner Konferenz erwartet Exum deswegen nicht allzu viel. Zwischen den NATO-Partnern bestehe derzeit kein erneuter Abstimmungsbedarf. Man hat sich bereits 2010 in Lissabon auf den Abzug bis Ende 2014 geeinigt. Das heiße aber nicht, dass sich die Interessen der USA mit denen der anderen NATO-Länder deckten, erläutert Exum. Viele der Allianzmitglieder, besonders Deutschland, sehen den Einsatz in Afghanistan weniger als Kriegseinsatz, sondern mehr als humanitäre Aktion. Ihr vorrangiges Ziel ist es, die Region und die Regierung zu stabilisieren.
Auch auf Seiten der USA sei dies einmal ein Ziel gewesen. Das habe sich geändert: "Dieser Administration geht es nur um Sicherheitsinteressen, darum, El Kaida zu zerstören", sagt Exum. Bereits im Laufe des Jahres 2009 hätte dieser Interessenwandel auf Seiten der USA stattgefunden: "Sie wenden sich ab von einem Nationenaufbau oder einer Bekämpfung der Aufständischen und der Hilfe für die afghanische Regierung und stattdessen hin dazu, die Sicherheitskräfte in Afghanistan so aufzubauen, dass die USA abziehen können."
Und wenn die USA der Ansicht seien, dieses Ziel sei größtenteils erreicht, dann habe man möglicherweise nicht so sehr das Bedürfnis, den Afghanistan-Einsatz fortzusetzen wie die anderen NATO-Mitglieder. Für Deutschland, Norwegen oder Finnland könnte diese Erkenntnis sehr enttäuschend sein.
Signal an Afghanistan
Auch Vanda Felbab-Brown, Afghanistan-Expertin des Washingtoner Brookings-Institut, sieht die Erwartungen an die Bonner Konferenz gedämpft. Es gehe darum, den Afghanen zu symbolisieren, dass die internationale Gemeinschaft das Land nach 2014 nicht mit fliegenden Fahnen verlassen wird, sagt sie, und das werde man auch deutlich machen. Finanzielle Zusagen, wie es sich der afghanische Präsident Hamid Karazi wünsche, werde es aber nicht geben. Die Konferenz in Bonn ist keine Geberkonferenz.
Dass das Verhältnis zwischen den USA und Karzai zerrüttet ist, ist kein Geheimnis. "Ich glaube, die USA waren wirklich überrascht, wie viel Widerstand Präsident Karzai gegen die nächtlichen Angriffe zeigt und wie hartnäckig er fordert, dass Afghanistan die Aufsicht über alle Gefangenen bekommt, " sagt Felbab-Brown. Es sei unwahrscheinlich, dass die USA den Forderungen Karzais nachkommt.
Hoffen auf Pakistan
Auch Felbab-Brown sagt, dass die Verhandlungen vor Ort wichtiger seien als die Konferenzen. Dennoch wäre es ein positives Signal gewesen, etwa Vertreter der Taliban nach Bonn einzuladen. Doch die sind genauso wenig in Bonn vertreten wie Pakistan und Iran. "Das ist ein Problem" sagt Andre Exum, der als Experte beim "Center for a New American Security" tätig ist, "denn man braucht einen regionalen Ansatz für jegliche Art von Konfliktlösung in Afghanistan."
So ist diese Konferenz trotz ihres symbolträchtigen Datums – vor zehn Jahren fand, ebenfalls in Bonn, die erste Afghanistan-Konferenz statt – nur ein kleiner Schritt von vielen auf dem Weg zu einem selbständigen Afghanistan.
Die Augen richten sich schon jetzt auf die Zeit nach Bonn. US-Außenministerin Hillary Clinton sagte: "Ich hoffe, dass es nach der Konferenz möglich sein wird, einen Weg zu finden, dass wir von der Teilnahme der Pakistanis an dieser internationalen Anstrengung profitieren, die ein stabiles, sicheres und friedliches Afghanistan zum Ziel hat." Die nächste Konferenz, die sich mit Afghanistan beschäftigen wird, ist der NATO-Gipfel im Mai 2012 in Chicago.
Autor: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Rob Mudge